Die kubanische Regierung gestattet mehr Selbständigkeit, aber nicht im Kulturbereich

Kultur unter Kontrolle

Der Währungsreform in Kuba folgt eine Erweiterung der Liste von Berufen, die selbständig ausgeübt werden dürfen. Im Medien- und Kunstbereich aber wird die Berufsfreiheit eingeschränkt und die Repression verstärkt.

Immer wieder, erstmals im Herbst 2010 und zuletzt im November 2020, hat Ricardo Torres dafür geworben, den Privatsektor der kubanischen Wirtschaft zu fördern und mehr Berufe für die Selbständigkeit freizugeben – auch als das größte Reformprojekt der jüngeren Geschichte Kubas schon eingeleitet war: die Währungsreform. Der Sozialwissenschaftler der Universität Havanna hatte ergänzende Reformen zur Stärkung von kleinen, mittleren und genossenschaftlichen Unternehmen angeregt, um die Währungsreform zu stützen – erfolglos. »Es hatte den Anschein, dass für zusätzliche Maßnahmen der politische Wille, eventuell auch die Kapazitäten fehlten«, meint Torres. Der Ökonom gehört zu den international bekannten Analysten Kubas, er schreibt für Wochenzeitungen wie Progreso Semanal über die ökonomische und soziale Entwicklung auf der Antilleninsel.

»Die Talibanisierung der kubanischen Revolution hat begonnen.« Tania Bruguera, Performance-Künstlerin

Diese Entwicklung ist krisenhaft. Dafür sind die in den vergangenen Jahren erheblich ausgeweiteten US-Sanktionen mitverantwortlich; die Inselökonomie wird aber auch dadurch gelähmt, dass angekündigte Reformen zu zaghaft umgesetzt werden. Die Covid-19-Pandemie hat den Tourismus, die Dollar­überweisungen von Familienangehörigen im Ausland und die Exporte einbrechen lassen, wodurch der Reformdruck stark angestiegen ist. Um elf Prozent ist die Wirtschaftsleistung Kubas im Jahr 2020 offiziellen Zahlen zufolge geschrumpft. Besonders spürbar ist der Rückgang der Importe um etwa 40 Prozent, der sich nicht nur in leeren Regalen in Supermärkten und langen Schlangen davor, sondern auch im chronischen Mangel an Rohstoffen und Ersatzteilen bemerkbar macht.

Wirtschaftsminister Alejandro Gil kündigte erstmals im Juli 2020 weitreichende Reformen im Privat- und Genossenschaftssektor Kubas an. Doch erst am 5. Februar folgten Taten. An diesem Tag trat Arbeitsministerin Marta Elena Feitó Cabrera vor die Presse und gab bekannt, dass nicht mehr nur in 127 Berufen selbständig gearbeitet werden darf. »Jetzt können die Kubaner, die sich selbständig machen wollen, aus mehr als 2 000 Berufen wählen«, so die Ministerin im kubanischen Fernsehen. Allerdings seien weiterhin 124 Aktivitäten von der »Arbeit auf eigene Rechnung«, wie die Selbständigkeit in Kuba genannt wird, ausgenommen. Dadurch haben sich praktisch über Nacht die Voraussetzungen für die Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen grundlegend geändert; nun dürfen sie in Wirtschaftssektoren agieren, die zuvor den staat­lichen Unternehmen vorbehalten waren.

Ein Fortschritt, der selbst für Ex­perten wie den gut vernetzten Ricardo Torres vollkommen überraschend kam und der kubanischen Wirtschaft in einer äußerst schwierigen Situation Wachstumsmöglichkeiten verschaffen könnte. Mit der Währungsreform ist nämlich eingetreten, wovor Experten wie Torres oder Ökonom Omar Ever­leny Pérez gewarnt hatten. Der Geldmenge an Peso cubano, der nunmehr allein auf der Insel zir­kulierenden Währung, stehen zu wenig Waren gegenüber. »Wir haben es mit einer Mischung aus Inflation und Mangel an grundlegenden Produkten zu tun«, schildert Pérez die Lage. »Die Preise für die Produkte steigen rapide, aber die Produkte sind noch nicht einmal vorhanden.«

Der Mangel an im Land produzierten Waren kann nicht ohne weiteres kompensiert werden, denn es fehlt sowohl der Regierung als auch der Bevölkerung an Devisen, um Produkte zu importieren. Ein ökonomisches Desaster, das die Insel derzeit prägt und dafür sorgt, dass die Unzufriedenheit wächst. Daraus machen die Kubaner und Kubanerinnen kein Hehl. »Es wird in einem Ausmaß offen kritisiert, ­gemeckert und geschimpft, das ich noch nicht erlebt habe«, bestätigt Pérez.

