Beach House verweigern sich mit ihrem Ablum »Dark Spring« der Sommerzeit

Ein Strandhaus auf der Milchstraße

Auf dem siebten Album des Dream-Pop-Duos Beach House lassen sich kosmische Metaphern und damit die Frage nach Leben und Vergehen finden.

In James Baldwins Erzählung »Heute morgen, heute abend, so bald« stößt man auf eine schlichte, aber hellsichtige Formulierung: »Du glaubst an die Liebe. Du ahnst nicht, wie machtlos die Liebe sein kann, aber die Liebe wird es dich lehren.« Der Inhalt ­dieser Sentenz dürfte einigen Menschen als Erfahrungswissen stetig zuwachsen, wobei die Band Beach House ihnen den Soundtrack zu besagten Lehrstunden liefert. Tatsächlich lassen sich in den Kommentarspalten gängiger Videoportale und anderer sozialer Kanäle unzählige Dankesbekundungen finden: Dafür, dass das Hörerlebnis durch Krisen lotst, die Reflexion über Bedürfnisse motiviert, Affekte freisetzt oder zu Empathie ermutigt. Es wird das weite Feld der Katharsis bedient, wenngleich die Songtexte in ihrer doppelten Lesbarkeit nichts mit Lebens­hilferatgebern gemeinsam haben.

Worin also mag die Essenz der Wirkung liegen, die so manche Delle im mentalen Haushalt glättet und die Hörerschaft geradezu anrührt?

Seit 2004 veröffentlicht das in Baltimore ansässige Duo Victoria Legrand und Alex Scally unter dem Namen Beach House. Genau zu jener Zeit fingen sie an, als sich Myspace, Last.fm und diverse Musikblogs in die Spur begaben und die Distribution, Rezeption sowie Kritik von Musik maßgeblich veränderten. Als Artisten der ersten Stunde dieser neuen ­digitalen Umschlagplätze für Musik haben Beach House davon profitiert, so Legrand in einem Interview. Zwar habe sie damals nicht wirklick geblickt, was zum Beispiel ein Blog ist, doch gespürt, wie Klickraten und Follower-Anzahl ihre Popularität steigerten und ihre Musik ins Gespräch brachten.

Die Band weiß aber auch um die Tücken dieser Entwicklung, waren sie doch selbst davon betroffen: Im Februar 2012 wurde ihr Album »Bloom« im Netz verbreitet, drei Monate vor der offiziellen Veröffentlichung. Glücklicherweise hat dieser Vorfall die Band nicht am Weiter­machen gehindert, so dass Beach House nicht nur My­space überlebt haben, sondern auch um eine Gewissheit reicher sind. »Du kannst keine Live-Show leaken«, so Legrands griffiges Resümee.

Beach House bleiben Konstrukteure schwärmerischer Melodiebögen. Jedoch wirkt der Gebrauch der künstlerischen Mittel weniger konditioniert als früher.

Obwohl, für kurze Zeit vernahmen einige Fans durchaus Anzeichen eines Abgesangs. Als Beach House 2017 die Platte »B-Sides and Rarities« ­herausbrachte, lagen Freude und Argwohn bei der Hörerschaft dicht beieinander. Zwar beglückt ob der Veröffentlichung, witterte ein Teil der Fangemeinde ebenso Anzeichen einer Bandauflösung. Neben lediglich zwei neuen Songs (»Chariot« und »Baseball Diamond«) war der große Rest der Platte dem kundigen Hörer längst bekannt. Man musste nur die bereits veröffentlichten Alben, EPs sowie Compilations sehr genau hören. Es hing also die Frage im Raum: Ist ­diese Rückschau etwa Ausdruck eines Mangels an Ausblick? Immerhin blickten Beach House zu diesem Zeitpunkt auf 13 Jahre Bandgeschichte zurück, in denen sie sechs Alben produzierten sowie unzählige Liveshows gaben. Angesichts dieses Pensums hätten einige Bands aus Überdruss sehr wohl das Requiem angestimmt und die einvernehmliche Trennung bekannt gegeben.

 

Nicht so Beach House, die am 14. Februar dieses Jahres den Seroto­ninhaushalt ihrer Fans gleich dreifach in Wallung brachten. Mit »Lemon Glow« gab es nicht nur einen neuen Song, sondern auch die Ankündigung eines neuen Albums und eines neuen Sounds, überrascht doch die erste Single durch Rauheit und eine Spur Imperfektion. Die dissonant und im Loop eingesetzten Synthesizer, die verzerrten Gitarrenakkorde und natürlich Victoria Legrands Gesang hypnotisieren. Dieser ist nicht so sehr exzeptionell angelegt, erhebt sich also sich nicht über Drums und Instrumentierung, sondern fügt sich ein in die eher ruhige Struktur des Songs.

Und auch das Herunter­pitchen der Stimme ist als Stilmittel bei Beach House relativ ungewohnt, doch ziemlich clever eingesetzt, da es die Sogwirkung des Liedes unterstützt. Das abrupte Ende markiert ebenfalls ein Novum, haben doch Beach House bislang eher zu Symmetrie im Songaufbau tendiert.

