Kabinettsumbildung in Großbritannien – Suella Braverman raus, David Cameron rein

Sunak recycelt Cameron

Der britische Premierminister Rishi Sunak hat die Innenministerin Suella Braverman gefeuert und als Außenminister David Cameron angeheuert.

London. Die Kabinettsumbildung des britischen Premierministers Rishi Sunak in der vorigen Woche war in gewissem Maße eine durchaus gelungene Ablenkung: In den ersten Tagen sprach die britische Öffentlichkeit weniger über den erwarteten Rausschmiss der Innenministerin Suella Braverman als über das überraschende Comeback des ehemaligen Premierministers David Cameron als neuer Außenminister. Sein Vorgänger in dieser Rolle, James Cleverly, ist nun Innenminister.

David Cameron ist vor allem für die harte Sparpolitik seiner Regierungszeit von 2010 bis 2016 bekannt, mit großen Einschnitten in der Gesundheitspolitik, bei der Erziehung und der Polizei. Auch Sozialleistungen und staatliche Programme zur Regionalentwicklung vor allem im ­armen Norden Englands wurden gekürzt. Cameron verantwortete auch das ­Referendum zum Austritt aus der EU, von dem er sich eine Zustimmung für den Verbleib erhofft hatte. Nachdem sich die Briten 2016 mehrheitlich anders entschieden hatten, trat Cameron zurück und Großbritannien fiel in einen politischen Fieberkrampf, der Jahre andauerte.

Cameron selbst ist in den vergangenen Jahren wenig in Erscheinung getreten, mit der Ausnahme seiner umstrittenen Rolle als Lobbyist der Finanzfirma Greensill Capital. Nachdem Cameron jahrelang Beratergehälter von Greensill in Millionenhöhe kassiert hatte, versuchte er 2020, den damaligen Finanzminister Rishi Sunak zu überzeugen, Greensill Capital Corona-Beihilfen zufließen zu lassen. Greensill erhielt die Hilfen nicht und ging 2021 bankrott.

Camerons Austeritätspolitik gilt heutzutage vielen als eine der wichtigen Ursachen für die Entscheidung zum britischen Austritt aus der EU. Mit dem windigen Versprechen, den staat­lichen Gesundheitsdienst NHS mit Hilfe der durch den Austritt vermeintlich eingesparten Gelder an die EU finanziell wieder aufzupäppeln, hatten die Befürworter des Austritts viele ärmere Briten für sich gewinnen können. Ähnliche Versprechungen, nämlich durch staatliche Transferzahlungen die ärmeren Gebieten Englands aufzupeppen, verhalfen Boris Johnson bei den Wahlen 2019 zu vielen eroberten Wahlkreisen im englischen Norden und so zu seinem Wahlsieg.

Der Gerichtshof entschied , dass das Regierungsvorhaben, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern, mit britischen Gesetzen zum Schutz der Menschenrechte nicht vereinbar ist.

Dass nun ausgerechnet Cameron ins Kabinett zurückkommt, signalisiert einerseits die weitere Abwendung von Sunaks Regierung von sozialen Umverteilungsideen, die Johnson noch offen vertreten hatte. Es ist indes auch eine Bewegung zur politischen Mitte, nachdem es noch vor einigen Wochen eher so aussah, als wolle Sunak vor den Wahlen rechtspopulistische Themen setzen, wie etwa den vermeintlichen »Krieg gegen die Autofahrer« zu be­enden – sprich Zonen mit 20-Meilen-Tempolimit aufzuheben – oder Recyclingvorgaben zu entschärfen. Zudem hatte sich Sunak bei seiner Rede auf dem konservativen Parteitag Ende ­September explizit von Cameron und anderen konservativen Premierministern der vergangenen Jahre distanziert.

Doch unverändert schlechte Um­fragewerte scheinen Sunak zu einer Kursänderung bewogen zu haben. Das Kalkül ist möglicherweise, fiskalpolitisch restriktiv eingestellte, aber gesellschaftspolitisch liberalere Kernwähler der Konservativen im reicheren Süden des Landes zurückzugewinnen. Neben Cameron sind einige andere eher in der politischen Mitte angesiedelte Konservative in Sunaks neuem Kabinett, beispielsweise die neue Gesundheitsministerin Victoria Atkins und die neue Staatssekretärin im Finanzministerium, Laura Trott, während Suella Braverman, eine Vertreterin des hart rechten Flügels, gehen musste.

