Der sich ausweitende Abhörskandal verschärft die politische Krise in ­Griechenland

Exzessive Überwachung

Trotz des sich ausweitenden Abhörskandals scheiterte ein Misstrauensvotum gegen die griechische Regierung. Diese versucht nun, weitere Untersuchungen zu unterbinden.

Das Misstrauensvotum im Parlament wegen des Abhörskandals hat die konservative griechische Regierung mit 156 zu 143 Stimmen überstanden, aber die politische Krise verschärft sich. Bei der Abstimmung Ende Januar hielten die Abgeordneten der regierenden Nea Dimokratia zu ihrem Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, den der Oppositionsführer Alexis Tsipras, Vorsitzender der linken Partei Syriza, als Lenker eines »kriminellen Netzwerks« bezeichnete. Syriza kündigte an, bis zu den Wahlen – mit Ausnahme eines Votums über Parteienverbote – an keiner Abstimmung im Parlament mehr teilzunehmen, da die Regierung fortwährend gegen die Verfassung verstoße; die Regierung kontert, dass das Fernbleiben von Abstimmungen einen eklatanten Verfassungsbruch darstelle.

In Griechenland hat der Wahlkampf bereits begonnen, wenngleich Mitsotakis den Wahltermin noch nicht bekanntgeben will. Bis Juli muss gewählt werden – doch bei einer Wahl wird es möglicherweise nicht bleiben. Denn bei den nächsten beiden Wahlen gilt das von der linken Syriza-Regierung 2016 beschlossene Verhältniswahlrecht mit einer Sperrklausel von drei Prozent. Bei weiteren Wahlen aber kommt das von Nea Dimokratia 2020 wieder eingeführte Bonussystem zur Anwendung, welches der stärksten Partei zusätzliche Parlamentssitze und somit die absolute Mehrheit bereits bei einem Stimmanteil von knapp 35 Prozent verschafft. Dieses Wahlrecht gilt bei den folgenden Wahlen.

Mitsotakis bezeichnete das Verhältniswahlrecht »eine Bombe an den Fundamenten der Demokratie«. Er bevorzugt eine Alleinregierung seiner Partei, die Umfragen zufolge derzeit mit etwas mehr als 35 Prozent der Stimmen rechnen kann. Er und seine Parteigänger haben bereits die Absicht angedeutet, nach Kräften dafür zu sorgen, dass möglichst drei Wahlen hintereinander abgehalten werden müssen, damit seine Nea Dimokratia nach neuem Wahlrecht die absolute Mehrheit im Parlament erhält.

Überdies ist fraglich, ob die Wahlen noch als unbeeinflusst bezeichnet werden können, denn mittlerweile ist klar, dass vom Inlandsgeheimdienst EYP auch Oppositionspolitiker abgehört wurden, darunter Nikos Androulakis, der Vorsitzende der drittstärksten Partei, der sozialdemokratischen Pasok, und, wie jüngst bekannt wurde, auch dessen Familienangehörige.

Mit Spionagesoftware abgehört und überwacht wurden Politiker, Minister, Journalisten und Unternehmer – und mehr als 20 Monate lang sogar hohe Offiziere der Militärführung. Der EYP wurde Mitsotakis nach dessen Regierungsübernahme 2019 nach einer umstrittenen Reform direkt unterstellt. Seine Regierung räumt Fehler ein, Mitsotakis behauptet, von alldem nichts gewusst zu haben, begnügt sich ansonsten aber mit dem Verweis auf die »nationale Sicherheit« – womit die Abgehörten implizit dem Vorwurf ausgesetzt sind, die Sicherheit Griechenlands gefährdet zu haben.

