Punk, Priestertum und BDS: Nachruf auf Sinéad O'Connor

Avantgarde der Verletzlichkeit

Nothing compared to her: Sinéad O’Connor war eine Ausnahmekünstlerin. In ihrer Biographie aber spiegeln sich die Widersprüche postmoderner Subjektivität.

Am 25. Juli fand die Polizei in einer Wohnung in Südlondon den leblosen Körper einer Frau Mitte 50. Rasch stellte sich heraus, dass es sich bei der Toten um Sinéad O’Connor handelte. Die Beamten schlossen Fremdverschulden aus, eine genaue Todesursache konnte zunächst aber nicht festgestellt werden. Die Geschichte der großen Tragödien des Rock ’n’ Roll hat ein Kapitel mehr.

1990 war eines dieser Jahre zwischen den Jahren im Pop, eine Übergangszeit, in der sich das Neue noch nicht gegen das Alte durchgesetzt hatte. Dinosaurier wie Phil Collins oder Fleetwood Mac wandelten immer noch auf altbekannten Pfaden, aber zwischen den Füßen der alternden Giganten wuselten Mazzy Star, Jane’s Addiction, The Flaming Lips und weitere, die andere Musik für ein neues Publikum machten. Bis zur Veröffentlichung von Nirvanas game changer »Nevermind« waren es noch gut eineinhalb Jahre hin, als im Februar 1990 die Coverversion eines damals fünf Jahre alten Prince-Songs, gesungen von einer bislang weitgehend unbekannten jungen Frau, weltweit einen Nerv traf. Die Powerballade, vorgetragen mit einer außerhalb des Jazzgesangs noch nie gehörten Mischung aus Zartheit, Verletzlichkeit und Wut, begeisterte Millionen. »Nothing Compares 2 U« von Sinéad O’Connor war die mit Abstand erfolgreichste Single des Jahres und verkaufte sich mehr als zwei Millionen Mal.

Der weltweite Nummer-eins-Hit katapultierte die junge Frau irischer Herkunft an die Spitze der globalen Charts und das zugehörige Video lief auf MTV in Dauerrotation. Auch das Album »I Do Not Want What I Haven’t Got«, auf dem der Song enthalten war, verkaufte sich wie Schnaps in der Entzugsklinik. O’Connor war allgegenwärtig und wurde sogar von Roger Waters engagiert, um zusammen mit einer Riege altgedienter Superstars in Berlin bei einer Aufführung seines Jammerstücks »The Wall« aufzutreten. Zwei Jahre lang war O’Connor eine der gefragtesten Künstlerinnen im Popgeschäft, ihre Mu­sik lief in allen Kneipen, ihr Gesicht schmückte die Titelblätter der Musikzeitschriften. Sinéad O’Connor war ein Popstar und eine feministische Ikone, eine Frau, die sich aus Protest gegen tradierte Vorstellungen von weiblicher Schönheit die Haare geschoren hatte.

Sinéad O’Connor war ein Popstar und eine feministische Ikone, eine Frau, die sich aus Protest gegen tradierte Vorstellungen von weiblicher Schönheit die Haare geschoren hatte.

Am 3. Oktober 1990 zerriss sie in der extrem populären US-amerikanischen Fernsehshow »Saturday Night Live« vor den Augen eines entsetzten Millionenpublikums ein Foto des damaligen Papstes Johannes Paul II. Sie tat dies aus Protest gegen den sexuellen und emotionalen Kindesmissbrauch durch An­gehörige der katholischen Kirche, dessen ganzes Ausmaß damals noch nicht mal ansatzweise bekannt war. Sie tat dies auch, weil sie selbst als Jugendliche in einem irischen Magdalenen-Heim gelitten hatte. Die katholischen Einrichtungen in Irland sollten Mädchen und junge Frauen, die sich kleinerer Vergehen schuldig gemacht hatten oder auch nur unverheiratet schwanger geworden waren, auf den »Weg Gottes« führen.

Es waren Orte des Schreckens, in denen die Insassinnen Zwangsarbeit verrichten mussten und oftmals von sadistischen Nonnen bis aufs Blut gequält wurden. Erst vor wenigen Jahren wurden Massengräber mit Kinderleichen auf den Grundstücken damaliger Heime entdeckt. Sinéad O’Connor war 15, als sie wegen Schuleschwänzens und Ladendiebstahls auf ein Magdalenen-Internat geschickt wurde. Später berichtete sie, dass sie dort eine Thanatophobie, also eine krankhafte Angst vor dem Sterben, entwickelt habe. Aufseherinnen hätten die Mädchen gezwungen, die Nacht im Hospiz zwischen sterbenden alten Frauen zu verbringen.

