Lisa Michajlova, Jüdische Studierendenunion Deutschland, im Gespräch über Antisemitismus an deutschen Unis

»Jüdische Studierende verstecken ihre Identität wieder häufiger«

Seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober zeigt sich der Antisemitismus in Deutschland offener als bisher. Die »Jungle World« sprach mit Lisa Michajlova von der Jüdischen Studierendenunion Deutsch­land (JSUD) über die Erfahrungen jüdischer Studierender.
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Wie erleben jüdische Studierende derzeit die Si­tuation an den Hochschulen?
Viele jüdische Studierende wenden sich an uns, weil sie verunsichert sind und nicht wissen, ob sie ihre jüdische Identität am Campus weiterhin offen ausleben können. Im Seminarraum sitzen sie teilweise neben Kommilitonen, die auf Social-Media-Plattformen antisemitische Inhalte teilen und auf Demonstrationen judenfeindliche Parolen schreien.

Wie hat sich die Situation seit dem 7. Oktober verändert?
Wir haben in den letzten Jahren viel darauf hingearbeitet, jüdisches Leben an den Universitäten wieder sichtbarer zu machen. Ein Beispiel dafür sind die Jüdischen Campuswochen, die dieses Jahr bereits in vielen deutschen Städten stattgefunden haben. So fühlten sich jüdische Studierende an den Campus in den letzten Jahren immer seltener verunsichert, wenn es ­darum ging, über ihre Herkunft oder Religion zu sprechen. Diese Errungenschaften sind nun dahin, jüdische Studierende verstecken ihre Identität wieder häufiger.

»An den Hochschulen braucht es viel mehr Sensibilisierung für das Thema Antisemitismus.«

Wie bewerten Sie den Umgang der Hochschulen mit den Terrorattacken der Hamas?
Die meisten Universitätsleitungen haben sich solidarisch gezeigt und Statements veröffentlicht, beispielsweise auf Instagram, in denen sie sich gegen den Terror der Hamas und Antisemitismus auf dem Campus aussprachen. Nachdem darunter immer mehr Hasskommentare zu lesen waren, darunter judenfeindliche Parolen, antisemitische Verschwörungserzählungen oder Solidarisierungen mit der Hamas, wurden einige dieser Statements wieder gelöscht oder die Kommentarfunktionen deaktiviert.

Und wie haben Sie die Reaktionen der studentischen Hochschulgruppen auf die Terror­attacken der Hamas wahrgenommen?
Einige Studierendengruppen kooperierten in der Vergangenheit mit antisemitischen, den Terror unterstützenden Organisationen, beispielsweise der inzwischen verbotenen Samidoun. Bei der Kritischen Campuswoche an der Universität Duisburg-Essen wurden nur eine Woche nach dem Hamas-Überfall Organisationen eingeladen, die den Terrorangriff als legitimen Widerstand unterstützten.
An der Universität der Künste in Berlin gab es vergangene Woche ein Sit-in, bei dem etwa 50 Studierende mit ausgestreckten und rot bemalten Hand­flächen einen Waffenstillstand forderten. Diese »künstlerische« Symbolik ist ein direkter Verweis auf die Zweite Intifada. Im Jahr 2000 wurden zwei Israelis in Ramallah verhaftet, ein Lynchmob stürmte die Polizeistation und ermordete sie. Anschließend streckte einer der Mörder seine vom Blut der Opfer rot gefärbten Handflächen einem judenfeindlichen Mob aus dem Fenster entgegen – ein ikonisches Bild, das wohl jeder kennt, oder kennen sollte, der sich mit dem Konflikt beschäftigt.

Worauf sollten Universitäten zukünftig besonders Wert legen?
An den Hochschulen braucht es viel mehr Sensibilisierung für das Thema Antisemitismus. Nicht nur die Antidiskriminierungsbeauftragten der Universitäten, sondern auch Dozierenden- und Studierendenvertretungen müssen besser über Antisemitismus in all seinen Ausprägungen aufgeklärt werden. Menschen sollten sich, ähnlich wie sie sich in den letzten Jahren vermehrt mit Sexismus und Rassismus beschäftigt haben, nun auch bewusster mit ihrem (eigenen) Antisemitismus auseinandersetzen.