Die Transmediale und der CTM in Berlin

Irgendwas mit Medien

Neben vielen Höhepunkten, die in Wahrheit keine sind, findet in Berlin auch jährlich die Transmediale statt. Zusammen mit dem Partnerfestival CTM ist die Transmediale zur bedeutendsten Veranstaltung für Medienkunst in Deutschland geworden. Auch wenn nicht alle kuratorischen Ziele sich im Programm wiederfinden lassen.

Im Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße warben vor einigen Jahren Plakate für das Medienkunstfestival Transmediale – und blieben nach Ende der Veranstaltung noch ein halbes Jahr lang hängen. Typisch Berlin, sagte da mancher, in anderen Metropolen wären die Plakate längst wieder verschwunden gewesen. Dass selbst zu Beginn dieses Jahrzehnts noch nicht jede erhältliche Werbefläche Berlins sofort ausgenutzt wurde, mochten die hier täglich auf die U8 – die in Abschnitten hippste und interna­tionalste U-Bahnlinie der Stadt – wartenden Neuköllner als Symbol und Hoffnungsschimmer werten; vielleicht sollte die vielbeklagte Verteuerung von allem und jedem doch noch ein paar Jahre auf sich warten lassen.
Doch die Gentrifizierung schleicht in Berlin weiter voran, was die Begeisterung vieler für die Stadt schmälert. Mit ähnlichem Bangen betrachten ungleich größere Menschenmengen neuerdings den anderen kostengünstigen Kreativspielplatz, das Internet. Eine Entwicklung, die sich in den Themen widerspiegelt, denen sich die Transmediale in den vergangenen fünf Jahren gewidmet hat: Noch 2010, mit »Futurity Now!«, schien man die digitale Zukunft kaum erwarten zu können. 2013 wurden bereits unter dem Stichwort »BWPWAP« (kurz für »Back when Pluto was a planet«) kürzlich vollzogene Entwicklungen nostalgisch thematisiert.
Dieses Jahr ist man nun im »Afterglow« angekommen. »Die Revolution ist vorbei. Willkommen im Nachglühen« lautet der finstere Claim der Veranstaltung. Dass ein Medienkunstfestival, noch dazu ein so großes und wichtiges, die Auswirkungen der NSA-Affäre zum Thema haben würde – es war zu erwarten; »Big Data ist auch Big Brother«, heißt es griffig auf der Website. Vom 29. Januar bis 2. Februar kann man im Haus der Kulturen der Welt, in dem die Transmediale seit 2001 ansässig ist, in Ausstellungen, Installationen, Videovorführungen, Workshops und Podiumsdiskussionen erleben, wie Kunst- und Medienschaffende auf eine Zeit reagieren, in der Freiheit weniger bedeutet, sich von Masse abzuheben, als in sie einzutauchen. Im Rahmen einer großangelegten Konferenz treten so berühmte Diskussionsteilnehmer wie die Filmemacherin Laura Poitras und der Journalist und sogenannte Internetaktivist Jacob Appelbaum auf. Poitras hob sich mit Dokumentationen über die Konsequenzen des »war on terror« von der Masse ab, was ihr beim Ministerium für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten eine Einstufung als potentielle Terroristin einbrachte. 2013 erlangte sie als Bericht­erstatterin und enge Vertraute Edward Snowdens Bekanntheit. Appelbaum wiederum ist Mitbegründer des Tor Project, eines Netzwerks zur Anonymisierung von Verbindungsdaten im Internet. Auch er ist von US-Geheimdiensten drangsaliert worden, weshalb er derzeit in Berlin lebt.
Zeitkritische Prominenz findet sich im Rahmen der Transmediale allerorten: Der kana­dische Schriftsteller Douglas Coupland kommt angereist. International wurde er vor allem durch seinen 1991 veröffentlichten Roman »Generation X« bekannt, bereits 1995 schrieb er mit »Microserfs« eine Satire über den damaligen Digital-Boom und die Ausbeutung von Microsoft-Angestellten. Im Rahmen der Vortragsreihe »Marshall McLuhan Lectures« beschäftigt sich Coupland mit Datenmüll und Hyperdigitalisierung. McLuhan, der Pionier der Medientheorie, dessen Biographie Coupland unlängst verfasst hat, geistert natürlich jedes Jahr durch das Programm der Transmediale. Kaum verwunderlich also, dass es auch dieses Mal eine lange Reihe von Video- und anderen Medienkunstwerken gibt, die sich an McLuhans berühmtem Diktum »Das Medium ist die Botschaft« abarbeiten. Dazu zählt »Out of Frame«, eine Videoinstallation des griechischen Filmemachers Yorgos Zois: Sie zeigt plakatlose Werbeplakatwände, wie sie in seinem Herkunftsland seit Beginn des wirtschaftlichen Zusammenbruchs häufig zu sehen sind. An anderer Stelle