Es ist freilich eine Legende, dass O’Connors Papstbild-Stunt ihre Karriere zerstört hätte. Zwar wurde die Künstlerin für ihren Protest scharf kritisiert, aber auch heftig verehrt. Richtig ist, dass sie wegen ihrer Kritik an der katholischen Kirche im November 1992 beim Konzert zum 30jährigen Bühnenjubiläum Bob Dylans ausgebuht wurde. Sie reagierte darauf, indem sie der aufgebrachten Althippie-Meute zitternd vor Wut und Scham a cappella Bob Marleys »War« entgegenbrüllte, statt wie geplant einen Dylan-Song vorzutragen.

Der Country-Sänger Kris Kristofferson, der das Konzert moderierte, nahm sie mit den Worten »Lass dich von den Bastarden nicht unterkriegen« vor der Wut des Pu­blikums in Schutz. O’Connor sollte sich dafür viele Jahre später »bedanken«, indem sie dem Sänger auf Social Media zwischen den Zeilen vorwarf, sie missbraucht zu haben – was sie danach wieder zurücknahm. Es ist ein Verhaltensmuster, das sich häufig zeigte: O’Connor stellte Behauptungen auf, widerrief sie, bekräftigte sie dann wieder und widerrief sie erneut. Realität und Fiktion wurden wie in einer postmodernen Erzählung ununterscheidbar, für Medien und Fans, aber vermutlich auch für die Musikerin selbst.

Einen Hit wie »Nothing Compares 2 U« hatte sie nie wieder. Aber ihre Alben »Am I Not Your Girl?« und »Universal Mother« verkauften sich immer noch gut genug, um in Großbritannien mit Gold ausgezeichnet zu werden. Die Platte »Faith and Courage« war ein Hit in Australien und das Album »Throw Down Your Arms« erreichte Gold-Status in Irland. Kol­leg:innen wie Dolly Parton und Peter Gabriel engagierten O’Connor für Gastauftritte auf Alben und Tourneen; sie war auch beim fahrenden Alternativ-Konzertzirkus Lollapalooza mit dabei. Das Magazin Time kürte sie 1992 zur Frau des Jahres.

O’Connor stellte Behauptungen auf, widerrief sie, bekräftigte sie dann wieder und widerrief sie erneut. Realität und Fiktion wurden wie in einer postmodernen Erzählung ununterscheidbar, für Medien und Fans, aber vermutlich auch für die Musikerin selbst.

Eine hungernde Künstlerin, die für ihren Mut büßen musste und die ganz allein gegen die Welt stand, war sie also nicht wirklich. Der Wohlstand änderte freilich wenig an ihren psychischen Problemen. O’Con­nor war nicht weniger als vier Mal verheiratet, wobei ihre kürzeste Ehe nur wenige Tage hielt; sie hatte vier Kinder, deren Sorgerecht sie teilweise verlor. Ihr geliebter Sohn Shane verübte 2022 Suizid. Sie selbst hatte wohl mehr als einmal versucht, sich das Leben zu nehmen. O’Connor wurde psychiatrisch behandelt und kritisierte anschließend, man habe sie falsch therapiert. Zu den Diagnosen, die sie einsammelte und die sie selbst alle für falsch hielt, gehörten eine bipolare Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Borderline-Störung.

Ob irgendetwas davon auf sie zutraf, ob es eine Mischung aus all dem war oder sie an keiner der Störungen litt, lässt sich nicht seriös beurteilen. Ihr Verhalten darf man aber ruhig als wenigstens exzentrisch beschreiben. Mal ließ sie sich von einer katholischen irischen Sekte Ende der neunziger Jahre zur »Priesterin« weihen, dann verlangte sie von insgesamt drei Päpsten ihre Exkommunikation und konvertier­te 2018 zum Islam, wobei sie ihren Namen in Shuhada Sdaquat änderte und fortan im Hijab auftrat. Ihre Konversion zum Islam sei »die logische Entwicklung einer intelligenten Theologin«, begründete sie diesen Schritt. O’Connor war die Avantgarde dessen, was sich heutzutage im Zustand permanenter Verletztheit als Wunsch nach Zugehörigkeit artikuliert und doch nur eine zutiefst subjektiv verzerrte Wahrnehmung dessen ist, was Kapitalismus und menschliche Natur anzurichten vermögen.

Wie allzu viele im weitesten Sinne linksliberale Popstars sympathisierte auch Sinéad O’Connor mit der antisemitischen BDS-Bewegung und gab mehrmals zu Protokoll, nicht in Israel auftreten zu wollen. Als sie es einmal doch wollte, nämlich im Sommer 1997 bei einem »Friedenskonzert« in Jerusalem, entbrannte dagegen eine wütende Kampagne rechter Gruppierungen, die auch vor Morddrohungen gegen O’Connor nicht zurückschreckten. Der Wortführer der damaligen Radaubrüder: ein junger Mann namens Itamar Ben-Gvir, der mittlerweile Minister für die Nationale Sicherheit in der weit rechts stehenden Koalitionsregierung Benjamin Netanyahus ist.