Eine umstrittene Änderung des Einwanderungsrechts hat das britische Oberhaus passiert

Großbritannien verschärft Asylrecht

Eine umstrittene Gesetzesvorlage der Regierung des britischen Premierministers Rishi Sunak zur illegalen Einwanderung hat die letzte Hürde im Oberhaus genommen.

Die britische Regierung will das Asylrecht grundlegend verändern. In einer Reihe von Abstimmungen in der Nacht zum Dienstag hat das Oberhaus auch die letzten der von den Abgeordneten geforderten Änderungen an dem umstrittenen Gesetzentwurf zur illegalen Einwanderung (Illegal Migration Bill) zurückgestellt und das Gesetz angenommen. Damit ging ein mehr als zweimonatiges parlamentarisches Gezerre zu Ende, bei dem der Gesetzentwurf zwischen Ober- und Unterhaus hin- und hergeschoben wurde, nun kann er die königliche Zustimmung erhalten.

Die Regierung will mit ihrem Gesetz sicherstellen, dass Menschen, die auf »unautorisierten Routen« nach Großbritannien kommen, nicht länger das Recht haben, Asyl zu beantragen. Sie sollen stattdessen interniert und umgehend in ihr Herkunftsland, »sichere Drittstaaten« oder nach Ruanda ab­geschoben werden. Vor allem die Geflüchteten, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen, sollen abgeschreckt werden.

Der konservative Premierminister Rishi Sunak hatte Anfang des Jahres ­unter dem Slogan »Stop the Boats« die Asylpolitik und vor allem die Reduktion der Bootsüberquerungen des Ärmelkanals zu einer seiner Prioritäten erklärt. Ein Abkommen mit Frankreich über die bessere Bewachung der französischen Küste, finanziert von Großbritannien, soll dafür sorgen. Mit Albanien hat die britische Regierung ein Rückführungsabkommen abschlossen. Die Franzosen hätten, so sagte der für Immigration zuständige Staatssekretär, Robert Jenrick, im Parlament, in diesem Jahr bereits 22.000 Boote abgefangen.

Der neue Gesetzentwurf sowie insbesondere die geplanten Abschiebungen nach Ruanda, die vor allem die derzeitige Innenministerin Suella Braverman von der Konservativen Partei bereits seit einigen Jahren propagiert, wurden und werden im britischen Parlament, vor Gerichten und in der Öffentlichkeit hitzig verhandelt. Bereits im vergangenen Jahr hatte Braverman mit der Regierung von Ruanda ein Abkommen unterzeichnet, in dem sich das Land zur Aufnahme von britischen Asylbewerbern bereit erklärt. Mehrere Hundert Millionen Pfund hat Großbritannien im Gegenzug Ruanda versprochen, 140 Millionen BBC zufolge bereits gezahlt.

Erst Ende Juni veröffentlichte die Regierung, dass sie Kosten 169.000 Pfund (rund 197.000 Euro) pro abgeschobenem Asylbewerber erwartet; die Summe umfasst eine Zahlung an das Drittland von rund 105.000 Pfund (122.000 Euro) pro Person sowie 22.000 Pfund (26.000 Euro) für Flug und Flugbegleitung; weitere Posten sind Pro-Kopf-Anteile für den Bau von Haftanstalten und weitere staatliche Aufwendungen. Bisher sei noch kein einziger Geflüchteter aus Großbritannien nach Ruanda abgeschoben worden, so Stephen Kinnock, ­Schattenstaatssekretär für ­Einwanderung der Labour-­Partei. Er spottete vorige Woche im Parlament, die Regierung habe mehr Innenminister nach Ruanda geschickt als Asylsuchende.

Die Regierung will mit ihrem Gesetz sicherstellen, dass Menschen, die auf »unautorisierten Routen« nach Großbritannien kommen, nicht länger das Recht haben, Asyl zu beantragen.

Einige Flüchtlinge und NGOs haben die Regierung verklagt. Im Juni entschied das Berufungsgericht Court of Appeal, dass der Plan der britischen ­Regierung, Asylsuchende nach Ruanda abzuschieben, illegal sei; nicht vereinbar insbesondere mit dem Europäischen Menschenrechtsabkommen, an dem Großbritannien trotz des Ausstiegs aus der EU noch beteiligt ist. Die Regierung hat gegen die Entscheidung Berufung eingelegt, nun liegt der Fall beim Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof.

Kritik am Gesetzentwurf gibt es sogar aus den Reihen der Konservativen Partei, ausgerechnet von der ehemaligen Premierministerin Theresa May. Als ­Innenministerin unter Premierminister David Cameron von 2010 bis 2016 galt sie noch als Hardliner in Immigrationsfragen. Sie ist verantwortlich für die sogenannte Politik des hostile environment (feindliche Umgebung), die in dieser Zeit entstand, und in deren Zuge regelmäßige Überprüfungen des Aufenthaltsstatus in vielen Einrichtungen, Universitäten, bei Ärzten und Krankenhäusern eingeführt wurden. Vergangene Woche stimmte May mit rund einem Dutzend konservativer Abgeordneter wiederholt für Änderungsvorschläge aus dem Oberhaus, die allerdings im Unterhaus alle verworfen wurden. May sagte, das Gesetz würde dazu führen, mehr Menschen in die Sklaverei zu treiben, da Opfer von Menschenhandel nicht länger von einer Internierung ausgenommen würden.

Das Gesetz sieht auch die Internierung und Abschiebung von Kindern und schwangeren Frauen vor, was im britischen Oberhaus, in dem es keine konservative Mehrheit gibt, zu Kritik und mehreren Anträgen auf Gesetzesänderungen führte. Es sei reiner Ausdruck von Grausamkeit, sagte der Labour-Oberhausabgeordnete Alf Dubs, der als Kind aus Nazi-Deutschland nach Großbritannien geflohen war und heutzutage im Vorstand des britischen Flüchtlingsrats sitzt.

Kritiker monieren auch die Kosten und die Ineffektivität der Behörden. Seit 2018 ist die Zahl der Menschen gestiegen, die auf der Ärmelkanal-Route nach Großbritannien kommen. Im vorigen Jahr waren es fast 46.000 Menschen. Bis Juni 2023 kamen 12.000 Menschen über diese Route an. Die Zahlen sind zwar höher als in früheren Jahren, aber im Vergleich zu ähnlich großen europäischen Ländern eher gering; allerdings nimmt Großbritannien das Gros der Flüchtlinge aus Hongkong auf. Ein Problem sind die vielen unbearbeiteten Asylanträge durch die Unter­finanzierung der britischen Behörden. In Frankreich wurden 2022 rund 130.000 Asylanträge bearbeitet, in Großbritannien nur knapp 20.000.

Ein Immigrationszentrum im südenglischen Manston, in dem viele der Geflüchteten nach den Kanalüber­querung registriert werden, war im November in die Schlagzeilen geraten, weil aufgrund starker Überbelegung Menschen im anbrechenden Winter in Zelten auf Luftmatratzen untergebracht wurden. Entgegen den Regularien blieben Flüchtlinge dort wochenlang interniert, auch Kinder. Es stellte sich dann heraus, dass Innenministerin Braverman angeordnet hatte, keine Hotels zur Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. Das Innenministerium stellte indes auch keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten zur Verfügung und hielt die Zustände in Manston wochenlang geheim. In der Folge kam es zum Ausbruch von In­fektionskrankheiten und dem Tod eines Insassen.