Der neue Geschäftsführer Sport des DFB, Andreas Rettig, sorgt für Diskussionen

Rot-grünes Schreckgespenst

Beim DFB sorgen einige Personalien für Unruhe, Vorfreude oder finstere Befürchtungen – und das durchaus abhängig vom politischen ­Standpunkt der Kommentatoren.

Der Deutsche Fußballbund (DFB) hat einen neuen Geschäftsführer Sport. Oliver Bierhoffs Nachfolger heißt Andreas Rettig. Der war zuvor Manager des SC Freiburg, des FC Augsburg, des 1. FC Köln und des FC St. Pauli sowie von 2013 bis 2015 der Deutschen Fußballliga (DFL), der Organisation der Vereine und Kapitalgesellschaften der Bundesliga und der 2. Bundesliga.

Viele Fans begrüßten die Entscheidung, erst recht, als ihnen auch noch sozusagen ein Sahnehäubchen nachgereicht wurde: Aus Protest gegen die Entscheidung für Rettig verließen Karl-Heinz Rummenigge und Oliver Mintzlaff die Task Force, die nach der WM-Pleite eingerichtet worden war, über deren Arbeit öffentlich jedoch kaum jemals etwas bekannt wurde. In sozialen Medien wurde der Rücktritt der beiden Herren geradezu gefeiert. Für viele Fans waren Rummenigge (im Aufsichtsrat von Bayern München) und Mintzlaff (lange Jahre Geschäftsführer von RB Leipzig) die Verkörperung all dessen, was im Fußball ihrer Auffassung nach falsch läuft.

Rummenigge und Mintzlaff waren beleidigt, weil sie in die Entscheidung der DFB-Führung nicht einbezogen wurden. In der Zentrale des FC Bayern in der Säbener Straße war man spürbar konsterniert. Schließlich lautete ein ungeschriebenes Gesetz: Gegen den FC Bayern läuft beim DFB gar nichts! Dem DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf war die Inthronisierung von Rettig offenbar so wichtig, dass er sich diese nicht zerreden lassen wollte. Also: Augen zu und durch.

Andreas Rettig gehört zu den stärksten Befürwortern der »50+1«-Regel, die es Investoren erschweren soll, deutsche Proficlubs zu übernehmen. Er plädierte für einen »eigenen Weg« der Bundesliga.

Dass Neuendorf Rummenigge und Mintzlaff ignorierte, ist interessanterweise so ziemlich die einzige Kritik, die bezüglich der Personalie Rettig zu vernehmen ist. Abgesehen vom Protest der Rechtspopulisten, natürlich. Tichys Einblick sah den DFB weiter nach »links« rutschen: »Wer auf eine Entpolitisierung des Sports hoffte«, werde von der Führung des DFB »erneut mächtig enttäuscht«. Mit der Berufung von Andreas Rettig stärke der »umstrittene Verbandspräsident Bernd Neuendorf (SPD)« seine Position. »Beim DFB können sie auf den Fluren nun den linken Marsch des sowjetischen ­Revolutionsdichters Wladimir Majakowski anstimmen: ›He, wer schreitet dort rechts aus? Links, links, links!‹« Und weiter heißt es: »Rettig selbst war jahrelang Geschäftsführer beim FC St. Pauli, ein sich zur linken Szene bekennender Kiezclub Hamburgs. Zudem managte er die Bundesligisten SC Freiburg, 1. FC Köln und FC Augsburg. Auch hier durchdringt eher rot-grüner Geist die Vereinsräume.« Er sei zudem gern gesehener Gast bei SPD-Veranstaltungen.

Nun besaß diese Task Force ohnehin keine Entscheidungsbefugnis, was Rummenigge und Mintzlaff nicht wahrhaben wollten. Sie dachten wohl, entschieden werde nur dort, wo sie saßen, und zwar, natürlich, in ihrem Sinne. Zumindest im Falle von Mintzlaff stellt sich jedoch vor allem die Frage: Was hatte dieser Mann in der Task Force überhaupt zu suchen?

Oliver Mintzlaff ist seit fast einem Jahr im hiesigen Fußball funktionslos. Zum 15. November 2022 war er als Vorstandsvorsitzender des RB Leipzig e. V. und als Geschäftsführer der RB Leipzig GmbH zurückgetreten. Seither ist er CEO Corporate Projects und Investments Mitglied der dreiköpfigen Geschäftsführung der Red Bull GmbH.

Des Weiteren sitzt Mintzlaff im Vorstand der mächtigen Club-Vereinigung European Club Association (ECA). Laut ECA-Statuten hätte er ­dafür eigentlich in einem Club ein Amt in geschäftsführender Rolle oder als Vorstand oder Präsident bekleiden müssen. Die ECA ließ Mintzlaff trotzdem zur Wahl zu.
Vorsitzender der ECA ist der Katarer Nasser al-Khelaifi, Präsident von Paris Saint-Germain. Das Besondere: Er sitzt bei Verhandlungen über die TV-Rechte an der Champions League sozusagen an beiden Seiten des ­Tisches. Denn Al-Khelafi ist auch Geschäftsführer der Käufer, also des katarischen Sportsenders Bein Sports. Auch Mintzlaff darf auf beiden Seiten Platz nehmen.

