Stolze Jungs vor Gericht
»Boots on the Ground«: Mit diesem martialischen Ausdruck, der Militäreinsätze auf ausländischem Boden bezeichnet, betitelten die Proud Boys einen verschlüsselten Messenger-Kanal, in dem sie bei dem Angriff auf das Kapitol, das Parlamentsgebäude in Washington, D.C., ihr Vorgehen koordinierten. Eine am 19. März veröffentlichte Anklageschrift gegen vier Anführer der rechtsextremen Organisation gibt Hinweise darauf, dass der gewalttätige Protest Anfang Januar von langer Hand geplant wurde.
Die 2016 gegründeten Proud Boys, die nur Männer aufnehmen, sind eine der größten rechtsextremen Organisationen in den USA. Auch das FBI stuft sie als extremistisch ein. Ausgerüstet mit Schutzkleidung, Pfefferspray und Walkie-Talkies bildeten Mitglieder der Proud Boys am 6. Januar einen wohlorganisierten Block unter den Anhängern Donald Trumps und versuchten, die förmliche parlamentarische Bestätigung von Joe Bidens Sieg bei der Präsidentschaftswahl zu verhindern. Wie der Guardian berichtete, wurden im Zusammenhang mit der Erstürmung des Kapitols bereits 19 Anhänger der Proud Boys angeklagt.
»Das war ein unglaublicher Angriff auf die Institutionen unserer Regierung.«
Jason McCullough, stellvertretender Staatsanwalt im US-amerikanischen Bundesjustizministerium
Den Anführern wirft die Staatsanwaltschaft unter anderem eine Verschwörung zur Verhinderung eines gesetzlichen Vorgangs, Betreten und Verweilen in einem gesperrten Gebäude, Behinderung der Strafverfolgung und Zerstörung staatlichen Eigentums vor. Eine Videoaufnahme vom 6. anuar zeige, wie zwei von ihnen, mit Megaphon und Funkgerät ausgestattet, den Zug ihrer Gefolgsleute in Richtung Kapitol führten, berichtete die Seattle Times. »Zwei Männer auf einer Mission, mit ungefähr 500 hinter ihnen, die bereit sind, für das Wohl dieses Landes ein paar Hintern zu versohlen«, kommentierte dazu der filmende Proud Boy. Der stellvertretende Staatsanwalt im Bundesjustizministerium, Jason McCullough, sah das anders. Der Nachrichtenagentur Associated Press sagte er: »Das war kein einfacher Protest. Das war ein unglaublicher Angriff auf die Institutionen unserer Regierung.«
Auch der ehemalige Trump-Berater und -Vertraute Roger Stone, den der Präsident im Dezember 2020 begnadigt hatte, ist wegen seiner Rolle am 6. Januar im Blickfeld der Staatsanwaltschaft. Einem Bericht der Washington Post zufolge sei sein Name in den Anklageschriften gegen die Organisatoren des Angriffs mehrfach gefallen. Stone hatte im Vorfeld des Angriffs zum Protest gegen die »gestohlene Wahl« aufgerufen und engen Kontakt zu Führern der Proud Boys unterhalten.
Zwei der vier Angeklagten haben bereits auf nicht schuldig plädiert und damit die Vorwürfe von sich gewiesen. Es handelt sich um Männer zwischen 30 und 37 Jahren, drei von ihnen sind Anführer regionaler Gruppen der Proud Boys. Der mutmaßlich ranghöchste von ihnen ist Ethan Nordean. Er ist seit 2018 Mitglied im »Ältestenrat« genannten Führungsgremium der Organisation.
Nordean drohen 30 Jahre Haft, sollte er in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen werden. Sein Werdegang ist ein typisches Beispiel für die Radikalisierung, die viele Rechte in den Jahren von Trumps Präsidentschaft durchlaufen haben. Der Bodybuilder nahm seit 2017 an rechtsextremen Protesten in Seattle in seinem Heimatstaat Washington und in Portland, Oregon, teil. Die von der Pro-Trump-Gruppe »Patriot Prayer« organisierten Aufmärsche richteten sich bald vor allem gegen die Antifaschisten in diesen Städten und zogen neben Proud Boys und Neonazis verschiedene gewaltbereite Rechte an. Nordean, schrieb der Journalist David Neiwert Ende Januar auf Twitter, sei dabei »durch das außergewöhnliche Ausmaß verbrecherischer Gewalt« aufgefallen.
Die Straßenkämpfe mit der Antifa und anderen Gegendemonstranten waren für die extrem rechte Szene identitätsstiftend und Werbung zugleich – Aufnahmen werden oft in den sozialen Medien verbreitet. Nordean erlangte Prominenz in der Szene, als er im Sommer 2018 bei einem Aufmarsch in Portland einen Gegendemonstranten mit einem Faustschlag niederstreckte und sich die Videoaufnahme massenhaft als Meme im Internet verbreitete. Die Bewegung kürte ihn zum »Proud Boy of the Week« und der rechtsextreme Verschwörungstheoretiker Alex Jones lud ihn in seine im Internet übertragene Sendung ein. »Dieser Knockout markiert einen Wendepunkt unserer Bewegung, den Anfang vom Ende der Antifa«, tönte der Mitgründer der Proud Boys, Gavin McInnes, begeistert in einem Interview mit Nordean.
