Über die Demonstration von Muslim Interaktiv in Hamburg

Es bleibt kompliziert

Als Antwort auf eine Koranverbrennung von Rechtsextremen in Schweden organisierte die islamistische Gruppierung Muslim Interaktiv Ende Januar eine Demonstration in Hamburg. Rechts­extreme und Islamisten nutzen einander, um ihr jeweiliges Feindbild zu bestätigen, ideologisch zeigen sich Parallelen.

Rund 3 500 Menschen versammelten sich Anfang Februar in Hamburg unter dem Motto »Die Zukunft gehört dem Koran«. Auf den von den Organisatoren verteilten Schildern waren Botschaften zu lesen wie »Der Koran ist unsere rote Linie«, »Der Koran ist unantastbar« oder »Ein Angriff auf den Koran ist ein Angriff auf uns«. Aufgerufen zu der Kundgebung hatte eine in den sozialen Medien unter dem Namen Muslim ­Interaktiv auftretende Organisation, die ideologisch der seit 2003 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten Organisation Hizb ut-Tahrir nahestehen soll. Diese 1953 von dem palästinensischen Religionsgelehrten Taqi al-Din al-Nabhani gegründete transnationale islamistischen Bewegung ruft zur Vernichtung Israels und zur Tötung von Juden auf; die Organisation will ein weltumspannendes Kalifat errichten. In Deutschland war sie vor allem an Universitäten aktiv.

Islamisten gehe es »nicht um das Anprangern von Rassismus, sondern um die Artikulation der eigenen Überlegenheitsvorstellung«, sagt Jonas Kruthoff von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

Auslöser für die Mobilisierung der Islamistischen Gruppe war die Verbrennung eines Korans Ende Januar in der schwedischen Hauptstadt Stockholm. In direkter Nähe der türkischen Botschaft zündete der rechtsextreme Politiker Rasmus Paludan öffentlichkeitswirksam ein Exemplar der Schrift an. Die Gebühr für die Genehmigung der Kundgebung hatte der schwedische Rechtspopulist Chang Frick entrichtet, ein ehemaliges Mitglied der nationalistischen Partei Schwedendemokraten. Laut der Zeit zeigt Frick sich gern in T-Shirts mit Putin-Motiven. 2017 begleitete er eine Wahlbeobachtermission in Russland und arbeitete für die vom russischen Staat finanzierte Nachrichtenagentur Ruptly.

Die schwach frequentierte Versammlung sorgte für schwere diplomatische Spannungen zwischen Schweden und der Türkei. Deren Präsident Recep Tayyip Erdoğan drohte damit, den Nato-Beitritt Schwedens weiter zu blockieren. Verschiedene Beobachter vermuten, dass dies auch das vordergründige Ziel der rechtsextremen Organisatoren war. Recherchen der Zeit zufolge schrieb Christian Peterson, ein weiterer Protagonist der rechtsextremen Szene Schwedens, auf Telegram: »Wir haben es geschafft, Leute. Wir haben für 320 schwedische Kronen den Eintritt in die Nato gestoppt.«

Gleichzeitig provozierte die Kundgebung auch die Proteste der organisierten Islamisten. Jedoch gehe es den Organisatoren von Muslim Interaktiv »nicht um das berechtigte Anprangern von Rassismus, sondern um die Artikulation der eigenen Überlegenheitsvorstellung«, sagt Jonas Kruthoff, Mitglied im Bundesvorstand des Jungen ­Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, der Jungle World. Ein gutes Beispiel dafür sei die Aufschrift eines Transparents auf der Kundgebung in Hamburg: »Allah erhebt Leute mit diesem Buch und erniedrigt andere.«

Für Gruppen wie Muslim Interaktiv sind Rechtsextremisten wie Rasmus Paludan ideal, um »die ultimative Islamfeindschaft des Westens zu beweisen«, so Kruthoff weiter, »während Rechtspopulisten angesichts der Veranstaltung in Hamburg erneut über eine Islamisierung Deutschlands phantasieren können«. Die beiden Strömungen benötigten einander als Bestätigung ihres Feindbilds.

Völkische und islamistische Rechte eint die Ablehnung demokratischer und pluralistischer Gesellschaften. Beide pflegen strikte Geschlechtsrollenbilder und Homophobie aus, beide wettern gegen die imaginierte LGBTQ-Lobby. Beide eint auch der Hass auf die USA und Israel, was sich besonders im Zuge des Dritten Golfkriegs zeigte. Im Oktober 2002 hielt Udo Voigt, der damalige Vorsitzende der Nationaldemokratischen Partei (NPD), eine Rede auf einer Veranstaltung der Hizb ut-Tahrir in Berlin. Nur kurz darauf erschien im Parteiorgan Deutsche Stimme ein Interview mit dem Repräsentanten der Organisation, Shaker Assem, unter der Überschrift »Palästina von Zionisten befreien!«. Einen Monat später trat Assem als Redner auf einer Veranstaltung der Jugendorganisation der NPD auf. Das Motto der Veranstaltung: »Kein Blut für Öl – Nein zum Krieg«.

Theresa Lehmann von der Amadeu-Antonio-Stiftung verweist im Gespräch mit der Jungle World auf weitere Gemeinsamkeiten, zum Beispiel den Hang, die autoritäre Haltung durch eine martialische Ästhetik auszudrücken. Die Strategien von Muslim Interaktiv erinnern Lehmann an die Aktionen und den professionellen Einsatz sozialer Medien der Identitären Bewegung (IB). Sie seien zentral für die Anwerbung, Mobilisierung und Bekanntmachung ihrer analogen Aktionen. Den islamistischen Organisatoren gelänge es, ähnlich wie der IB, ihren Aktivismus in der breiten Öffentlichkeit zu platzieren. Besonders hebt die Expertin für soziale Medien dabei den Erfolg der Islamisten auf der Plattform Tiktok hervor. Hier hat Muslim Interaktiv in den letzten zwei Jahren erheblich an Reichweite zugelegt. Aus 7 000 Followern im Jahre 2021 sind mittlerweile über 58 000 geworden. Auch die Zugriffszahlen der einzelnen Videos liegen größtenteils im fünfstelligen Bereich. Die Zielgruppe seien hauptsächlich junge Männer.

»Junge deutsche Muslime, die unzufrieden sind, sich ausgegrenzt fühlen«, so Lehmann, würden vor allem von der »martialischen Ästhetik« angezogen, die an »Deutschrap-Videos« erinnert. Der verunsicherten Zielgruppe mit ihrem Identitätskonflikt wird ein exklusives Angebot gemacht, das Wehrhaftigkeit und Zusammenhalt verspricht. Nach außen bekennen sich die Männer gegen die Moderne, all jene, die den Islamismus kritisieren oder den Islam säkularisieren wollen, gelten ihnen als Feinde. Frauen, liberale ­Religionsvertreter, Andersdenkende und Angehörige anderer Minderheiten werden von ihnen unter Druck ­gesetzt. Das sind häufig auch Themen im Deutschrap, und so verwundert es kaum, dass bekannte Größen der Deutschrap-Szene wie Sadiq, Gringo und Milonair ihre Anhänger dazu aufriefen, an der Kundgebung teilzu­nehmen.