Die Ermittlungen im griechischen Abhörskandal werden gebremst

Nur ein kleiner Fehler

In Griechenland soll ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss eine Abhöraffäre aufklären, betroffen sind Oppositionspolitiker und Journalisten.

»Es gab einen Fehler, den habe ich eingestanden«, sagte der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis am Sonntag bei seiner Pressekonferenz zur Lage der Nation anlässlich der Internationalen Messe von Thessaloniki. Dieser Fehler solle nicht das politische Leben im Land beherrschen, weil sonst die Zukunft der Nation gefährdet sei.

Mit Fehler meinte Mitsotakis die Tatsache, dass Politiker und Journalisten vom Inlandsgeheimdienst EYP »aus Gründen der nationalen Sicherheit« abgehört worden waren. Das prominenteste Opfer ist der Europaabgeordnete Nikos Androulakis, der mittlerweile auch Vorsitzender der wiedererstarkten sozialdemokratischen Partei Pasok ist. »Er war noch nicht Parteichef«, sagte Mitsotakis, der seinerseits die konservative Partei Nea Dimokratia (ND) anführt. Bislang wurde lediglich nachgewiesen, dass Androulakis Ende 2021 abgehört worden war, als er für den Vorsitz der Pasok kandidiert hatte. Danach sei das Abhören des Europaparlamentariers eingestellt worden, heißt es offiziell. Überprüfbar ist das nicht, denn, so sickerte durch, die Abhörprotokolle seien »aus technischen Gründen« vernichtet worden, obwohl gesetzlich eine Aufbewahrungdauer von zwei Jahren vorgeschrieben ist.

Es ist nicht die einzige Ungereimtheit in diesem Skandal, der bislang zwei Verantwortliche das jeweilige Amt kostete: den Geheimdienstchef Panagiotis Kontoleon sowie Grigoris Dimitriadis, Mitsotakis’ Neffen und Büroleiter, zuständig für die Kooperation zwischen Regierung und Geheimdienst. Sie bezahlten damit für das, was Mitso­takis immer wieder als »Fehler« baga­tellisiert. »Niemand ist von der Überwachung ausgenommen«, sagte er in Thessaloniki zum wiederholten Mal. Er wird nicht müde zu betonen, dass es ­legal sei, Politiker und Journalisten abzuhören. Seine Regierung nutzte ihre Parlamentsmehrheit, um der formal un­abhängigen Netzaufsichtsbehörde zu untersagen, abgehörte Bürger nachträglich über das Abhören und die Gründe dafür zu informieren. Auf der Rangliste der Pressefreiheit der NGO Reporter ohne Grenzen rangiert Griechenland auf Platz 108 von 180.

»Alles ans Licht«, das versprach Mitsotakis bei seiner Ansprache an die Griechen am 8. August, nachdem Kontoleon im Parlamentsausschuss für ­Institutionen und Transparenz hatte zugeben müssen, dass Androulakis abgehört worden war. Ans Licht gekommen war diese Abhöraktion durch eine Überprüfung seines Mobiltelefons beim Europaparlament. Eher zufällig fand zudem der Journalist Stavros Malichudis heraus, dass auch er angezapft worden war, als er seinen Namen in ­einer an die Presse durchgestochenen Abhörliste las. Der investigative Journalist Thanasis Koukakis ließ sein Mobiltelefon beim Citizen Lab der Univer­sität von Toronto überprüfen. Es stellte sich heraus, dass gegen Androulakis, Koukakis und auch bei Christos Spirtzis, einem Politiker der linken Partei Syriza, die illegale Spionagesoftware Predator eingesetzt worden war.

Die Firma Intellexa, die diese Spyware verkauft, ist in Athen ansässig, seit sie wegen dubioser Abhöraktionen in Zypern ihren Standort hatte wechseln müssen. Bis heute gab es keine behördliche Durchsuchung in den Büros von Intellexa, keine Befragung ihrer Angestellten. Mitsotakis zufolge hat der Geheimdienst EYP, dessen Oberaufsicht er 2019 als erste Amtshandlung in ­seine eigenen Hände legte, mit Predator nichts zu tun.

