In der Serie »Barry« entdeckt ein Profi-Killer seine Theaterleidenschaft

Nur spielen und morden

Die HBO-Serie »Barry« ist eine eigenartige Mischung aus persönlicher Tragödie, Hollywood-Parodie und greller Unterwelt-Farce. Das Serien­finale der alle Genregrenzen sprengenden Killer-Comedy ist in deutscher Synchronisation bei Sky zu sehen.

»Schauspielen ist Wahrheit«, erklärt der Schauspiellehrer seinem neuen Schüler. Wie sich in den vier Staffeln der Drama-Comedyserie »Barry« herausstellt, ist der bedeutungsschwere Satz platt und hintergründig zugleich. Die titelgebende Hauptfigur, die in Los Angeles gerade den Teilzeitschauspielschüler gibt, ist Barry Berkman (Bill Hader). Er holt vor der versammelten Schülerschaft zu einem Bühnenmonolog aus: Es habe nur eine Sache in seinem Leben gegeben, in der er immer gut gewesen sei, so Barry – das Töten von Menschen. Zunächst als Elitesoldat und Scharfschütze in Afghanistan, später als Auftragskiller.

Der von sich selbst sehr eingenommene Schauspiellehrer Gene Cousineau (Henry Winkler) ist angesichts der Performance Barrys hin und weg. Die Bekenntnisse seines Schülers hält er für improvisiertes Rollenspiel, eine wahre Offenbarung, nicht zuletzt seinem Talent als Lehrer geschuldet, der es vermochte, das Beste in Barry hervorzubringen. Gene wird im Laufe der Handlung auf äußerst schmerzhafte Weise lernen, dass es sich keineswegs um gekonntes Schauspielen handelte.

Tatsächlich hat ein Mordauftrag den Protagonisten überhaupt erst in die Abendschule Cousineaus geführt. Für den haltlosen Barry wird sein Schauspielcoach zu einer Art Mentor. Die Ehefrau des Lehrers, eine Polizistin, ist jedoch dabei, dem heimlichen Killer auf die Schliche zu kommen. Barry bringt sie schließlich um. Der narzisstisch veranlagte Cousineau verliert mit ihr den einzigen Menschen, den er tatsächlich mehr zu lieben scheint als sich selbst.

Und dann ist da noch Sally (Sarah Goldberg). Auch sie ist eine Strauchelnde, auch ihr Leben ist von Gewalt gezeichnet. In der Schauspielschule landet sie, um die traumatischen Erfahrungen mit ihrem Ex-Mann hinter sich zu lassen. Barry und sie werden ein Paar. Von seinen Auftragsmorden erfährt sie zunächst natürlich nichts. In der Beziehung zu ihr sieht Barry die Möglichkeit, das Gute in sich hervorzubringen. Aber ist er dazu überhaupt noch fähig? Und war er es jemals?

Die schwarzhumorige Serie »Barry« stand seit ihrem Start im Jahr 2018 stets im Schatten größerer Produktionen des Senders HBO. In den USA fiel zuletzt das Serienfinale mit dem des Publikumserfolgs »Succession« zusammen; beide Serien endeten nach vier Staffeln. Während die fernseh- und streamingaffine Welt darüber diskutierte, welches der Kinder die Nachfolge des niederträchtigen Medienmoguls Logan Roy antreten werde, ging »Barry« in der Öffentlichkeit ein wenig unter. Dabei liefert die äußerst sehenswerte letzte Staffel der höchst eigentümlichen Killer-Comedy mindestens ebenso viel Gesprächs- und Zündstoff.

Bei all den niederträchtigen Taten Barrys stellt sich weniger die Frage, ob er wirklich »ein guter Mensch« ist, wie er selbst gegen jede Wahrscheinlichkeit annimmt, als vielmehr die, ob der Protagonist sich seiner Wahnvorstellung im Laufe der Erzählung bewusst werden kann.

Mit der Geschichte vom ehemaligen Marine, der zum Auftragsmörder wird, schien sich die Produktion in eine Gruppe von Serien einzureihen, die wahrhafte Ekelpakete als Helden respektive Antihelden feierte, darunter »Dexter«, »Die Sopranos« und »Breaking Bad«. Anders als die meisten Serien ist »Barry« von einer Selbstreflexivität geprägt, die auch das Publikum erfasst. Bei all den niederträchtigen Taten Barrys, die die Zuschauer ansehen müssen und aus seiner Perspektive miterleben, stellt sich weniger die Frage, ob er wirklich »ein guter Mensch« ist, wie er selbst gegen jede Wahrscheinlichkeit annimmt, als vielmehr die, ob der Protagonist sich seiner Wahnvorstellung im Laufe der Erzählung bewusst werden kann. Barry tötet nämlich in dem falschen Glauben, dass alle seine Opfer Schurken seien.

