Die Ballard-Verfilmung »Atrocity Exhibition« labt sich zu sehr an der Gewalt

Der absurde Ästhetizismus des Body Horror

Die Verfilmung von J. G. Ballards Romans »The Atrocity Exhibition« kommt nach 26 Jahren wieder in die Kinos. Die Verfilmung des Regisseurs ­Jonathan Weiss hielt Ballard zwar für gelungen, doch sie gefällt sich zu sehr in der Pose provokanter Abgründigkeit.

Eigentlich hielt der britische Autor dystopischer Science-Fiction, J. G. Ballard, seinen 1970 erschienenen Roman »The Atrocity Exhibition« für nicht verfilmbar. Als sich Jonathan Weiss im Jahr 1998 dennoch an einer Verfilmung versuchte, änderte Ballard seine Meinung und bezeichnete das Ergebnis gar als die gelungenste Verfilmung eines seiner Werke überhaupt. Im Rahmen der »Zeitlos«-Reihe bringt der deutsche Filmverleih Rapid Eye Movies »The Atrocity Exhibition« jetzt noch einmal in die deutschen Kinos.

Weiss’ experimenteller Kunstfilm handelt von dem Wissenschaftler Dr. Travis Talbert (Victor Slezak), den die Faszination für den menschlichen Destruktionstrieb zu der aberwitzigen Idee treibt, im Rahmen eines Kunstprojekts den Dritten Weltkrieg auszulösen. In einer vorangestellten Bemerkung gibt sich der Film als authentisches Werk Talberts aus. Dieser habe Institutskollegen aus der Universität, an der er arbeitet, als Schauspieler eingespannt und selbst mehrere Rollen übernommen sowie Räumlichkeiten und Inventar des Instituts für die Produktion des Films zweckentfremdet.

So ganz mag diese Prämisse allerdings nicht aufgehen, zeigen Szenen des Films doch immer wieder Gespräche über die Einschätzung Talberts psychischer Verfasstheit durch einen besorgten Kollegen. Darin mag man ein Spiel mit Fiktion, Werk und Realität ausmachen – oder aber schlicht eine der zahlreichen dramaturgischen Ungereimtheiten, an denen »The Atrocity Exhibition« krankt.

»The Atrocity Exhibition« zeigt Faszination und Abscheu, Begehren und Ekel nicht als Gegensätze, sondern als zusammengehörig.

Der Film kreist in relativ unvermittelt aneinandergereihten Szenen und Bildern um den Wissenschaftler und sein titelgebendes akademisches Projekt: eine Ausstellung über die Geschichte der Menschheit als eine Geschichte der Scheußlichkeiten. In ihr werden beispielsweise Röntgenbilder von Verletzungen wichtiger historischer Persönlichkeiten gesammelt, ebenso Aufnahmen von Kriegsverletzungen und den Folgen von Detonationen nuklearer Bomben.

Immer wieder zeigt der Film teils ver­störend drastische Archivaufnahmen verbrannter Menschen in ­Vietnam oder offener Operationswunden; anscheinend will er beim Zuschauer eine ähnliche Faszination für das Abgründige und Destruktive wie die Talberts ansprechen – oder aber die Abscheu vor ihr.

»The Atrocity Exhibition« zeigt Faszination und Abscheu, Begehren und Ekel nicht als Gegensätze, sondern als zusammengehörig. Komplettiert wird dieses Einerlei aus absurdem Ästhetizismus und abscheulichen Brutalitäten von einem beun­ruhigenden Score aus dissonanten Streichern und Störgeräuschen, die den Zuschauer in dem wohligen Grusel wiegen, hier die offene Wunde der menschlichen Abgründe aus nächster Nähe betrachten zu können.

