Wladyslaw Sharapa, Bauleiter aus Kiew, im Gespräch über das Reparieren kriegsbeschädigter Häuser in der Ukraine

»Im Krieg muss es effektiv zugehen«

In der Ukraine sind durch den Krieg Russlands viele Gebäude beschädigt oder völlig zerstört worden. Ein Gespräch mit Wladyslaw Sharapa, der mit seiner Kiewer Organisation Livyj Bereh den Menschen dabei hilft, ihre Häuser zu reparieren.
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Du warst kürzlich in der Charkiwer Oblast. Was hast du dort gemacht?
Wir haben dort innerhalb von drei Wochen 38 Dächer repariert.

Was genau ist eure Aufgabe dabei?
Wir von Livyj Bereh sind zu dritt und organisieren und koordinieren die Reparatur von durch den Krieg zerstörten Häusern, sammeln Spenden, bestellen und liefern Baumaterialien, suchen Arbeitskräfte. Wenn viel Geld reinkommt, kaufen wir Baumaterialien in Kiew und transportieren sie dorthin, wo Dächer zu reparieren sind. Im Osten der Ukraine kosten die Materialien mehr und die Qualität ist oft schlechter. Zurück in Kiew machen wir die Buchhaltung.

Wie kamt ihr dazu?
Ich bin Bauleiter, habe den Beruf zwar nie erlernt, aber ich weiß, wie man auf dem Bau alles organisieren muss. Ihor Okuniew ist ein guter Freund von mir, wir kennen uns seit langem. Er ist multimedialer Künstler, wir haben Livyj Bereh zu Beginn der russischen Großinvasion zusammen gegründet. Ksenia Kalmus war Floristin, wir haben uns während des Kriegs getroffen. Sie hat uns Geld gespendet und dann haben wir beschlossen zusammenzuarbeiten.

Gibt es auch Freiwillige, die euch unterstützen?
Nein. Wir arbeiten mit ausländischen Spendengeldern, da ist es am effektivsten, wenn wir drei die Organisation übernehmen und lokale Arbeitskräfte aus den Gemeinden bezahlen. Wir ­haben anfangs mit Freiwilligen aus den Dörfern zusammengearbeitet, aber das hat nicht gut funktioniert. Wir hatten den Bewohnern einer Gemeinde angeboten, dass wir ihr Krankenhaus reparieren, wir stellen die Materialien und sie machen die Arbeit. Aber die Motivation ohne Bezahlung reicht nicht aus, es klappt gar nicht oder die Leute verschieben die Arbeit in die ferne Zukunft. Deswegen arbeiten wir mittlerweile ausschließlich mit bezahlten Bauarbeitern – jeder aus den Gemeinden, der arbeiten will, bekommt bei uns einen Job.

Packt ihr manchmal selbst mit an?
Nein, am Anfang haben wir das noch versucht. Aber mein Handy klingelt die ganze Zeit, ich muss dann wieder etwas organisieren, während ich oben auf dem Dach mit einem Hammer sitze. Daher beschränken wir uns auf die Organisation – was ein Haufen Arbeit ist.
Derzeit arbeiten wir in der Gemeinde Derhatschi nördlich von Charkiw, dort gibt es eine lange Grenze zu Russland, die Gegend ist sehr stark vom Krieg ­betroffen.

Wie sieht euer Arbeitsprozess aus?
Es fängt damit an, dass wir die Dörfer in der jeweiligen Gemeinde erkunden. Dazu treffen wir den Starosta, den Dorfvorsteher, der uns eine Liste mit beschädigten Häusern zeigt, und wir ­besichtigen mit ihm zusammen die Objekte. Danach drehen wir noch ohne den Starosta eine Runde, denn manchmal möchte er vor allem seinen Freunden oder Verwandten Vorteile verschaffen. Dann machen wir uns an die Organisation und Koordination der Dachreparaturen. Letztes Jahr haben wir noch alles Mögliche ausprobiert, Häuser repariert, bei denen die Wände beschädigt waren, aber seit Ende 2022 wählen wir nur Häuser mit einer intakten Dachbalkenkonstruktion aus. Davor ­verbrauchten wir genauso viel Geld, aber wir konnten viel weniger Fa­milien helfen. In der Gemeinde Derha­tschi haben wir bereits über 137 Dächer repariert.

Wie fing denn eure Initiative an?
Am Anfang der russischen Invasion habe ich mit Ihor über Instagram ein Auto gesucht. Eine nette Person stellte uns das Auto ihrer Mutter zur Verfügung, am nächsten Tag bekamen wir ein zweites. Mit den beiden Autos haben wir in Kiew auf der östlichen Seite des Dnipro Medizin verteilt (der Fluss verläuft mitten durch die Hauptstadt, Anm. d. Red.). Daher kommt auch der Name unserer NGO: »Livyj Bereh« heißt »linkes Ufer« auf Ukrainisch. Unsere Idee war es, gerade dort zu arbeiten, weil dieser Teil der Stadt nicht so beliebt bei den jungen Leuten ist, er ist nicht so hip. Wir dachten uns, dass es hier viel weniger Unterstützung geben würde und deswegen am meisten benötigt wird. Die Kämpfe finden mittlerweile am linken Ufer des Dnipro statt. Unsere NGO kümmert sich um verschiedene Orte auf der Seite links des Flusses, nicht nur um Kiew wie anfangs.

