Ein mutmaßlicher Jihadistenanführer war Informant des spanischen Inlandsgeheimdiensts

Der Imam als Informant

Der mutmaßliche geistige Anführer der Jihadistengruppe, die im August Anschläge in Katalonien verübte, war als Informant für den spanischen Inlandsgeheimdienst tätig.
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Es ist still geworden, fast zu still um die Ermittlungen nach den jihadistischen Todesfahrten. Bei diesen wurden in Barcelona und im Küstenort Cambrils am 17. und 18. August 16 Menschen ermordet, auch insgesamt sechs Attentäter starben. Doch seither haben die politischen Wirren um die Sezessionsbestrebungen der Region Katalonien die Schlagzeilen dominiert.

Erst kürzlich warf ein brisantes Detail neues Licht auf den mutmaßlichen geistigen Anführer der für die Attacken verantwortlichen Jihadistengruppe, Abdelbaki al-Satty. Der ehemalige Imam der Kleinstadt Ripoll in den Pyrenäen hatte sich aus Versehen in einem Einfamilienhaus in Alcanar an der Grenze der Region Valencia mit zwei weiteren Personen in die Luft gesprengt. Er hatte mit dem häufig bei Anschlägen des »Islamischen Staats« verwendeten hochexplosiven Sprengstoff Acetonperoxid, auch bekannt als TATP, hantiert. Zunächst gingen die Ermittler der katalanischen Regionalpolizei Mossos d’Esquadra von einer Gasexplosion oder einem Unfall in einem Drogenlabor aus. Al-Satty plante nicht Todesfahrten über die Promenade Las Ramblas in Barcelona, sondern großangelegte Bombenangriffe, etwa auf die Kathedrale Sagrada Familia.

Carles Puigdemont twitterte kürzlich aus Brüssel, »dass ein Staat, der einen Terroristen als Informanten hat und eine Strategie des Angstschürens verfolgt, zu allem fähig« sei.

Nun hat der spanische Inlandsgeheimdienst Centro Nacional de Inteligencia (CNI) offengelegt, dass al-Satty für ihn als Informant tätig war. Wie eng die Zusammenarbeit war, bleibt bislang unter Verschluss. Jedenfalls bat CNI-Direktor Félix Sanz Roldán, im spanischen Parlament die Kontakte zu al-Satty erklären zu dürfen.

Al-Satty war 2002 nach Spanien gekommen. Bei den Ermittlungen zu den jihadistischen Anschlägen auf Pendlerzüge in Madrid vom 11. März 2004 mit 193 Todesopfern sei seine Handynummer auf einem der Telefone der Anschlagsplaner gefunden worden, berichtete El País »aus dem Kreis der Antiterrorfahnder«. Auch 2006 im Zuge der »Operation Schakal« rückte al-Satty ins Fadenkreuz der Ermittler. Damals wurden 20 radikale Islamisten in Vilanova i la Geltrú (Tarragona) verhaftet, al-Satty war jedoch nicht darunter. Die Polizeiaktion wie auch das anschließende Verfahren waren von Ermittlungspannen überschattet. 2011 setzte der Oberste Gerichtshof die Verhafteten wieder auf freien Fuß.

Am 1. Januar 2010 wurde al-Satty, geboren im marokkanischen Rif-Gebirge, an der Grenze zur spanischen Exklave Ceuta mit 121 Kilogramm Haschisch gefasst. Zu vier Jahre Haft wurde er dafür verurteilt, er saß im Gefängnis von Castellón de la Plana (Valencia) ein. Zu jener Zeit nahm der CNI mit ihm Kontakt auf, heißt es, auch wegen al-Sattys Kontakten zu radikal-islamistischen Kreisen. Fernando Reinares, einem Terrorismusexperten am Elcano Royal Institute, sagte dem Spiegel im August, al-Satty habe »seit über einem Jahrzehnt mit der islamistischen Terrorszene Kataloniens in Kontakt« gestanden und sei »erfahren und effizient darin« gewesen, andere zu radikalisieren.

Wegen guter Führung verließ al-Satty bereits 2012 unter Auflagen das Gefängnis. Offiziell endete mit seiner Entlassung sowohl die Zusammenarbeit mit dem CNI als auch die Überwachung seiner Person, was jedoch bezweifelt werden darf. Ein Gericht in Castellón entschied erst im Jahr 2015 gegen seine Ausweisung, wegen seiner »Verwurzelung in Spanien aufgrund seiner Arbeit« und seines »großen Willens und seiner Anstrengungen, sich zu integrieren«.

Beruflich zog es al-Satty nach seiner Haftentlassung nach Ripoll, wo er als Imam und Arabischlehrer tätig war. 2015 reiste er nach Vilvoorde, einer belgischen Kleinstadt, aus der sich 28 junge Männer dem »Islamischen Staat« angeschlossen hatten. Belgische Antiterrorfahnder forderten von den Mossos Informationen zu al-Satty ein. Doch die katalanische Polizei hatte keine Informationen über ihn, mangels Hinweisen ihrer spanischen Kollegen, des CNI und der Nationalpolizei. Unklar ist, ob das auf ein Versagen der Kommunikation zwischen den spanischen und katalanischen Polizeikräften zurückzuführen ist oder ob der spanische Staat den Mossos absichtlich brisante Informationen vorenthalten hat.

Die jüngsten Enthüllungen über al-Satty haben die Spannungen zwischen spanischen und katalanischen Politikern noch verschärft, nicht zuletzt weil der Wahlkampf für die am 21. Dezember in Katalonien geplanten Wahlen bereits begonnen hat. Der von der spanischen Regierung entmachtete katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont twitterte aus Brüssel nach Bekanntwerden des Kontakts zwischen al-Satty und CNI, dass »ein Staat, der einen Terroristen als Informanten hat und eine Strategie des Angstschürens verfolgt, zu allem fähig« sei. Im Interview mit der katalanischen Online-Zeitung elnacional.cat sagte Puigdemont zudem, dass »man die Geheimdienstzusammenarbeit des Imams vermutete«, bevor diese bekannt wurde. Man sei damit aber nicht an die Öffentlichkeit gegangen, »weil man die katalanischen Behörden ohnehin nur der Lüge bezichtigt hätte«. »Was verheimlicht man uns noch?« fragte Puigdemont und riet, »sehr vorsichtig zu sein mit den Informationen, die der spanische Staat verbreitet«.

In der angespannten Lage nach dem von der spanischen Regierung als illegal eingestuften Referendum vom 1. Oktober über die Unabhängigkeit Kataloniens machten weitere Interpretationen die Runde. Seitens der linksradikalen Partei CUP (»Kandidatur der Volkseinheit«) etwa befürchtete man nach konkreten Warnungen, die der Partei übermittelt wurden, »Gewaltaktionen unter ›falscher Flagge‹«, wie Mireia Boya, eine Abgeordnete der CUP, zu Catalunya Ràdio sagte: »Etwa ein Attentat mit Todesopfern, das man den Kreisen radikaler Separatisten zuschreiben würde.« All das bezeichnete ein Minister der rechtskonservativen spanischen Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy prompt als Lüge.