Als Geschäftsführer der Red Bull GmbH verantwortet Mintzlaff im Übrigen auch den österreichischen Sender Servus TV; laut Süddeutsche Zeitung »der Heimatsender des österreichischen Rechtspopulismus«, der in seinen Talkshows beispielsweise schon Götz Kubitschek, Chefredakteur des neurechten Magazins Sezession, oder den ehemaligen Sprecher der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, willkommen hieß. Während der Covid-19-Pandemie fiel der Sender wiederholt durch Falschinformationen auf und avancierte zum Haussender der »Querdenker«.

Die Rücktritte von Rummenigge und Mintzlaff waren eine billige ­Retourkutsche: Als DFL-Geschäftsführer hat Andreas Rettig mit seinem Pochen auf die Einhaltung der »50+1«-Regel RB genervt. Nach dem Aufstieg von RB in die 2. Bundesliga hatte Rettig Bedenken, dass eine ­Lizenzierung Leipzigs gegen die »50+1«-Regel im deutschen Profifußball verstoßen könnte und stimmte daher der Lizenzerteilung für das Red-Bull-Projekt nicht zu. Rettig damals dazu: »Ich hatte meine Unterschrift unter die Lizenz für RB Leipzig verweigert.« Aber als Geschäftsführer hatte er natürlich nicht das letzte Wort im Fall RB: »Der Lizenzierungsausschuss hat dann anders entschieden.«

Später äußerte er Verständnis für den Protest gegen RB, »weil hier ja das System quasi auf den Kopf gestellt wird – während alle anderen Vereine zuerst sportlichen Erfolg ­haben müssen und dieser wird dann kapitalisiert«. Rettig gehört zu den stärksten Befürwortern der »50+1«-Regel, die es Investoren erschweren soll, deutsche Proficlubs zu übernehmen. Er plädierte für einen »eigenen Weg« der Bundesliga – in Abgrenzung zum Gebaren der englischen Premier League.

Mit dem FC Bayern lag die DFL beim Thema TV-Gelder über Kreuz, erstmals öffentlichkeitswirksam ­anlässlich der 2003 aufgedeckten sogenannten »Kirch-Affäre«. Der FC Bayern hatte damals mit der Firmengruppe des Medienunternehmers Leo Kirch geheime Verträge abgeschlossen. Der Rekordmeister ließ sich dafür bezahlen, dass er nicht aus der Zentralvermarktung der Bundesliga ausstieg.

In den vergangenen Monaten hat sich Rettig vor allem als Kritiker der FIFA-Führung und der WM in Katar sowie des windigen (und letztlich gescheiterten) Investorenmodells, das der DFL vorschwebte, profiliert. Auch unabhängig vom neuen Aufgabengebiet spricht also viel für Rettig, aber als Geschäftsführer Sport hat er mit diesen Konfliktfeldern wenig zu tun. Es geht um die Nationalmannschaften des DFB, die hauseigene Akademie beziehungsweise die Ausbildung.

Rettig könnte vielleicht sogar ein Brückenschlag zwischen der kritischen Fan-Szene und den traditionellen und eher politisch konservativ gestimmten Fans gelingen. Beide Lager kritisierten am »Bierhoff-­Regime« einen Mangel an Fan-Nähe und Bodenständigkei

Was die Ausbildung anbelangt, ist Rettig ein ausgewiesener Experte. Schließlich war er vier Jahre lang Sportdirektor des SC Freiburg. Als solcher plädierte er damals dafür, »frisches Geld« in die Akademie und Ausbildung zu investieren, anstatt es wild für Neueinkäufe zu verballern. Rettig dachte und handelte strategisch und nachhaltig. Bei seiner letzten Station als Manager, dem Dritt­ligisten Viktoria Köln, quittierte er den Dienst, zu ehrgeizig und unsolide erschienen ihm die Pläne von Vereinspräsident Günter Pütz.

Gut möglich, dass Rettig von den Topclubs eine stärkere Unterstützung für die Nationalelf einfordern wird, beispielsweise durch eine Überprüfung und Verbesserung ihrer Ausbildung. Gut möglich, dass Rettig seine Vorstellung von einem »eigenen Weg« der Bundesliga mit diesem Thema und den Auswahlmannschaften des DFB verbinden wird. Für das Gesamtsystem Fußball wäre das nur gut.

Und gut möglich auch, dass die Herren Rummenigge und Mintzlaff genau dies befürchten. Ein meinungsstarker und von ihnen unabhängiger Geschäftsführer Sport, der ihnen und »ihren« Vereinen die Show stiehlt, ist so ziemlich das Letzte, was sie sich wünschen. Bereits das Duo Löw/Bierhoff hat sie heftig genervt. Für einen gewissen Zeitraum lag damals die inhaltliche Führung im deutschen Fußball nicht bei den großen Vereinen, sondern beim DFB.

Last but not least geht es natürlich um die EM im eigenen Land. ­Andreas Rettig traut die DFB-Führung wohl zu, dass er den bei den Fans verlorenen Boden zurückgewinnt. Hier könnte Rettig vielleicht sogar ein Brückenschlag zwischen der kritischen Fan-Szene und den traditionellen und eher politisch konservativ gestimmten Fans gelingen. Beide Lager kritisierten am »Bierhoff-­Regime« einen Mangel an Fan-Nähe und Bodenständigkeit. Und beide ­Lager stehen einer »Überkommerzialisierung« kritisch gegenüber. Rettigs Gesinnung und Politik lässt sich jedenfalls vielleicht so am besten ­beschreiben: progressive Bodenständigkeit im Sinne der Verteidigung des Fußballs als Volkssport und Kulturgut.