»In der Charkiwer Oblast sind die Straßen gut und deswegen funktioniert die Logistik. In den Oblasten Cherson und Mykolajiw sind die Straßen allesamt zerstört oder vermint.«

Ihr repariert hauptsächlich Hausdächer, habt aber mit Medikamentenlieferungen angefangen?
Wenn es dringenden Bedarf gibt, helfen wir und machen eigentlich alles. Wir liefern immer noch Medizin, aber wir versuchen, uns auf die Dachreparaturen zu konzentrieren. Wir haben ein Projekt mit einem neuen Haus für eine Familie in Sloboda-Kucharska in der Oblast Kiew. Das ist eine Koope­ration mit dem Düsseldorfer Kunstprojekt »Theater of Hopes and Expectations« – einem temporär aufgestellten Theater- und Ausstellungsraum. Aus den Materialien des mittlerweile demontierten Düsseldorfer Baus soll nun ein am 11. März von einem russischen Panzer zerstörtes Gebäude wieder errichtet werden. Ich war in Düsseldorf und hatte bei einem Bier den ­Einfall, das Baumaterial nach Kiew zu bringen und als Wohnhaus umzugestalten – was wir tatsächlich auch getan haben. Künftig würden wir gerne nicht nur Dächer reparieren, sondern auch ganze neue Fertighäuser bereitstellen.

Hast du noch weitere Beispiele?
Wir werden jetzt einen Weg auf dem Grundstück einer gehbehinderten Frau asphaltieren, damit sie mit ihrem ­Rollstuhl ihr Haus eigenständig verlassen kann. Für eine Familie mit einem Sohn mit Beeinträchtigungen, die 300 Meter entfernt vom nächsten Stromanschluss lebt, möchten wir ein Kabel bis zu ihrem Haus verlegen. Daneben helfen wir der Armee, wir besorgen hauptsächlich Autos, teilweise Ausrüstung. Bisher haben wir für das Militär über 37 Autos bereitgestellt. Wir kaufen alte Karren und reparieren sie.

Wie finanziert ihr euch?
Etwa 60 bis 70 Prozent des Geldes kommen aus Deutschland, wir bekommen zudem Unterstützung von der amerikanischen Organisation Ukraine Trust Chain. Für die Projekte für die Armee bekommen wir vor allem Geld von der ukrainischen Künstlerin Schanna Kadyrowa, von der Landwirtsfamilie Schütte aus Deutschland, von Alexander Delfinov, einem russischstämmigen Dichter, der in Berlin lebt, und vom deutschen Künstler Fabian Knecht. Aber natürlich auch von vielen anderen Menschen, und wir sind sehr dankbar dafür.

Kooperiert ihr mit anderen lokalen Hilfsorganisationen?
Wir haben mit der NGO Repair Together, die vor allem junge Leute dazu bringen will, vom Krieg zerstörte Häuser zu den Klängen von Live-DJ-Sets zu reparieren, an ein paar Dächern zusammengearbeitet. Aber die Koordination nimmt zu viel Zeit in Anspruch und im Krieg muss es effektiv zugehen. In Charkiw arbeiten wir mit der Organisation Kharkiv and Przemyśl Project (KHARPP) zusammen, die sich um die Reparatur von Fenstern kümmert. Mittlerweile sind viele junge Menschen nach Charkiw zurückgekehrt und ich hoffe, dass sie zusammen so etwas wie Repair Together organisieren werden. In der Charkiwer Oblast sind die Straßen gut und deswegen funktioniert die Logistik. In den Oblasten Cherson und Mykolajiw sieht es hingegen düster aus: Die Straßen sind allesamt zerstört oder vermint.

Wie stellst du dir die Zukunft von Livyj Bereh vor?
Wir werden in den Gebieten weitermachen, die noch befreit werden – bis zum Ende des Kriegs. Für den Fall, dass wir mehr Geld auftreiben sollten, haben wir uns überlegt, dass wir drei uns auf je ein Gebiet fokussieren könnten. Vielleicht können wir auch jemanden anstellen. Gerade ist das nicht möglich, selbst wir haben keine Verträge und leben von Stipendien, die uns die Familie Schütte auszahlt.

Wladyslaw Sharapa

Wladyslaw Sharapa ist Bauleiter aus Kiew. Vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beaufsichtigte er den Bau des Kiewer Techno-Clubs K41. Derzeit nimmt ihn seine freiwillige Tätigkeit als Vorstand bei der NGO Livyj Bereh (Im ­Ukrainischen bedeutet Liwji Bereh linkes Ufer) komplett ein. Die Organisation repariert in befreiten ukrainischen Gebieten durch Kriegshandlungen beschädigte Dächer und besorgt Fahrzeuge sowie Ausrüstung für die ukrainischen Streitkräfte.

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privat