30 Jahre »Holocaust« und die Rezeption der Serie durch die K-Gruppen

»Soße aus Gewalt und Geld«

Vor 30 Jahren lief im deutschen Fernsehen die US-amerikanische Serie »Holocaust«. Jens Benicke hat sich die Kritiken angesehen, die damals in den Zeitungen der kommunistischen Gruppen erschienen

Als 1979 die US-amerikanische Fernsehserie »Holocaust« in den dritten deutschen Programmen ausgestrahlt wird, löst dies eine Welle von Zuschauerreaktionen aus. Das Schicksal der im Film dargestellten jüdischen Familie Weiss, die, bis auf den Sohn Rudi, alle dem deutschen Vernichtungsprogramm zum Opfer fallen, rührt die Fernsehzuschauer. 30 000 Menschen rufen in den Sendeanstalten an, und in den Zeitungen erscheinen Tausende von Leserbriefen. Die Serie bestimmt tagelang die öffentliche Diskussion. »Als hätten die Deutschen bislang an Amnesie gelitten, erinnerte man sich mit einem Mal an die Juden, die man aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen hatte … «, schreibt Tjark Kunstreich (Jungle World 5/2004).
Für Kunstreich markiert die Debatte eine Wende in der öffentlichen Reaktion in Deutschland. Bestimmten bis dato das Beschweigen und die Abwehr der deutschen Vergangenheit die vorherrschende Strategie, so bekennt man sich nun selbstbewusst »zu unserer Geschichte«. jetzt sind es gerade »wir Deutschen«, die aufgrund der Vergangenheit dazu aufgerufen sind, in aller Welt ein »neues Auschwitz« zu verhindern, wie der damalige Außenminister Joschka Fischer zur Legitimation des Bombenkriegs gegen Jugoslawien ausführte. Spätestens unter der rot-grünen Bundesregierung wurde so aus der Shoah ein Standortvorteil für Deutschland.
Doch ein Teil derjenigen, die später in der grünen Partei diesen vergangenheitspolitischen Paradigmenwechsel mit vorangetrieben haben, war Ende der siebziger Jahre noch lange nicht so weit. Denn damals stand auf ihrer Agenda noch nicht das Dosenpfand oder die Ökosteuer, sondern die proletarische Weltrevolution. Natürlich unter der Führung derjenigen marxistisch-leninistischen K-Gruppe, in der sie damals gerade organisiert waren.
Die so genannten K-Gruppen entstehen als eines der bedeutendsten Zerfallsprodukte der Bewegung von 1968. Nachdem die in einer kurzen Zeitspanne erwartete und erhoffte Revolution ausgeblieben und es in Deutschland auch anders als etwa in Frankreich oder Italien nur zu sehr wenigen gemeinsamen Aktionen der Studenten- und Arbeiterbewegung gekommen war, orientiert sich ein größerer Teil der antiautoritären Aktivisten wieder an leninistischen Politikkonzepten. Angelehnt an der bolschewistischen KPD der Weimarer Republik und dem aktuellen Vorbild der Volksrepublik China entsteht so ein halbes Dutzend konkurrierender studentischer Kaderorganisationen. Diese wenden sich radikal von der antiautoritären Phase der Proteste ab. So schneiden sie sich die langen Haare wieder ab und huldigen einem bizarren stalinistischen Personen- und Proletkult. Historiker schätzen, dass in den siebziger Jahren 150 000 Personen die verschiedenen K-Gruppen durchlaufen haben.
Die Berichterstattung und Kommentierung über die Fernsehserie »Holocaust« nimmt in den Zentralorganen fast aller K-Gruppen viel Raum ein. Die Reaktionen auf die Ausstrahlung der Serie sind dabei von einer einhelligen Ablehnung geprägt, auch wenn zum Teil betont wird, die Serie könne einen guten Ansatzpunkt bieten, um über die wahren Hintergründe des Faschismus aufzuklären. Besonders entschieden wird das Ende des Films bemängelt.