Indem sie die angeblich linksextreme Antifa zu ihrem Hauptgegner erklärten, konnten die Proud Boys trotz ihrer Militanz und Überschneidungen mit dem Neonazi-Millieu lange für das konservative Milieu anschlussfähig bleiben. Präsident Trump hatte im Mai vergangenen Jahres angekündigt, die Antifa zu einer Terrororganisation zu erklären, nachdem es bei Protesten gegen Polizeigewalt anlässlich des Todes des Afroamerikaners George Floyd in einigen Städten zu Ausschreitungen gekommen war. Anders als andere Gruppen der Alt-Right geben die Proud Boys vor, einen nichtrassistischen »westlichen Chauvinismus« zu vertreten. Die Bewegung greift auch sonst Themen vom rechten Rand der republikanischen Partei auf. So beteiligte sie sich an Protesten gegen Coronamaßnahmen, gegen die Bewegung Black Lives Matter sowie zur Verteidigung von Statuen von Südstaaten-Generälen, nachdem Linke deren Abbau gefordert hatten.
Die Proud Boys haben auch einige nichtweiße Mitglieder. Ihre militante antikommunistische Rhetorik steht in die Tradition des Antikommunismus des Kalten Kriegs und ist damit auch für migrantische Nationalisten attraktiv. Bei einem Protest verkauften Proud Boys T-Shirts mit der Aufschrift »Pinochet Did Nothing Wrong!« (»Pinochet hat nichts Falsches getan!«). Damit verteidigten sie den Diktator Augusto Pinochet, der 1973 mit Hilfe der USA den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende weggeputscht und bis 1990 ein blutiges Regime in Chile angeführt hatte. Ein öffentliches Gesicht der Bewegung ist beispielsweise Henry »Enrique« Tarrio, ein Sohn schwarzer Einwanderer aus Kuba, der seine politische Karriere in der Organisation »Latinos for Trump« begann, die den damaligen Präsidenten bei seinem Wahlkampf unterstützte.
»Es war eine fürchterliche Idee, ins Kapitol einzudringen«, sagte Tarrio Anfang März dem Fernsehsender NBC, offenbar bemüht, das Image der Organisation zu retten. Aber nur einzelne Proud Boys hätten das Gesetz gebrochen. Verantwortlich sei vor allem die Regierung, die die Gewalt nicht unterbunden habe. Tarrio war beim Sturm auf das Kapitol nicht dabei, weil er zwei Tage zuvor wegen Sachbeschädigung festgenommen worden war. Zahlreiche Gruppen der Proud Boys distanzierten sich von ihm, nachdem die Nachrichtenagentur Reuters Ende Januar bekanntgegeben hatte, dass Tarrio als Informant für das FBI gearbeitet habe.
Wie der Chefankläger des Justizministeriums, Michael Sherwin, in einem Interview mit dem Fernsehsender CBS sagte, wurden bisher 400 Menschen wegen der Ereignisse am 6. Januar angeklagt. An der Erstürmung des Parlaments nahmen neben Neonazigruppen, evangelikalen Christen und Alt-Right-Influencern wie dem im Januar festgenommenen Streamer Anthime Joseph Gionet (»Baked Alaska«) auch Demonstranten teil, die spontan dem Aufruf ihres Präsidenten gefolgt waren. Unter den etwa zwei Dutzend wegen Verschwörung angeklagten Personen sind jedoch neben Proud Boys vor allem Mitglieder der Oath Keepers (»Eidwächter«). Gegen die Mitglieder dieser Miliz, in der sich vor allem ehemalige Soldaten und Polizisten organisieren, die behaupten, ihren Eid zum Schutz der Verfassung erfüllen zu wollen, erwägt das Justizministerium sogar wegen des schwerwiegenden Tatbestands des Aufstands gegen die Regierung zu ermitteln. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, »vor der Operation am 6. anuar paramilitärische Kampftaktiken trainiert« zu haben, berichtete die New York Times unter Berufung auf Gerichtsdokumente.
Die seit Januar erhobenen Anklagen zeigen, dass die Regierung Biden die Gefahr, die von diesen Gruppen ausgeht, als hoch einschätzt. Die Strafverfolgung wegen des Sturms aufs Kapitol werde »oberste Priorität« haben, versprach der neue Generalstaatsanwalt und Justizminister Merrick Garland bei seiner Anhörung anlässlich seiner Ernennung vor dem Senat im Februar. »Ich möchte aber auch, dass wir uns gleichzeitig allgemeiner anschauen, wo das alles herkommt, und was es für andere Gruppen gibt, die so ein Problem in Zukunft verursachen könnten.«