Dora Bakogianni, ND-Abgeordnete und Schwester des Ministerpräsidenten, verkündete im Fernsehen, dass jeder, der Wissen über Abhöraktionen öffentlich äußert, mit zehn Jahren Haft rechnen müsse. In dem Ende August installierten parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu der Abhöraffäre wehren die vorgeladenen Zeugen aus den griechischen Behörden unliebsame Fragen unter Berufung auf »Vertraulichkeit« und die »nationale Sicherheit« ab.

Koukakis untersuchte Geldwäsche von griechischen Banken und die diese ermöglichende Gesetzgebung Mitsotakis’. Sein Mobiltelefon wurde nachweislich mit der gleichen Methode und einer gleichartigen SMS mit Predator infiziert wie bei Androulakis und Spirtzis. Die Regierung will darin nur einen Zufall sehen. Schließlich, so heißt es, könnten ausländische Geheimdienste dahinterstecken.

Die Bedrohung aus dem Ausland ­beschwört Mitsotakis immer wieder. Er bezieht sich ausdrücklich auf die Aggression der Türkei, auf die Geflüchteten an der Grenze, die er als Gefahr ansieht, und auf die ausländische Presse. Dieser wirft er eine gesteuerte Kam­pagne gegen seine Regierung vor. Die Wählerschaft unterstützt ihn Umfragen zufolge weiterhin. Demoskopen sehen die ND bei 30 Prozent und damit rund fünf Prozentpunkte vor der zweitstärksten Partei Syriza.

Spätestens im Sommer 2023 steht eine Parlamentswahl an. Vorgezogene Neuwahlen wegen des Skandals schließt Mitsotakis aus, sie wären eine »Zeit der Instabilität«, die Griechenland gefährden würde in Zeiten des Ukraine-Kriegs und türkischer Drohungen. Das Land brauche ihn als »Regenten« – ein Begriff, den griechische Ministerpräsidenten seit der Wiederherstellung der Demokratie 1974 nicht mehr benutzten. Er war in der griechischen Geschichte Diktatoren und ­Autokraten vorbehalten.

Außerdem sei die Alternative zu seiner Regierung eine »politische Missgeburt«. So bezeichnete Mitsotakis eine seiner Ansicht nach mögliche Koalition von Syriza, Pasok, Yanis Varoufakis’ Partei Mera 25 und der Kommunistischen Partei. Dass die Kommunisten jegliche Koalition oder auch nur Duldung einer sozialdemokratischen ­Regierung explizit ausschließen, verschwieg er.

Mitsotakis sorgt sich um seine absolute Mehrheit, denn der bisherige Bonus von 50 zusätzlichen Mandaten für die stärkste Partei gilt bei der kommenden Wahl nicht mehr.

Gemäß dem von der früheren Syriza-Regierung erlassenen, bei der Wahl 2019 noch nicht gültigen Wahlgesetz wird nach Verhältniswahlrecht mit einer Sperrklausel von drei Prozent gewählt, Zusatzmandate gibt es nicht mehr. Dadurch, sinnierte Mitsotakis, sei es möglich, dass die stärkste Partei nicht den Regierungschef stellt. So sei keine stabile Regierung möglich, sagte der Ministerpräsident am Sonntag. Bei der dreistündigen Pressekonferenz stellte lediglich ein griechischer Journalist der ausländischen Nachrichtenagentur Associated Press eine Frage. Alle übrigen Fragen kamen von ­griechischen Medien.

Jüngst hat Mitsotakis das Wahlrecht erneut ändern lassen, die Partei mit den meisten Stimmen erhält wieder 50 Sitze Zuschlag – allerdings erst bei den übernächsten Wahlen. Damit kann die stärkste Partei mit einem Wahlergebnis in der Größenordnung von 38 Prozent die absolute Mehrheit im Parlament erreichen und auf Koalitionspartner verzichten. Zweifellos hofft Mitsotakis, dass der ND dies gelingen wird. Sie gewann 2019 mit 39,85 Prozent der Stimmen 158 der 300 Sitze im Parlament, während Syriza mit 31,53 Prozent nur auf 86 kam.