In der amerikanischen Fassung beteiligt sich der einzige Überlebende der jüdischen Familie Weiss an der Gründung des Staates Israel. In der deutschen Fassung dagegen fehlt dieser Schluss, stattdessen hält Kurt Dorf, ein Mitglied der parallel dargestellten »arischen« Familie, eine aufrüttelnde Rede, in der er mahnt: »Wir sind alle mitschuldig.«
Doch selbst diese Veränderung in der deutschen Fassung, in der nun die Gründung des Staates Israel als Konsequenz der Judenvernichtung nicht mehr vorkommt, kann die Ansicht der K-Gruppen nicht ändern. Sie sind einhellig davon überzeugt, die Serie transportiere »zionistische Propaganda« (Arbeiterkampf, AK) bzw. verbreite »zionistisches Gedankengut« (Rote Fahne), sie habe nur den »Zweck, für die zionistischen Ziele Israels zu werben« (Roter Morgen), und versuche, »die antifaschistischen Bestrebungen der Volksmassen zu nutzen, um die zionistische Kolonialherrschaft über Palästina und die Aggressionen gegen die arabischen Nationen zu rechtfertigen« (Kommunistische Volkszeitung).
Dabei handele es sich doch, so das Weltbild der K-Gruppen, bei Faschismus und Zionismus um so etwas wie Brüder im Geiste: »Der Faschismus hat die Unterwerfung anderer Völker gepredigt und propagiert. Nichts anderes tut der Zionismus« (Kommunistische Volkszeitung). Der Film sei deshalb auch keine »scharfe Anklage gegen den Faschismus«, wie die »Bourgeoispresse« bescheinige, sondern im Gegenteil: »In der Hülle der Kritik am Nationalsozialismus greift er dessen Rassenideologie nur auf, um sie anzuwenden – zur Propagierung des Zionismus, des Rechts der jüdischen Rasse auf ›Heimat‹, ›Raum‹ – im ›gelobten Land‹, Palästina.« (Kommunistische Volkszeitung). Diese infame Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit der jüdischen Nationalbewegung wird im selben Artikel noch einmal explizit betont, indem das Hitler-Zitat » … dem deutschen Volk den ihm gebührenden Grund und Boden auf dieser Erde zu sichern … « einem Zitat von Theodor Herzl gegenübergestellt wird: »Wir verlangen, was wir brauchen – je mehr Einwanderer, desto mehr Land.«
Der nationalsozialistische Eroberungs- und Vernichtungskrieg wird hier also mit dem Staatenbildungsprozess Israels auf eine Stufe gestellt und Herzl mit Hitler gleichgesetzt. Die K-Gruppen schaffen hier also das Kunststück, auf eine Fernsehserie über den Massenmord an den euro­päischen Juden mit einer Anklage gegen Israel zu reagieren. Ein eindrucksvolles Beispiel für den deutschen Schuldabwehrantisemitismus.
Nach diesem eindeutigen Urteil über das Serienende verwundert auch die weitere, allgemeine Kritik der K-Gruppen an »Holocaust« nicht. Hervorgehoben wird, dass die Autoren der Filmreihe nicht in der Lage seien, »dieses Kapitel deutscher Geschichte vom proletarischen Klassenstandpunkt anzugehen« (Rote Fahne). Deshalb würden auch die wahren Urheber des Faschismus und des Massenmordes nicht benannt: »Es waren nicht ›die Deutschen‹, die Faschismus und Krieg wollten, es waren die ›Monopole‹.« Folglich würde im Fernsehen auch der Widerstand der deutschen Arbeiterklasse, für den es Tausende Beispiele gäbe, nicht dargestellt. Aber, so fragt die Rote Fahne: »Kann man das von dieser Serie verlangen?«, und gibt auch gleich die passende Antwort: »Wir meinen nein (…) Für sie war der Film zuerst eine Ware, ein Produkt, das verkauft werden muss und Gewinn bringt.«
Damit benennt das Zentralorgan des Kommunistischen Arbeiterbundes einen Punkt, der durchaus auch von einer ernsthaften Kritik aufgeworfen wurde. Lässt sich der millionenfache Mord an den europäischen Juden mit den Mitteln des Films darstellen, ohne dass dadurch das Geschehen trivialisiert wird? Der US-amerikanische Schriftsteller und Überlebende Elie Wiesel bezweifelte dies in einer öffentlichen Diskussion über »Holocaust« und verurteilte die Serie als eine »Beleidigung für die, die umkamen, und für die, die überlebten«.
Doch dass die Überlegungen zur medialen Darstellbarkeit der Shoah und die Kritik an den kommerziellen Interessen der Fernsehmacher in der linken Diskussion meist nur vorgeschobene Argumente sind, um einer Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit zu entgehen, zeigt ein Blick in die Zeitungen der K-Gruppen.
