Berlin Beatet Bestes. Folge 279

Das ist hier kein Wunschkonzert!

Berlin Beatet Bestes. Folge 279.

Am Samstag fuhr ich aufgeregt nach Potsdam. Ich war eingeladen, auf einer Swing-Party auf­zulegen. Eigentlich lege ich keine Schallplatten mehr auf außer in meiner Radiosendung und im Sommer, wenn ich einen kleinen batteriebetriebenen Plattenspieler aufs Tempelhofer Feld bringe. Nachdem ich viele Jahre in Kneipen und kleinen Veranstaltungsräumen DJ und – vom Türsteher mal abgesehen – immer der einzig Nüchterne im Raum war, hatte ich am Ende nur noch wenig Geduld mit den Betrunkenen: mit den immer gleichen Fragen nach den immer gleichen Hits, mit den fachsimpelnden Snobs und den Tussis, die schnurstracks zum DJ marschierten, weil er nun mal der zentrale Mann im Raum ist, anstatt mit einem von den Typen zu quatschen, die schon seit Stunden allein in der Ecke an ihrem Bier nippelten. ­Irgendwann ­hatte ich einfach keine Lust mehr, denn genau mit diesen Leuten und Situa­tionen umzugehen, ist der Job eines DJs.
Jetzt sollte ich auf der Swing-Party des »Spartacus« auflegen, eines linken, selbstverwalteten Ladens. Das hatte mich überzeugt und neugierig gemacht. Als ich um halb zwölf ankam, wurde ich gleich sehr nett begrüßt und durch den offensichtlich gut organisierten Club geführt. Backstage gab es ein Buffet, und die DJs brachten auch gleich hundert Leute zum Tanzen. Es lief Electroswing. Ich quatschte mit den DJs, tanzte eine Weile, die Tanzfläche war mittlerweile gut gefüllt und dann war es auch schon ein Uhr. Zeit für den Haupt-Act: mich.
Eigentlich war von Anfang an klar, dass ich auf dieser Swing-Party eine Fehlbesetzung war. Swing-Tänzer waren nicht anwesend, die Leute erwarteten Electroswing. Ich legte zuerst Ella Fitzgeralds fetzige Cover-Version von »These Boots Are Made For Walking« auf. Kein Swing, sondern souliger Beat. Das kam noch an. Danach ging’s bergab. »Dreh mal die Bässe auf!«, meinte der erste, als ich Jelly Roll Mortens »Get The Bucket« spielte, eine Aufnahme aus den vierziger Jahren. Da war nichts zu machen. Nachdem der nächste fragte: »Hast du auch was Schnelleres?«, spielte ich meine schnellsten Platten. Die Leute kamen in Schwung. Dann kam das erste »Kommt noch Electroswing?«. Und dann wieder und wieder: »Hast du Parov Stelar?« Ein DJ, den ich nicht kannte. Stattdessen bekamen sie richtigen Jazz. Sidney Bechet, Henry »Red« Allen, Lionel Hampton, Fletcher Henderson. Die Tanzfläche leerte sich nicht, aber es war spürbar, dass die tanzwütigen 20jährigen nichts mit meiner Musik anfangen konnten. Ich wusste mir nicht mehr zu helfen und wollte schon aufgeben, da kamen meine Gastgeber. »Es tut mir leid, aber ich habe nun mal keinen Electroswing! Ich hab ja nur die alten Platten!«, meinte ich. Aber anstatt enttäuscht zu sein, waren sie begeistert: »Nö! Mach weiter so! Wir finden deine Musik voll gut. Wem das nicht passt, der soll nach Hause geh’n. Das ist unser Laden hier und das ist eine Swing-Party und keine Electroswing-Party.« Tja, Happy-End. Danke Spartacus! Als ich ins Taxi stieg, lief schon wieder Electroswing.
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.