Kolumne übers Spazierengehen. Die Bahn als neue Singlebörse?

Die Deutschen machen mobil

Eine Zugfahrt mit Deutschlandticket ist lustig.

Hurra, das Schlandticket ist da! Und das schon seit fast zwei Monaten. Laut dem Verband der Verkehrsunternehmen VDV haben bereits rund sieben Millionen Menschen ein Abo abgeschlossen. Zeit für eine Zwischenbilanz aus der Sicht des sparfüchsigen Städters, der sich mit dem Nahverkehr aus seinem gewohnten Habitat für einen Wochenendausflug verabschieden will, um die Idylle der ländlichen Prärie Deutschlands zu genießen.

Dass das 49-Euro-Ticket die Mobilität (der Begriff Mobilität kommt aus der Militärsprache und bedeutet so viel wie »einsatzbereit«) der Deutschen steigert, verwundert zunächst einmal nicht, gleiches durfte man ja bereits im vergangenen Jahr erfahren, wenn auch damals für schlappe neun Euro. Dass der Andrang – vornehmlich am Wochenende – zum Zusammenrücken in den Abteilen der Züge führen kann, damit war zu rechnen. Dass allerdings das beschauliche brandenburgische Jüterbog (das man zurzeit eher aus den Nachrichten wegen eines nahegelegenen Waldbrandes in der Umgebung kennt) zum Dreh- und Angelpunkt des Wochenendausflugs wird, weil dort einige Zugstrecken zusammenlaufen, verwunderte dann doch ein wenig.

Nach kurzer Zeit drückt dann schon die Blase, aber Abhilfe ist leider erst einmal nicht in Aussicht, denn die einzige Bordtoilette ist »außer Betrieb«.

Positiv festzuhalten ist zunächst einmal, dass die Reviermarkierung egoistischer Zugnutzer durch Gepäckablage auf eigentlich freien Plätzen nicht mehr funktioniert, denn die »Einsatzbereitschaft« der Deutschen führt zu vollen Zügen und belegten Sitzplätzen; es werden sämtliche Nischen gebraucht, um Fahrräder, Kinderwagen und große und kleine Menschen zu verfrachten. Blöd nur, wenn dann die Klimaanlage ausfällt. Aber der bedachte Städter hat vorausschauend gehandelt und kann sich zumindest innere Abkühlung verschaffen, indem er die mitgebrachten Wasservorräte in schnellen Zügen (Wortwitz!) die trockene Kehle hinunterlaufen lässt. Nach kurzer Zeit drückt dann schon die Blase, aber Abhilfe ist leider erst einmal nicht in Aussicht, denn die einzige Bordtoilette ist »außer Betrieb«. Nun bleibt der Zug auch noch inmitten der pittoresken Landschaft stehen, denn ein halbleerer ICE hat Vorrang.

Einige Leidensgenossen sind bereits weggedämmert, mit anderen kommt man sich durch gemeinsames Schimpfen auf die Deutsche Bahn schnell näher, und vielleicht ist das Zugabteil dank des 49-Euro-Tickets auch die Beziehungsbörse der Zukunft? Parship, Grindr und Co. müssen damit rechnen, Mitglieder zu verlieren, und sollten vielleicht ihr Angebot mit der Deutschen Bahn abstimmen. Denn ein romantischer Abend am malerischen Bahnhof Jüterbog im flackernden Schein des nahen Waldbrandes bringt – im Gegensatz zum Swipen – jedes Herz in Wallung.