Spektakulärer Rückschlag für die Entwicklung nuklearer Kleinreaktoren in den USA

Das tote Pferd

In den Vereinigten Staaten hat die Entwicklung nuklearer Kleinreaktoren einen spektakulären Rückschlag erlitten.
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Am 8. November gab die US-amerikanische Nuscale Power Corp. bekannt, ihr sogenanntes Carbon Free Power Project abzusagen. Darin war vorgesehen, in einem Forschungszentrum nahe Idaho Falls ein Atomkraftwerk aus sechs Modulen mit einer Leistung von je 77 Megawatt zu errichten. Mit diesen insgesamt 462 Megawatt sollten kommunale Stadtwerke in Arizona, Idaho, Kalifornien, Nevada, New Mexiko, Utah und Wyoming mit Energie versorgt werden. Es handelte sich um ein Vorzeigeprojekt kleiner Atom­reaktoren, bekannt unter der Bezeichnung Small Modular Reactors (SMR). Diese neue Technologie wird nicht nur von der US-Regierung stark unterstützt, sie findet weltweit begeisterte Anhänger in der Politik und den Medien. Allerdings handelt es sich meist um dieselben Kreise, die auch die bisherige Nukleartechnik schon gefeiert haben.

Von knapp 20 Unternehmen, die in den USA an der Realisierung von SMR-Konzepten arbeiten, ist Nuscale bisher die einzige Firma, deren Reaktordesign von der Atomaufsicht genehmigt wurde. So schien das Pilotprojekt in Idaho einen Vorsprung vor allen anderen zu haben. 2026 sollte mit dem Bau begonnen werden, schon 2029 sollte der erste Reaktor ans Netz gehen, ein Jahr später sollten die anderen fünf Module folgen – ein »extrem optimistischer« Plan, so der Ökonom David Schlissel. Als Kosten waren ursprünglich 5,3 Milliarden US-Dollar veranschlagt, 1,4 Milliarden Förderung hatte das US-Energieministerium zugesagt. Die Finanzierung sollte dadurch gesichert werden, dass sich genügend (Groß-)Kunden fänden, die den erzeugten Strom dauerhaft zum Festpreis von 5,8 Cent pro Kilowattstunde abnehmen würden.

Es folgte, was in der Nuklearbranche gewohnheitsmäßig passiert. Man hatte sich wieder einmal verrechnet. Anfang des Jahres bezifferte Nuscale die Kosten des Projekts auf nunmehr 9,3 Milliarden US-Dollar. Daher müsse der Festpreis pro Kilowattstunde auf 8,9 Cent erhöht werden – und das ist der Großhandelspreis, nicht der Preis für die Endverbraucher. Zu diesen Konditionen müsste die Abnahme von 80 Prozent der erzeugten Elektrizität gesichert sein.

Es läuft also nicht so rund mit der schönen neuen Atomwelt, wie ihre Propagandisten sich das vorgestellt haben.

Das war nach Angaben des Unternehmens nicht möglich. »Wenn man auf einem toten Pferd sitzt, steigt man ab«, sagte der Vorstandsvorsitzende John Hopkins; es hätten sich nicht genügend Kunden gefunden. Auch Anleger sind abhanden gekommen: Die Aktie fiel in den vergangenen elf Monaten von zwölf auf nur noch etwa zwei Dollar.

International wird die Notbremsung gleichfalls Folgen haben. Nuscale behauptet, ein Netzwerk von potentiellen Kunden in einer Vielzahl von Ländern aufgebaut zu haben. Polen und Rumänien hatten ihre Absicht erklärt, SMRs von Nuscale zu beziehen. Ob sie zwecks Subventionierung schon bei der EU-Kommission angefragt haben, ist einstweilen nicht bekannt.

Es läuft also nicht so rund mit der schönen neuen Atomwelt, wie ihre Propagandisten sich das vorgestellt haben. Dabei sind die finanziellen Fehlkalkulationen nur die Spitze des Eisbergs. In einem langen Absatz listet Nuscale die Probleme und Risiken auf, mit denen das Carbon Free Power Project zu kämpfen hatte: die Covid-19-Pandemie und ihren Folgen, der Fachkräftemangel, der Wettbewerb in der Branche, Versäumnissen internationaler Partner (zum Beispiel in Italien und Deutschland), ihren Verpflichtungen nachzukommen, Verstöße gegen die Cybersicherheit, Probleme, geeignete Versicherer zu finden, neue Regierungsauflagen, Rechtsstreitigkeiten et cetera.

Die lange Liste hat auch eine Ablenkungsfunktion. Nuscale möchte damit den Eindruck erwecken, als sei das Produkt an sich unproblematisch. Tatsächlich verzichtet das Unternehmen bei seinem SMR-Modell auf abenteuerliche Konstruktionen, mit denen andere Start-ups für sich werben, wie geschmolzenes Salz als Kühlmittel, die Nutzung von Atommüll als Brennstoff und dergleichen mehr. Nuscale bevorzugt stattdessen die bekannte Technologie von Druckwasserreaktoren mit zwei Kühlmittelkreisläufen und leicht angereichertem Uran (LEU) als Brennstoff. Die Neuerung besteht darin, Reaktordruckbehälter und Dampferzeuger in einem Modul zu integrieren, so dass große Pumpen und Rohre im Primärkreislauf entfallen. Darüber hinaus sollen bis zu zwölf solcher SMRs in ein und demselben Reaktorgebäude betrieben werden können. Dadurch versprach Nuscale Kostenersparnisse, die es freilich nur auf dem Papier gegeben hat.

Ein zentraler Punkt ist dabei der Anreicherungsgrad des Brennstoffs. Alle anderen SMR-Konzepte, die in den USA entwickelt werden, benötigen nämlich, ähnlich wie Forschungsreaktoren, Uran mit einer 20prozentigen Anreicherung des spaltbaren Anteils (HALEU). Das US-Energieministerium hat sein Einverständnis erklärt – ein kaum beachteter, aber folgenschwerer Bruch mit der bisherigen Praxis, nur LEU zu genehmigen, um eine Proliferation zu erschweren. Es ist durchaus möglich, dass Nuscale durch diese Wendung seinen bisherigen Wettbewerbsvorteil verloren hat.

An der Entschlossenheit vieler Regierungen, ihre hochfliegenden SMR-Pläne weiter zu verfolgen, dürfte dieser Rückschlag wenig ändern. Die Bereitschaft von Anlegern, in die angeblich nachhaltige Technologie zu investieren, ist durch ihn aber nicht gerade gewachsen.