Bravermans Rausschmiss war indes unvermeidbar. Sie hatte offen gegen Regeln der Kabinettsdisziplin verstoßen. In einem Artikel für die Times warf sie der Londoner Polizei vor, Rechtsbrüche bei propalästinensischen Proteste regelmäßig zu dulden, nachdem die Polizei entgegen ihrer Forderung die große antiisraelische Demonstration am vorvergangenen Wochenende in London nicht verboten hatte. Wie sich herausstellte, hatte sie den umstrittenen Text zwar, wie in solchen Fällen Usus, dem Büro des Premierministers zur Durchsicht vorgelegt, aber dann von Sunak geforderte Änderungen nicht ausgeführt. Die offene Insubordination ließ Sunak keine Wahl: Er musste Braverman feuern, um seine Richtlinienkompetenz zu verteidigen.

Braverman hatte es möglicherweise so gewollt. Der Hintergrund ist das vorläufige Scheitern eines zentralen Anliegens von Bravermans und Sunaks Migrationspolitik. In dem im Juli verabschiedeten Illegal Migration Act sieht die Regierung unter anderen vor, dass Asylsuchende, die auf nicht autorisierten Routen, also zum Beispiel auf Schlauch­booten über den Ärmelkanal, nach Großbritannien einreisen, in Zukunft ihr Asylrecht nicht mehr in Großbritannien einfordern können. Stattdessen sollten sie in als sicher geltende Herkunftsländer oder Drittstaaten abgeschoben oder, falls dies nicht möglich, zur Bearbeitung ihrer Asylanträge nach Ruanda geflogen werden.

Diese Maßnahme, nicht explizit Teil des neuen Gesetzes, aber bereits 2022 vom damaligen Premierminister Boris Johnson vorgestellt, bildete in den vergangenen Monaten den Kern der Asyldiskussion. Der Oberste Gerichtshof Großbritanniens, der Supreme Court, entschied Mitte voriger Woche, dass das Vorhaben, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern, nicht vereinbar mit einer Reihe von britischen Gesetzen zum Schutz der Menschenrechte ist. Es sei nicht auszuschließen, so die Richter, dass Menschen mit anerkannten Asylgründen von Ruanda in ihre Herkunftsländer zurückgeschickt würden.

Sunak will nun den Ruanda-Plan retten, indem er möglicherweise einen völlig neuen Staatsvertrag mit dem ostafrikanischen Land abschließt; doch das würde Zeit kosten, denn ein solcher müsste im Parlament abgesegnet werden. Auch die Gerichte würden ­erneut ins Spiel kommen und eine schnelle Umsetzung ist so nicht zu erwarten, sicher nicht vor den nächsten Wahlen, die spätestens im Januar 2025 stattfinden müssen.

Braverman warf Sunak nach ihrem Rausschmiss vor, die Sache nicht wirklich ernst zu meinen. In einem bitter­bösen Brief behauptete sie auch, Sunak habe eine Reihe von Versprechen gebrochen, mit der er ihre Unterstützung für seine Regierung erkauft habe – ­populistische Versprechen, scharf gegen Migration vorzugehen, Obdachlose unter Druck zu setzen, die Rechte von Transsexuellen zu beschneiden und die Sexualerziehung in der Schule zu verändern.

Braverman hat viele Unterstützer auf dem hart rechten Flügel der Tories, und da sie bereits als Mitglied der ­Regierung wenig Hemmungen hatte, deren Arbeit zu kritisieren, erwarten einige, dass Braverman und ihr Umfeld noch mehr Druck ausüben werden. Stramm rechte Abgeordnete der Tories sehen die Kabinettsumbildung in jedem Fall mit großer Skepsis. Sie vertrauen Cameron nicht, denn er hatte für einen Verbleib in der EU argumentiert und ist nun ausgerechnet für die Außenpolitik verantwortlich. Für Sunak könnte dies zum Problem werden, sogar noch vor den kommenden Wahlen. Nach der Kabinettsumbildung haben bereits einige namhafte konservative Abgeordnete zur offenen Rebellion gegen Parteiführer Sunak aufgerufen.