Das existentielle Drama ist zugleich eine Satire auf das Showbusiness. Nicht nur dreht Barrys Lebensgefährtin Sally eine autobiographische Fernsehserie darüber, wie sie sich aus einer toxischen Beziehung befreit hat. In der vierten Staffel wird auch Barrys Fall zum Gegenstand einer sensationslüsternen Hollywood-Räuberpistole. Genüsslich setzen sich die Serienmacher mit Publikumserwartungen und den Querelen des Filmemachens im Zeitalter alles bestimmender Algorithmen auseinander. Der Hollywood-Verfilmung gelingt, was im wahren Leben nicht gelingen mag: Barry als einen guten Kerl zu zeigen. Seine Filminkarnation, verkörpert von einem gutaussehenden Typen, ist – so der entscheidende Twist – gar nicht am Mord von Cousineaus Ehefrau schuld.

Es sind aber nicht die ausgefallene Handlung und irgendwelche verschlungenen Wendungen, die den eigenartigen Charme der Serie ausmachen. Die große Kunst besteht darin, Elemente einer persönlichen Tragödie, einer Hollywood-Parodie und einer grellen Farce aus der Unterwelt von Los Angeles zusammenzubringen. Die Tonlage der Produktion reicht von zum Schreien komisch bis haarsträubend und todtraurig, oft bleibt sie ambivalent.

Das verdankt sie nicht zuletzt dem Talent des Hauptdarstellers und Co-Serienschöpfers Bill Hader, der in der berühmten Comedyshow »Saturday Night Live« mit Sketchen bekannt wurde. Jahrelang hatte er sich in Los Angeles als Mitarbeiter bei Drehs und hinter der Kamera beim Reality-TV durchgeschlagen. Hader hatte jedoch immer schon eine Vorliebe für das Autorenkino, insbesondere für den Filmemacher Preston Sturges. Zusammen mit dem erfahrenen Serienschöpfer Alec Berg (»Curb Your Enthusiasm«, »Silicon Valley«) hat er sich mit »Barry« seine Träume erfüllt. Von Beginn der Serie an führte Hader auch immer wieder Regie, in der vierten Staffel sogar bei sämtlichen Episoden.

Viele alte Bekannte sind im Finale der Serie zurück: natürlich Barrys fieser Auftraggeber aus Staffel eins, der von Dämonen geplagte Mann namens Fuches (Stephen Root), der sich im Gefängnis zu einem crime lord mit dem Namen »The Raven« entwickelt, sowie der schwule tsche­tschenische Bandenchef NoHo Hank (Anthony Carrigan), mit dem Barry eine tiefe Freund- und Feindschaft verbindet.

Dass es mit der Gutwerdung des Auftragsmörders nichts wird, dürfte niemanden überraschen. Sein absehbares Ende wird in der finalen Staffel in Vorausblenden erzählt, die zehn Jahre in der Zukunft spielen. Die große Bühne gehört zumeist Sally, die noch eine realistische Chance besitzt, ihren Kopf rechtzeitig aus der Schlinge zu ziehen, bevor ihr völlig derangierter boyfriend sie mit sich in den Abgrund reißt. Mit der großen Karriere als Filmemacherin wird es bei ihr zwar nichts, doch sie hat mittlerweile die Nachfolge ihres ehemaligen Coaches Cousineau als Schauspiellehrerin angetreten.

Beim jungen Publikum wollen die Methoden des Alten aber nicht mehr so recht ziehen. In bewährter Manier brechen lassen will sich der sensible Schauspielnachwuchs von Sally schon gleich gar nicht. Sie verdient aber bald gutes Geld mit dem Unterricht einer Superhelden-Darstellerin, die noch den letzten Schliff benötigt. Mehr ist nicht drin. Sally geht es da wie derzeit vielen in Hollywood, die von Marvel und dem Superheldenzirkus verschluckt werden. Wenn zwischen all dem Genre-Kram noch so eine wunderbar widerspenstige und abgrundtief komische Serie wie »Barry« herauskommt, grenzt das fast schon an ein Wunder.

Die vierte und letzte Staffel von »Barry« kann in der deutschen Fassung bei Sky Atlantic gestreamt werden.