Die Präsidentschaftswahl in Tunesien

Das Licht im Tunnel

Marzouki oder Essebsi – eine Stichwahl wird den künftigen tunesischen Präsidenten bestimmen.

Nach den Parlamentswahlen Ende Oktober ist nun die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am Wochenende in Tunesien reibungslos über die Bühne gegangen. Auf Platz drei landete nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis mit 7,82 Prozent Hamma Hammami vom linken Front populaire, ein Achtungserfolg. Platz zwei belegte mit 33,43 Prozent Moncef Marzouki, der Übergangspräsident und ehemalige Menschenrechtler. Mit 39,46 Prozent ging der fast 88jährige Béji Caid Essebsi, bereits Minister unter dem Republikgründer Habib Bourguiba, als Erster aus dem Wahlgang hervor. Da kein Präsidentschaftskandidat die absolute Mehrheit erreichte, wird an einem der kommenden Wochenenden eine Stichwahl zwischen Marzouki und Essebsi stattfinden.
Beide Kandidaten sind eifrig dabei, sich gegenseitig zu beharken. Essebsi, dessen antiislamistische Partei Nidaa Tounès bei den Parlamentswahlen den ersten Platz belegte, bemerkte am Sonntagabend: »Man muss wissen, dass jene, die für Marzouki gestimmt haben, die Islamisten sind.« Die islamistische Partei al-Nahda, mit gut 32 Prozent zweitplatziert bei den Parlamentswahlen, hatte keinen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt und offiziell keinen Kandidaten unterstützt, weil sie darauf spekuliert, in eine Große Koalition mit Nidaa Tounès aufgenommen zu werden. Jedoch hatte al-Nahda in einem geheimen Kommuniqué ihre Kader angewiesen, ihren ehemaligen Verbündeten Marzouki zu wählen – das sei ein »Überlebenserfordernis«.
Marzouki hatte in seinem Wahlkampf vor der »Rückkehr des ancien régime« des im Januar 2011 gestürzten autoritären Präsidenten Zine al-Abidine Ben Ali gewarnt, das er in Essebsi inkarniert sieht. In Msaken trat er mit dem salafistischen Imam Béchir Ben Hassen auf. Und insbesondere agitierte er gegen die politische »Hegemonie«, die zu befürchten sei, sollte Essebsi Präsident und jemand aus dessen Partei Nidaa Tou­nès Regierungschef werden. Die Periode bis zum zweiten Wahlgang wird von einer erneuten scharfen politischen Polarisierung geprägt sein.
Am Freitag voriger Woche, als die oberste Wahlbehörde die endgültigen Ergebnisse der Parlamentswahl veröffentlichte, schickte Marzouki einen Brief an Essebsi, in dem er ihn aufforderte, innerhalb von sieben Tagen einen Politiker seiner Partei zu beauftragen, eine Regierung zu bilden. Das ist ein Störmanöver. Denn Nidaa Tounès hatte angekündigt, erst nach der endgültigen Wahl eines Präsidenten eine Regierung zu bilden. Die Verfassungsrechtler in Tunesien sind sich uneinig, ob Marzouki als nicht direkt gewählter Übergangspräsident befugt ist, eine solche Regierungsbildung einzufordern. Und ein Verfassungsgericht, das diese Frage verbindlich klären könnte, existiert noch nicht. Jedenfalls eröffnet Marzoukis Schachzug den Spielraum für alle möglichen politischen Manöver.
Doch bereits das Abhalten von Wahlen reicht aus, um überschwängliches Lob einzuheimsen. Tunesien sei »das Licht, das in dem finsteren, blutigen und deprimierenden Tunnel leuchtet, in dem sich unsere (arabische) Nation befindet«, hieß es in einem Editorial der arabischen Onlinezeitung raialyoum.com im Hinblick auf die Fortsetzung »des tunesischen demokratischen Prozesses«. Keine Frage: Im Vergleich zu Ländern wie Libyen, dem Jemen oder Syrien ist die Lage in Tunesien brillant. Aber auch nur im Vergleich dazu.