Die Regierung hat einige Abhöraktionen eingestanden, andere, wie die Überwachung der Militärführung, streitet sie ab und behauptet, alle Überwachungsaktivitäten hätten im Rahmen der Gesetze stattgefunden. Sie hat selbst ein Gesetz erlassen, das es Überwachten so gut wie unmöglich macht zu erfahren, ob und aus welchem Grund sie abgehört wurden. Ein weiteres kürzlich beschlossenes Gesetz beschneidet zudem die verfassungsmäßig verankerte Handlungsvollmacht der Datenschutzbehörde Adae, betroffene Bürger von Lauschangriffen zu unterrichten. Zudem hat kürzlich der griechische Generalstaatsanwalt Isidoros Ntogiakos der unabhängigen Behörde untersagt, Rechnungsprüfungen bei Telekommunikationsunternehmen durchzuführen. Damit wird der Behörde die Möglichkeit entzogen, aufzudecken, wer von griechischen Geheimdiensten überwacht wird. Sie kann nun auch nicht prüfen, ob, wie der Syriza-Parlamentarier Giannis Ragoussis im Parlament erklärte, ein Bürger mit einer SMS zur Bestätigung seines Impftermins die Spionagesoftware Predator untergeschoben bekam.

Die Verantwortung für die Überwachung trägt allerdings nicht allein die Nea-Dimokratia-Regierung. Bereits in der Regierungszeit von Syriza 2015 bis 2019 gab es einen starken Anstieg der Zahl der Abhöraktionen. Tsipras begründete dies in der vergangenen Woche mit der Flüchtlingskrise. Er behauptete, dass die intensivierten Abhöraktionen dazu dienen sollten, terroristische Gefahren abzuwehren, welche von den Flüchtlingen aus islamischen Staaten ausgehen würden.

Die niedrigeren Hürden für die Genehmigung von Abhöraktionen gehen auch auf ein Gesetz der Regierung Tsipras zurück. Damals wurde, wie bereits unter den Vorgängerregierungen, das Telefonzentrum in der Zentrale der Kommunistischen Partei (KKE) angezapft. Aufgrund eines in Tsipras‘ letzten Regierungstagen 2019 erlassenen Gesetzes kann auch dieser Fall nicht aufgeklärt werden. Die Verjährungsfrist wurde seinerzeit auf fünf Jahre herabgesetzt.

Die konservative Regierung wirft diese Abhöraktionen gegen die KKE, die auch unter ihrer Regie weitergingen, nun Tsipras vor. »Ein Schuldiger kann keinen anderen Schuldigen anprangern«, sagte Giorgos Gerapetritis, Minister ohne Geschäftsbereich, bei der Diskussion über das Misstrauensvotum im Parlament. Zu Beginn der Affäre vor rund einem Jahr, als die geheimdienstliche Überwachung von Journalisten bekannt wurde, hatte die Regierung behauptet, von all dem nichts zu wissen.

Wenig zu befürchten von Ermittlungsbehörden haben offenbar die als »Greek Mafia« bezeichneten Gruppen organisierter Krimineller. Jüngsten Reportagen griechischer investigativer Journalisten zufolge waren sie mit Fahndern, Geheimdienstlern, Journalisten und Mitarbeitern im Büro des Ministers für öffentliche Sicherheit, Takis Theodorikakos, bestens vernetzt. Hier kamen die exzessiven staatlichen Abhörbefugnisse nicht zur Anwendung, vielmehr sollen die Mafia-Bosse rechtzeitig von ihren Spitzeln erfahren haben, dass sie abgehört werden sollten oder eine Razzia bevorstand, und Einfluss auf die Besetzung von Schlüsselpositionen bei der Polizei genommen haben. Theodorikakos hat eine Untersuchung angeordnet und behauptet, von allem nichts gewusst zu haben.

Zudem befindet er sich nun auch wegen einer persönlichen Affäre in Erklärungsnot. Ausgerechnet vom bislang regierungsfreundlichen DOL-Medienkonzern wurde berichtet, dass der Sohn des Ministers zusammen mit einer Gruppe von Freunden, bei denen Drogen gefunden wurden, in die Fänge einer Polizeistreife geraten sein soll. Eine Anzeige gab es dem Journalisten Vassilis Lampropoulos zufolge nicht, der Vorfall sei vertuscht worden. Theodorikakos bezeichnete dies als verleumderisch.