finden Panel-Diskussionen über den ebenfalls von McLuhan geprägten Begriff des »globalen Dorfes« statt, und zwar unter dem kernigen Titel »McLuminations 14:1: Counter Environment Infrastructures and Substrata of the Global Village«. Die digitale Welt mag sich verändern, der beschmunzelnswürdige Jargon der Medienkünstler bleibt offensichtlich der gleiche. Vor allem das Thema Abfall ist präsent, das mit dem Begriff des Nachglühens in gewisser Weise zusammenhängt: Elektroschrottkunst und Protest-Performance-Videos des nigerianischen Künstlers Jelili ­Atiku, aus Filmabfällen bestehende Filme des Amerikaners Luther Price, eine Bitcoin-Verschwendungs-Performance der Mexikanerin Geraldine Juarez. Auch Internet-Pornographie wird thematisiert, nicht zuletzt bei der Präsentation des Dinos-Chapman-Albums »Luftbobler«, auf dem der Bösewicht der Britart Stimmen von einer Porno-Website für Blinde samplete.
Entsprechend der Skepsis des Festivals gegenüber der digitalen Welt lässt sich bei all diesen Kunstwerken das Bedürfnis beobachten, Elemente der digitalen Welt herauszulösen, um sie auf analoge, plastische, ja, menschliche Weise – um dem zeitkritischen Ansatz der Veranstaltung begrifflich Genüge zu tun – darzustellen. Was sich ebenfalls über das US-amerikanische Duo Lucky Dragons sagen lässt, das in einer Koproduktion von Transmediale und dem musikorientierten Partner-Festival Club Transmediale (CTM) auftritt. Konzerte der Lucky Dragons beinhalten den spielerischen Einsatz digitaler und anderer verrückter Ins­trumente, beziehen das Publikum mit ein und weiten sich zu teil­improvisierten Klanghappenings aus.
Während die Transmediale bereits 1988 aus einer Randveranstaltung der Berlinale hervorgegangen war, feiert der CTM in diesem Jahr sein 15jähriges Bestehen in Form von Konzerten, Club-Abenden, Workshops und Vorträgen in mehreren Veranstaltungsorten. Ihr Motto »Dis-Continuity« hat zum Ziel, bislang unzureichend gewürdigte Avantgarde-Musiker, nun ja, zu würdigen. Dabei soll gezeigt werden, dass ähnliche Innovationen und Experimente oft zeitlich und räumlich getrennt voneinander geschehen und durch geschichtliche und politische Umstände nur selektiv in die spätere Geschichtsschreibung der Musikentwicklung aufgenommen werden. Es ist eine Art Gegengeschichte: Die Ausstellung »Generation Z: ­ReNoise« widmet sich der historischen Entwicklung russischer Musik-Avantgarde, die unter Josef Stalin nach 1930 marginalisiert wurden. Frühe elektroakustische Klangexperimente brachten hier zahlreiche neuartige Instrumente hervor, von denen das bekannteste wohl das Theremin ist. Viele Kompositionstechniken und elektronische Entwicklungen der russischen Avantgarden ähnelten den bekannteren Experimenten von Herbert Eimert, Karl-Heinz Stockhausen und Pierre Schaeffer.
Die letzteren beiden werden, wie auf jedem zwischen Pop, Experiment und Klassik oszillierendem Musikfestival, gewürdigt, einige ihrer Stücke werden neu aufgearbeitet – Stockhausen und Schaeffer sind zu Stars der modernen E-Musik geworden, von denen auch Pop-Fans schon einmal gehört haben. Überhaupt versammeln sich bei diesem eigentlich der Obskurität gewidmeten Festival viele sehr bekannte Namen: Mika Vainio, die eine Hälfte des ehemaligen Experimental-Techno-Duos Pansonic, wird mit Charlemagne Palestine, dem Plüschtiere und Schnaps liebenden Exzentriker der New Yorker Minimalisten, ein Duett aufführen; englische House-Künstler wie James Holden und Boddika treten ebenso auf wie die Elektronik-Frickler Mouse On Mars, und selbst die alte Post-Rock-Ikone Jim O’Rourke ist dabei.
Ebenso international wie das Line-up ist seit Jahren auch das Publikum der Transmediale: Angeblich kommen 45 Prozent der Festivalbesucher aus dem Ausland. Wie viele eigens ­anreisen und wie viele zur neuen coolen internationalen Berliner Community gehören, ist unbekannt. Jedenfalls werden für zehn Tage noch mehr hippe junge Internationale in der U8 anzutreffen sein als gewöhnlich; womöglich werden sie mal wieder von einigen Voll­idioten für die Gentrifizierung verantwortlich gemacht. Mal sehen, wie lange die Plakate dieses Jahr hängen bleiben.

Die Transmediale findet vom 29. Januar bis 2. Februar an ­diversen Berliner Veranstaltungsorten statt, der CTM ­beginnt am 24. Januar.