In Guatemala erschweren korrupte Staatsanwälte und Richter die Regierungsübergabe

Samenkorn gegen Korruption

Das Wahlgericht in Guatemala hat ein politisches Betätigungsverbot für die Partei Semilla des kürzlich zum Präsidenten gewählten Bernardo Arévalo verhängt. Damit würde die demokratische Machtübergabe verhindert, kritisieren Protestierende, die seit mehreren Tagen die Straßen blockieren.

»Gibt es keinen Frieden für die Bevölkerung, dann gibt es auch keinen Frieden für die Umstürzler«, lautete eine Parole an einer von zeitweise über 100 Straßenblockaden in Guatemala am Wochenende. »Die rücken immer näher an die Hauptstadt heran«, sagt Héctor Reyes, Direktor der Menschenrechtsorganisation Centro para la Acción Legal en Derechos Humanos (CALDH), der Jungle World. »Hier in Guatemala-Stadt gibt es seit mehr als ei­ner Woche Proteste vor dem Gebäude der Generalstaatsanwaltschaft, die Demonstranten fordern den Rücktritt von Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras.« Sie werfen ihr vor, das Wahlergebnis vom 20. August nicht zu re­spektieren und den Amtsantritt des designierten Präsidenten Bernardo Arévalo von der linken Partei Semilla verhindern zu wollen.

Vor allem im Ausland war der Sieg des 64jährigen Arévalo, Sohn des ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Juan José Arévalo (1945–1951), als Überraschung bezeichnet worden. In Guatemala galt der Soziologe, der 2015 die Partei Movimiento Semilla (Bewegung Samenkorn) gegründet hatte, schon Wochen zuvor als der »Kan­didat der Hoffnung«. Arévalo hat es mit seiner scharfen Kritik an der Korruption geschafft, große Teile der Gesellschaft, darunter auch einige indigene Organisationen, hinter sich zu versammeln und sich als glaubwürdigen und basisnahen Kandidaten zu präsentieren.

»Die Organisation Amerikanischer Staaten hat zwar von einer gefährdeten Machtübernahme gesprochen, aber das reicht nicht; es ist Zeit für ökonomische Sanktionen.« Michael Mörth, Jurist

Bereits vor der Stichwahl am 20. August versuchte das Wahlgericht, Arévalos Partei Semilla einzuschränken. Als Vorwand dienten dabei Unregelmäßigkeiten bei der Parteigründung. Angeblich seien hierfür inkorrekte Unterschriften eingereicht worden, beispielsweise von Verstorbenen. »Derartige Unregelmäßigkeiten«, so Reyes, »lassen sich de facto bei jeder Partei in Guatemala finden.« Dass sie mitten im Wahlkampf herangezogen wurden, um Semilla ein politisches Betätigungsverbot aufzuerlegen, sei ein Beleg dafür, dass die korrupten Machthaber um ihre Position fürchten.

Seit der Amtszeit von Präsident Jimmy Morales (2016–2020) regiert in Guatemala ein Netzwerk aus korrupten Politikern und Beamten, die sich der staatlichen Institutionen zum eigenen Vorteil bedienten: bei Bauaufträgen, staatlichen Einkäufen und Programmen. Die staatlichen Institutionen würden von korrupten Politiker:innen übernommen, die Justiz sei in der Hand von bestechlichen Jurist:innen, berichtet der im Exil lebende ehemalige guatemaltekische Richter Miguel Ángel Gálvez der Jungle World. Er musste das Land im November 2022 verlassen, weil gegen ihn im Auftrag der Staatsanwaltschaft aus politischen Gründen ermittelt wurde.

Mindestens drei Dutzend Richter:in­nen, Staatsanwält:innen und Ermitt­lungs­expert:innen haben Guatemala in den vergangenen drei Jahren fluchtartig verlassen müssen, andere sitzen in Haft. Dafür verantwortlich machen Beobachter die Generalstaatsanwältin María Consuelo Porras, das US-Außenministerium beschuldigte sie im Mai 2022 öffentlich der Korruption. »Porras hat wiederholt Ermittlungen zur Korruptionsbekämpfung in Guatemala behindert und untergraben, um ihre politischen Verbündeten zu schützen und sich unzulässige politische Vorteile zu verschaffen«, ist in der Erklärung vom 15. Mai zu lesen. »Porras hat unter anderem Staatsanwälte im guatemaltekischen Ministerium angewiesen, Fälle aus politischen Erwägungen zu ignorieren und Staatsanwälte zu entlassen, die in Korruptionsfällen ermitteln.« Zu dem Korruptionsnetzwerk zählt auch Rafael Curruchiche von der Staatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit (FECI), seine Kollegin Cinthia Monterroso und der Richter Fredy Orellana. Diese vier legen alles daran, die Semilla zu schwächen.