Für ihr nunmehr siebtes Album, das den Titel »7« trägt, haben sich Legrand und Scally eine Regel gesetzt: Jede Idee zulassen, egal, ob das im Studio Entstandene später auf der Bühne live wiedergegeben werden kann oder nicht. Während ihrer Studioarbeit vertrauten sie sich diesmal dem Produzenten Peter Kember aka Sonic Boom an. Dieser verstand es trefflichst, das Duo durch die fünf Minisessions im Aufnahmeraum zu leiten. Den elf Stücken hat Kember erfreulicherweise die penible Politur durch Effekte erspart. Die teilweise eingesetzten traditionellen Instrumente, wie etwa die Orgel, dürfen daher ihren zeitgeprägten Klang behalten.

Beach House selbst empfanden die Arbeit am aktuellen Album befreiend und wie Alex Scally in ­einem Interview zusammenfasst: »Endlich haben wir das Feuer entfacht, nachdem wir jahrelang wie Tiere auf Holzstöcke einhauten.«

»Dark Spring«, der Opener des Albums, ist denn auch Sinnbild dieser Entfesselung der Kräfte. Da wird mit einem furiosen Schlagzeugdonner in die Platte gestartet, der geläufig ist von einer Band wie Arcade Fire, aber weniger von Beach House. Auch die weiteren Songs des Albums sind stark vom Schlagzeugspiel geprägt. Dafür hat James Barone, der auch Tourdrummer der Band ist, gesorgt. Bei »Dive« läutet das Schlagzeug in der Liedmitte eine Wendung ein, welche die anfänglich somnambule Färbung des Songs umschlagen lässt.

Bei plötzlich treibendem Beat wird das Tempo angezogen, während Legrand in ihrem Sirenengesang fortfährt: »In eyes, lost in confusion / Golden hearts, left all illusion /
Is it my imagination / Shadow, flicker creation«. In »Black Car« schält sich das Schlagzeug im Verlauf des Songs sukzessive aus dem Hintergrund, wie ein Schauspieler, der auf der Bühne langsam nach vorn schreitet und in den Lichtkegel tritt.

In »Dark Spring« hingegen ist der Rhythmus sofort etabliert. Er wirkt wie ein Energiestrahl, an den der mehrstimmige Gesang Stück für Stück andockt, während Scally mit seinem flirrenden Shoegaze-Gitarrenspiel den Raum deutlich weitet. All das korrespondiert wunderbar mit dem Textgeschehen, das die Hörer ins Weltall versetzt, in direkte Nachbarschaft zu ablebenden Sternen und Orion: »Dark red light years / Brought near / Cold gone glowing / Night sing / Star death ringing / Brought fear / I want to lie in / They call Orion / The colors missing / Upon the dark spring«.

Die Zeilen lassen an die Erscheinung der sogenannten Roten Riesen denken: alte Sterne, die zwar von großer Ausdehnung und immenser Leuchtkraft sind, in Millionen Jahren als Weißer Zwerg oder Neutronenstern enden werden. Auch die Sonne ist auf Expansionskurs und wenn deren Transformationsprozess in die heiße Phase gerät, werden nicht nur Venus und Merkur von ihr verschluckt, sondern auch die Erde wird dran glauben müssen.

Unter den Vorzeichen von Vergänglichkeit erinnert das angedeutete Szenario einerseits an die Unwahrscheinlichkeit ewigen terrestrischen Fortlebens. Andererseits spielt Legrand hier mit der üblichen Vorstellung von Leben und Vergehen. Es sind beides eben keine distinkten Abläufe, sondern vielmehr Übergangs­phänomene, die sich gegenseitig überlagern und ineinander aufgehen, selbst wenn es so ist, wie es in »Dark Spring« am Ende heißt: »The worlds colliding / Unreal dividing / The colors missing / Upon the dark spring.« So nämlich der zukünftige Werdegang unserer Galaxie: Die Milchstraße wird in ein paar Milliarden Jahren mit der Andromeda-Galaxie kollidieren, exakter: fusionieren. Es wird sich demnach alles neu sortieren, von Negation kann also nicht die Rede sein. Das Universum bleibt ein Versprechen. Es wird ein Frühling kommen, wenn auch ein etwas düsterer.

»Wenn du ein Licht suchst, bewahre dir ein wenig Rauch«, sinniert Henri Michaux in seinem aphoristisch angelegten Werk »Eckpfosten«. Beach House haben sich bei der Arbeit an »7« anscheinend an diesem Gedanken orientiert. Kritiker, die in den letzten Jahren einen gewissen Leerlauf in den Arbeiten konstatierten, auf die allzu perfekte Gestaltung der Songs abhoben und eine Art Routine im Erschaffen wohlklingender, aber konfektionierter Pop-Perlen entdeckten, werden mit diesem Album milde gestimmt. Beach House bleiben Konstrukteure schwärmerischer Melodiebögen. Jedoch wirkt der Gebrauch der künstlerischen Mittel weniger konditioniert – Kompositionen sowie Sound sind brüchiger und Legrands Gesang weniger weihevoll. Gerade dies lädt zu einer Rezeption ein, die sich vom bloßen Schwelgen und Dahingleiten hin zu einem »aufhorchenden Hören« öffnet. Eines, das sich nicht im vorschnell verstehenden Hören erschöpft, sondern vielmehr ein stetes Ankommen bleibt. Und auch die lyrischen Einlassungen fordern zur ständigen Rückkehr, zum close reading auf, wenn Legrand songübergreifend Motive und Metaphern aufnimmt und sie weiterentwickelt.

 

Beach House: 7 (Sub Pop)