Russland wirbt um neue Rekruten, auch um Frauen

Scharfschützinnen gesucht

Russland wirbt um neue Rekruten für seinen Krieg und erinnert daran, dass es sich als Atommacht sieht.

Dmitrij Medwedjew hat durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine an innenpolitischer Bedeutung zurückgewonnen. Von 2008 bis 2012 diente er als Präsident Russlands, bis Wladimir Putin das Amt nach einer verfassungsrechtlich notwendig gewordenen Auszeit, in der er stattdessen als Ministerpräsident amtierte, wieder einnehmen konnte und Medwedjew das Amt des Ministerpräsidenten zurückbekam, das er bis 2020 ausübte. Danach wurde er stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrats der Russischen Föderation, dessen Vorsitzender ist der russische Präsident selbst. Seit Februar 2022 hat Medwedjew sich in dieser Funktion einen neuen Namen als Scharfmacher in einer Weise gemacht, die selbst Fernseh­propagandist:innen erblassen lässt.

Zu seinen Aufgaben gehört, Russlands militärische Überlegenheit zu beschwören. So kündigte er vergangene Woche die Aufstockung der Streitkräfte um weitere Divisionen und Regimenter an. Dafür braucht es Personal, und so lautet auch die Vorgabe seines Vorgesetzten Putin. Nach Angaben Medwe­djews verzeichne die Armee inzwischen täglich mehr als 1.600 Neuzugänge; insgesamt seien es seit Jahresbeginn 385.000 Rekruten, von denen sich 305.000 per regulärem Vertrag verpflichtet hätten; der Rest habe sich Freiwilligenverbänden angeschlossen.

Angesichts derartiger Erfolgsmeldungen will auch das Oberhaupt der Nordkaukasus-Republik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, nicht zurückstehen. Seinerseits gab er die Gründung neuer tsche­tschenischer Kampfeinheiten bekannt, die dem russischen Verteidigungsministerium beziehungsweise der Nationalgarde unterstehen. Eine davon führt Ruslan Geremejew an, der mutmaßlich für die Ermordung des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow 2015 verantwortlich ist. Mehrere an dem Anschlag auf Nemzow beteiligte Personen erhielten hohe Haftstrafen, Geremejew hingegen konnten die zuständigen Ermittler nicht einmal für eine Zeugenbefragung ausfindig machen.

Nach Plan verläuft die Rekrutierung nicht immer, weshalb Zwangsmaßnahmen keine Ausnahme darstellen.

Möglicherweise zählen tschetschenische Kämpfer zu jenen, denen Putin Mitte September bescheinige, sie würden sich aus erhabenen patriotischen Erwägungen für einen Militäreinsatz entscheiden. Anders schätzte das am Donnerstag voriger Woche überraschenderweise Regierungssprecher Dmitrij Peskow ein. Das russische Nachrichtenportal RBC zitierte ihn mit den Worten, dass der Zusammenhalt in der russischen Gesamtbevölkerung durchaus wachse, der Hauptgrund der Entscheidung zugunsten eines Vertragsabschlusses mit den Streitkräften sei aber bei vielen die überaus verlockende finanzielle Honorierung.

Mit Blick auf offizielle Zahlen lässt sich fast schon von einem staatlichen Armutsbekämpfungsprogramm sprechen. Die russische Statistikbehörde Rosstat weist für das zweite Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahr einen signifikanten Rückgang der Armut aus. Die Zahl der Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze von rund 140 Euro pro Monat leben, ist demnach um 1,9 Millionen auf 15,5 Millionen gesunken, das entspricht knapp elf Prozent der Bevölkerung. In einer Mitteilung von Rosstat heißt es dazu, die Einkommen der ärmsten Teile der Bevölkerung seien dank angehobener Löhne und gezielter Sozialhilfe rasant gestiegen.

Nach Plan verläuft die Rekrutierung dennoch nicht immer, weshalb Zwangsmaßnahmen keine Ausnahme darstellen. An Orten, an denen sich insbesondere männliche Migranten versammeln, finden regelmäßig Razzien statt. So geschah es kürzlich in einem Kulturzen­trum südöstlich von Moskau, in dem sich Muslime zum Freitagsgebet einfanden. Etliche von ihnen wurden in eine Kaserne verfrachtet. Wer sich einer Rekrutierung verweigert, dem droht, falls er bereits eingebürgert wurde, der Entzug der russischen Staatsangehörigkeit.

Ende Oktober veranlasste Putin den Start einer Interkontinentalrakete vom Typ Jars von einem Stützpunkt nahe der Stadt Archangelsk, eine Rakete vom Typ Sinewa wurde von einem Atom-U-Boot gestartet.

Die dem Verteidigungsministerium unterstehende Söldnertruppe Redut hat mittlerweile im sozialen Medium Vkontakte mit der Anwerbung von Frauen begonnen. Finanziell gelten die gleichen Bedingungen wie für männliche Soldaten, nämlich ein Grundgehalt von rund 2.200 Euro bei einer Vertragslaufzeit von zunächst sechs Monaten. Gesucht werden ausdrücklich Scharfschützinnen und Soldatinnen für die Steuerung von Kampfdrohnen, nicht etwa Köchinnen oder Ärztinnen, wie sie bereits zuvor von anderen Einheiten angeworben worden waren. Ob das Angebot viele Frauen anzieht, bleibt abzuwarten.

Wladimir Putin befasst sich derweil mit einem seiner Lieblingsthemen: Russland als Atommacht. Ende Oktober veranlasste er den Start einer Interkontinentalrakete vom Typ Jars von einem Stützpunkt nahe der Stadt Archangelsk, eine Rakete vom Typ Sinewa wurde von einem Atom-U-Boot gestartet. Zu Übungszwecken, wie der Kreml mitteilte; Verteidigungsminister Sergej Schoigu erklärte den Sinn des Manövers damit, die Reaktionsfähigkeit des russischen Atomarsenals auf einen Atomangriff des Gegners zu testen.

Just zum selben Zeitpunkt stimmte der russische Föderationsrat der Aufkündigung des Vertrags zum Verbot von Atomwaffentests zu. Schließlich, so die Begründung, hätten viele weitere Länder, darunter die USA, diesen Vertrag nie ratifiziert. Damit beweist Putin einmal mehr, dass Russlands Atomwaffen nicht nur sein gewichtigstes und vielleicht letztes Argument im Umgang mit westlichen Kontrahenten darstellen.

Die von Russland angekündigte »Friedensmission« in Gaza gerät da zum Nebenschauplatz, vergessen ist sie nicht. Mitte voriger Woche traf eine Delegation der Hamas zu Gesprächen in Moskau ein. Das israelische Außenministerium forderte deren sofortige Ausweisung.