Am Donnerstag vergangener Woche waren sie damit erfolgreich, denn das Verfassungsgericht hat das Vorgehen der FECI gegen Semilla bestätigt. Die Staatsanwaltschaft dürfe Maßnahmen verhängen, die sich auf eine Wahl auswirken, auch wenn es bei den Ermittlungen um strafrechtliche Vorwürfe gehe, urteilte das Verfassungsgericht. Beob­ach­ter:innen sehen das als weiteren Beleg dafür, dass das Verfassungsgericht auf die Seite des »Paktes der Korrupten« gerückt ist, wie das Netzwerk genannt wird, dem Porras angehört.

Bernardo Arévalo bezeichnete das Vorgehen der Staatsanwaltschaft als »po­litisch motivierten Putsch«. Es werde versucht, seinen Wahlsieg vom August zu kippen. Das Vorgehen der FECI, deren Beamte am 30. September die offiziellen Ergebnislisten der Stichwahl im Obersten Wahlgericht (TSE) gegen den Widerstand der Richter beschlagnahmten, deute darauf hin. Das Wahlgericht, das vergeblich auf seine Unabhängigkeit gepocht hatte, ist nun nicht mehr in der Lage, die Wahlergebnisse korrekt zu dokumentieren.

Gegen das Vorgehen der Staatsbeamten laufen seit Wochen Proteste. Seit dem 2. Oktober ist das Land von Straßenblockaden paralysiert. Etliche davon haben indigene Organisationen initiiert und diese beteiligten sich auch in Guatemala Stadt an den Protesten vor dem Sitz der Generalstaatsanwaltschaft. Am Freitag voriger Woche setzten indigene Vertreter in der Menschenrechtsorganisation CALDH einen Brief an die Interamerikanische Menschenrechtskommission auf und baten um umgehende Maßnahmen zum Schutz der Demokratie in Guatemala.

Der Jurist Michael Mörth, der seit den neunziger Jahren in Guatemala lebt, hält internationale Hilfe und Druck auf das korrupte System für nötig, dessen noch amtierender Präsident Alejandro Giammattei noch am 20. August eine geregelte Übergabe der politischen Macht versprochen hatte. Im Gespräch mit der Jungle World mahnte Mörth: »Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat sich in den vergangenen Wochen zwar immer wieder kritisch geäußert, von einer gefährdeten Machtübernahme gesprochen, aber das reicht nicht. Es ist Zeit für ökonomische Sanktionen – von den USA, der OAS, aber auch von der Europäischen Union.«

Diese Ansicht teilt Reyes, der feine Risse im »Pakt der Korrupten« ausgemacht hat, aber auch in den wichtigsten Wirtschaftsverbänden des Landes wie dem Comité Coordinador de Asociaciones Agrícolas, Comerciales, Indus­triales y Financieras (CACIF). Konkrete Auswirkungen habe das allerdings nicht und Reyes befürchtet, die Regierung könne wegen der wachsenden Proteste und der Forderung nach Rücktritt von Generalstaatsanwältin Porras und ihren Handlangern den Ausnahmezustand verhängen. »Das könnte den Konflikt weiter eskalieren lassen«, befürchtet der Jurist.

Die Tageszeitung Prensa Libre spekuliert bereits, der katholische Kardinal Álvaro Ramazzini könne als Vermittler eingeschaltet werden. Der 76jährige Guatemalteke gehört dem progressiven Klerus an und engagiert sich aus seiner Diözese Huehuetenango heraus für die Landbevölkerung und soziale Gerechtigkeit.

Ob die Regierung ihn als Vermittler akzeptieren würde, ist fraglich. Allerdings auch, was Ramazzini überhaupt mit Gesprächen erreichen könnte, denn für die Protestierenden ist die Forderung nach dem Rücktritt des Quartetts um Porras nicht verhandelbar. Erst danach könne es um Verhandlungen zur Übergabe der Macht an Aré­valo gehen. Doch genau das will der »Pakt der Korrupten« verhindern.

Dem Protest gegen Porras schließen sich nun auch erste Einkaufszentren und die Großmärkte in der Hauptstadt an und blieben am Montag geschlossen. Die Schließung der Großmärkte würde die Versorgungssituation in der Hauptstadt dramatisch verschlechtern, was die Unzufriedenheit der Bevölkerung wohl nicht mindern würde. Präsident Giammattei hat sich bisher nicht bereit erklärt, mit oppositionellen Organisationen zu sprechen.