Dem steht die Tatsache gegenüber, dass in den staatlichen Medien ein beispielloser Feldzug gegen unabhängige Künstler, freie Journalistinnen und Intellektu­elle läuft, die sich seit Mitte November 2020 gegen Zensur und staatliche Repression wehren (Künstler unter Hausarrest). In der Parteizeitung Granma wurden ­etliche der Aktivistinnen und Aktivisten, die nach dem ­Datum einer Protest­aktion vor dem Kulturministerium benannt als Gruppe 27 N auftreten, als Unruhestifter im Auftrag der USA, als Söldner und Kon­ter­revolutionäre dar­gestellt. In einigen Fällen wurden deren private Telefonnummer veröffentlicht, was die Performance-Künstlerin Tania ­Bruguera auf ihrer Facebook-Seite kri­tisierte, ebenso wie die am 10. Februar veröffentlichte Liste mit den 124 ille­galen freiberuflichen Tätigkeiten: »Kuba hat soeben ­begonnen, die gesamte nichtstaatliche Berichterstattung und Kunst zu ver­bieten. Die Talibanisierung der kubanischen Revolution hat begonnen.« Mit dem in Kuba recht ­populären Begriff der Talibanisierung werden ideologische Verhärtung und plumpe Angriffe auf jene bezeichnet, die anderer Meinung sind.

Auf der Liste finden sich zahlreiche Berufe, die ab Mitte der neunziger Jahre auf der Insel als freiberufliche Tä­tigkeiten mehr oder weniger geduldet wurden: Kurator, Produzentin, Illus­trator oder Koordinatorin von Kultur­events, Galerien und Kulturprojekten. All das wird fortan nicht mehr oder nur eingeschränkt geduldet.

In der Berichterstattung sei die Kontrolle allerdings nie aufgegeben worden, meint Iván García, ein Pionier des freien Journalismus in Kuba und Korrespondent der in den USA erscheinenden Tageszeitung Diario Las Américas. »Die unabhängigen Journalisten in Kuba waren nie geduldet, haben immer quasi illegal geschrieben und stehen dafür heute erneut unter heftigem Druck«, so der 53jährige. »Für mich ist es keine Überraschung, dass Journalismus als staatliche Monopol definiert wird.«

Mitte der neunziger Jahre stieß García zur ersten unabhängigen Presseagentur Cuba Press, er hat auch den »Schwarzen Frühling« 2003 miterlebt. Damals wurden landesweit 75 unbequeme Aktivistinnen und Aktivisten verhaftet, zu langjährigen Haftstrafen verurteilt und weggeschlossen. Eine vergleichbare Verhaftungswelle hält die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP) derzeit wieder für möglich und kritisiert, dass Journalisten und Künstlerinnen immer wieder unter Haus­arrest gestellt, Internetzugang und Mobiltelefon immer wieder über Stunden oder auch Tage lahmgelegt würden.

Obendrein kam es mehrfach zu Handgreiflichkeiten gegen Personen aus dem Kreis der rund 30 Mitglieder der Gruppe 27 N sowie zu Verhören und Verhaftungen; es traf aber auch Menschen aus dem Umfeld der Gruppe. Michael Matos, einen 40jährigen Dokumentarfilmer und Veranstalter, der seit Ende November mehr als vier Wochen in Hausarrest verbracht hat, hält das für Einschüchterungsversuche. Seit dem ersten Treffen im Kulturministerium am 27. November habe die Gruppe ­immer wieder Gesprächsangebote gemacht, an konkreten Vorschlägen und Vereinbarungen gearbeitet. »Dabei geht es längst nicht mehr um das Gesetz 349 oder 370, die Kultur, Kino und Journa­lismus regulieren und kontrollieren wollen, sondern um Grundsätzliches. Wir wollen Grundrechte wie die freie Meinungsäußerung, die in der Verfassung fixiert sind, im Alltag durchsetzen und uns schlicht der Zensur und Regulierung nicht weiter beugen«, so ­Matos.

An diesen konkreten Forderungen hält 27 N fest, wie eine Petition der Gruppe an das kubanische Parlament belegt, die Anfang Februar eingereicht wurde. Ein paar Tage nachdem der Kulturminister Alpidio Alonso Grau bei ­einem gescheiterten Treffen mit 27 N handgreiflich geworden war, forderte die Gruppe seinen Rücktritt. Das sind ungewohnte Töne in Kuba, von denen allerdings längst nicht alle Einwohnerinnen und Einwohner etwas mitbekommen. »Der Konflikt wird vor allem in Internet ausgetragen«, so Omar Everleny Pérez. Doch er steht für den doppelten Wandel auf der Insel – den ökonomischen und den politisch-kulturellen.