In Griechenland wurde erneut ein ­jugendlicher Rom von Polizisten getötet

Von der Polizei erschossen

In Griechenland wurde der jugendliche Rom Chrístos Michalópoulos nach einer Verfolgungsjagd mit dem Auto von der Polizei erschossen. Es ist bereits der dritte Fall innerhalb von zwei Jahren.

Nach einer Verfolgungsjagd mit dem Auto wurde in der Nacht auf vorvergangenen Sonntag der 17jährige Rom Chrístos Michalópoulos in Griechenland von einem Polizisten erschossen. Der Polizei zufolge forderten die Beamten »ein mit vier Personen besetztes Fahrzeug, das mit hoher Geschwindigkeit auf der Nationalstraße von Livadiá nach Thíva unterwegs war, zum Anhalten auf«, was dieses jedoch nicht tat, woraufhin die Verfolgungsjagd begann.

Die Polizei stufte das Geschehen als »Hochrisikofall« ein und forderte Verstärkung an, worauf ein Team der Antiterroreinheit OPKE reagierte, die das Fahrzeug dann aufspürte. »Der Fahrer missachtete erneut die Haltesignale, beschleunigte und verließ die Nationalstraße.« Weiter heißt es: »Die OPKE näherte sich dem Fahrzeug, um eine Hochrisikokontrolle durchzuführen, bei der der kontrollierte Fahrer durch einen Schuss verwundet wurde, dessen Umstände noch untersucht werden.«

Polizeiquellen behaupten, der Fahrer habe versucht, dem Beamten die Waffe zu entwenden, worauf sich ein Schuss »gelöst« habe. Dieser Darstellung widersprechen die drei anderen Autoinsassen vehement. Der Beifahrer und Bruder des Opfers, der sich zusammen mit seiner Freundin und seiner Schwester im Wagen befand, dementierte, dass sein Bruder »versucht hat, dem Polizisten die Waffe zu entreißen«: »Der Polizist stieg wütend aus seinem Wagen, näherte sich und schlug mit der Waffe auf der Seite meines Bruders die Scheibe ein. Mein Bruder öffnete die Tür, hatte keine Zeit auszusteigen, der Polizist zerrte ihn am Hemd, trat ihm in die Rippen, gegen die Beine, und erschoss ihn. Der Asphalt war mit dem Blut meines Bruders bedeckt.«

Er sagte zudem, sein Bruder habe anfangs aus Angst nicht angehalten, da er erst nächstes Jahr den Führerschein machen wollte; dann habe er den Warnblinker angemacht und sei rechts rangefahren. Ein weiterer Augenzeuge berichtete dem Fernsehsender Open, dass »die Mädchen weinten und schrien, weil der Uniformierte seine Waffe gezogen hatte«.

In Athen, Thessaloníki, Vólos, Xánthi und in Iráklio und Chaniá auf Kreta demonstrierten anarchistische Gruppen unter dem Motto »Kein Mord wird unbeantwortet bleiben«.

In der Nacht auf den 13. November kam es in mehreren griechischen Städten und Kleinstädten zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, als Gruppen von Roma Barrikaden errichteten und diese in Brand setzten. Am 13. November fand in Thíva eine Kundgebung statt. Klassenkamerad:innen des 17jährigen besetzten ihre Berufsschule und forderten »ein Ende der Polizeiwillkür« sowie die »Bestrafung der Täter«.

In Athen, Thessaloníki, Vólos, Xánthi und in Iráklio und Chaniá auf Kreta demonstrierten anarchistische Gruppen unter dem Motto »Kein Mord wird unbeantwortet bleiben«. In der Nacht zum 15. November weiteten sich die Unruhen mit Straßenblockaden und brennenden Barrikaden auf weitere Teile des Landes aus. Die Polizei setzte Tränengas und Blendschockgranaten ein.

Der jüngste Todesfall ähnelt dem des 18jährigen Níkos Sambánis im Oktober 2021 und dem des 16jährigen Kóstas Frangoúlis im Dezember 2022, die ebenfalls nach Verfolgungsjagden erschossen worden waren. Im Oktober 2021 hatten Beamte der berüchtigten Motorradeinheit Dias einen Wagen in Piräus verfolgt, dessen drei Insassen nicht auf Haltezeichen reagiert hatten. Nachdem der Wagen zum Stehen gekommen war, durchsiebten sie ihn mit 38 Schüssen. Sambánis, der Beifahrer, verblutete von einer Kugel getroffen. Im Dezember 2022 tötete ein Polizist bei einer Verfolgungsjagd in Thessaloniki mit »Warnschüssen in die Luft und auf die Reifen« den 16jährigen Frangoúlis per Kopfschuss. Dieser hatte eine Tankrechnung in Höhe von 20 Euro nicht bezahlt.

In der linken Athener Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón kündigte Vassílis Pántzos, der Vorsitzende der Vereinigung griechischer Roma Ellan Passe, institutionelle und rechtliche Schritte der Roma-Konföderation an: »Nach dem Tod von Sambánis und Frangoúlis wurde ein Rundschreiben herausgegeben, wie Polizeibeamte in Fällen von Verfolgung vorgehen sollten. Es wurde wieder nicht befolgt. Wir fordern erneut, dass das rassistische Motiv untersucht wird. Polizeigewalt und Polizeiwillkür müssen reduziert werden. Das betrifft nicht nur die Roma, das betrifft die ganze Gesellschaft.«
Die Jugendorganisation der sozialdemokratischen Oppositionspartei Syriza spricht von »einer weiteren kaltblütigen Hinrichtung eines unbewaffneten Jungen« durch Polizeibeamte. Die Bewegung »Gemeinsam gegen Rassismus und die faschistische Bedrohung« (Keerfa) fordert die Bestrafung des Täters, den Rücktritt des Bürgerschutzministers Giánnis Oikonómou und dass es keine Vertuschung des Todesfalls geben dürfe.

Schwere Vorwürfe erhebt der Anwalt der Familie des 17jährigen, Ioánnis Bagagiánnis: »Die Ermittlungsbeamten haben (…) den Täter als Verantwortlichen für die Bewachung des Tatorts angegeben. Als die Gerichtsmediziner dort ankamen, war der Bereich schon mit Wasser gereinigt worden.« Nach ersten Informationen der Gerichtsmedizin durchschlug die Kugel den linken Daumen von Michalópoulos und blieb dann links von der Halswirbelsäule stecken.
Der Regierungssprecher Pávlos Marinákis (Néa Dimokratía) sprach kontrafaktisch von einem »Einzelfall«, der aufgeklärt werde. Der 41jährige Polizeibeamte befindet sich vorläufig wegen mutmaßlichen Totschlags in Haft.