Dort wird dem »amerikanischen Fernsehschinken« (Kommunistische Volkszeitung) bescheinigt, »im Stil amerikanischer Unterhaltungsfilme, also oberflächlich, sentimental, undifferenziert usw.« (Arbeiterkampf) gemacht zu sein. Der Faschismus werde allein auf den Antisemitismus reduziert und dargestellt anhand zweier »erfundener Kleinbourgeoisie-Familien in den Jahren 1935–1945 – der jüdischen Arztfamilie Weiss und der arischen Juristenfamilie Dorf« (Kommunistische Volkszeitung). Die »tatsächlichen Verbrechen der imperialistischen deutschen Bourgeoisie (…), die Unterwerfung der Arbeiterklasse, des Volkes unter die extremsten Bedingungen der Ausbeutung, um Profite zu schaffen für die imperialistische Expansion, für den Kampf um die Vorherrschaft in der Welt«, würde dagegen »unter der Ideologie des Rassengegensatzes begraben bei Beleidigung und Verhöhnung der Massen« (Kommunistische Volkszeitung).
Die Kritik an der mangelhaften Darstellungsfähigkeit und dem kulturindustriellen Charakter jeglicher fernsehtauglichen Auseinandersetzung mit der Shoah entpuppt sich hier als Entlastung der deutschen Bevölkerung von jeder Beteiligung an dem Massenmord an den europäischen Juden. Stattdessen wird den USA vorgeworfen, mit einem für sie typischen niveau­losen und profitorientierten Unterhaltungsprodukt »Propaganda für den Zionismus« zu betreiben.
Wie weit diese Kritik der K-Gruppen an der von ihnen als kulturlos geltenden amerikanischen Unterhaltungsindustrie geht, zeigt ein Artikel im Zentralorgan der KPD/ML, dem Roten Morgen, der schon vor der Ausstrahlung von »Holocaust« erscheint. In diesem mit »Deutsches Fernsehen – made in USA« überschriebenen Text, der sich mit US-amerikanischen Fernsehserien wie »Kojak«, »Die Straßen von San Francisco« und anderen beschäftigt, wird die Behauptung aufgestellt, diese Serien dienten in erster Linie zur Propagierung des »amerikanischen Imperialismus«. In fast 95 Ländern und vor über 500 Millionen Zuschauern würden diese »das nationale und fortschrittliche Kulturerbe der verschiedenen Völker aus den Massenmedien vertreiben«. Wie gefährlich nahe hier Teile der westdeutschen Linken den Argumentationsformen der so genannten Konservativen Revolution der Weimarer Republik kommen, zeigt auch das folgende Zitat, das ganz in der Tradition Oswald Spenglers die oberflächliche und undeutsche westliche Zivilisation dem tiefgründigen deutsche Kulturerbe gegenüberstellt:
»Mit diesem niveaulosen Fernsehschund, dieser Soße aus Gewalt und Geld wollen sie unser fortschrittliches deutsches Kulturerbe abtöten und alle geistigen Ansprüche ersticken. Diese amerikanischen Propagandafilme sollen uns zu kritiklosen Nachäffern der amerikanischen Primitivkultur machen, sie sollen uns vom Kampf gegen die amerikanischen Besatzer und gegen das Vorherrschaftsstreben dieser Supermacht ablenken. Es ist das Ziel dieser Sendungen, uns moralisch und kulturell vom amerikanischen Imperialismus abhängig zu machen.«
Die K-Gruppen beweisen hier einmal mehr, wie weit sie sich von der ursprünglichen Motivation und den ursprünglichen Zielen der antiautoritären Revolte entfernt haben. Waren es doch gerade die Aktivisten des SDS, die schon in den fünfziger und frühen sechziger Jahren immer wieder das Schweigen der postfaschistischen Gesellschaft gebrochen haben. Nicht umsonst sind die Reaktionen der deutschen Bevölkerung gegenüber den antiautoritären Studenten so feindselig. Die marxistisch-leninistischen Organisationen dagegen schaffen vergangenheitspolitisch den sonst so vergeblich erhofften Anschluss an die Mitte der Gesellschaft.

4-DVD-Box »Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss« inkl. englischer Sprachfassung und exklusiv erstellten deutschen Untertiteln für Hörgeschädigte
DVD 1: »Die hereinbrechende Dunkelheit« (1935–1940)
DVD 2: »Die Straße nach Babi Yar« (1941–1942)
DVD 3: »Die Endlösung« (1942–1944)
DVD 4: »Die Überlebenden« (1944–1945)
Erschienen bei Polyband Medien