Besessen von Autos. Nicht nur Ballard selbst, sondern auch seine Figur Talbert (Victor Slezak) pflegt eine Faszination für Kraftwagen

Besessen von Autos. Nicht nur Ballard selbst, sondern auch seine Figur Talbert (Victor Slezak) pflegt eine Faszination für Kraftwagen

Bild:
Rapid Eye Movies

Talberts Beschäftigung mit dem Zusammenhang von Technologie und Destruktion ist dabei keine kritische Betrachtung der Dialektik der Aufklärung, des Umschlags der Ratio in einen wilden Rationalismus, auch wenn Aufnahmen sinnlos scheinender Messungen von Körperteilen oder des Nachzeichnens des Schattens einer Frau auf der Toilette das bisweilen vermuten lassen. Vielmehr ist Talberts Treiben selbst Teil eines obsessiven Niedergangs. In seinen Augen sind die Technologie und der Todestrieb die bestimmenden Triebkräfte der Geschichte und führen geradewegs in den Dritten Weltkrieg – ein Weg ins Verderben, dem er sich mit seinem Projekt lustvoll anschließt. Teil desselben sind auch erotische Experimente mit Auto­unfällen, die stark an Ballards Roman »Crash« (1973) erinnern, der 1996 von David Cronenberg verfilmt wurde.

Cronenbergs »Crash«-Adaption ist zwar ebenfalls von einer existentialistischen Faszination für das Abgründige getrieben, bleibt dabei aber dramaturgisch kohärent und den klassischen Sehgewohnheiten verpflichtet. »The Atrocity Exhibition« dagegen überführt Ballards Gedankenwelt auch ästhetisch ins Sper­rige, Widerständige und Chaotische. Weiss’ Film bietet eine bemerkenswerte Bilderflut, in der immer wieder Talberts äußerst stilbewusste Freundin Karen Novotny (Anna Juvander) mit schwarzem Bob und Designerkleidern auftaucht. Mal posiert sie lasziv vor einem Operationstisch, auf dem gerade ein chirurgischer Eingriff vorgenommen wird, mal wird sie beim Sex in einem Auto gezeigt – mit einem Porträt Ronald Reagans vor ihrem Gesicht. Es sind diese durchaus kunstvoll komponierten und einfallsreichen Bilder, die »The Atrocity Exhibition« über weite Strecken tragen. Allerdings überschreitet der Film mehr als einmal die Grenze zur intellektuellen Selbstbefriedigung.

So interessiert sich Weiss’ Verfilmung nicht für die Prämissen der ­intellektuellen Lust am Schrecken, sondern sucht in der Geistesgeschichte nur nach Versatzstücken, die das eigene pornographische Bedürfnis nach Tod und Elend irgendwie legitimieren sollen, sei es nun quantenmechanisch, konstruktivistisch oder vulgärpsychoanalytisch. Das sieht dann zum Beispiel so aus, dass Talbert in einem Vortrag fordert, man müsse Freuds Lehre von latenten und manifesten Bewusstseinsinhalten auf die Außenwelt übertragen. Im Zuge der Technisierung habe die ­gemeinhin als passiv verstandene Objektwelt »latente Identitäten« ausgebildet und trete als Vektor von ­Dominanz, Gewalt und Begehren auf. Als Beispiel dafür soll das Auto ­dienen.

Wo die Zivilisation nicht in ihren Unzulänglichkeiten, Grausamkeiten und Borniertheiten kritisiert, sondern im Namen einer toten Unmittelbarkeit als dämonisches Treiben angegriffen wird, ist der Weg zur Lokalisierung der Dämonen in den irgendwie opaken Zentren der kulturellen oder politischen Macht nicht weit.

Diese wohl von Bruno Latour inspirierte Freud-Rezeption ohne Freud, also ohne ein Interesse am konkreten Einzelnen und dem Spiel zwischen seinem Triebschicksal und seiner psychischen Dynamik, zeigt an, wohin es »The Atrocity Exhibition« tatsächlich treibt. Dr. Talbert, so berichtet der besorgte Kollege, der am ehesten noch eine Instanz urteilender, aber erfahrungsfähiger Vernunft verkörpert, sei besessen von der Idee, mit einem Objekt zu verschmelzen – eine Obsession, die aus seiner Zeit als Pilot eines Kampfflugzeugs und seiner Beschäftigung mit der nuklearen Verschmelzung herrühre.

Diese auch im von Cronenberg geprägten Body-Horror-Genre populäre Vorstellung ist ideeller Ausdruck des Todestriebs, der die Spannung zwischen Subjekt und Objekt in der Verschmelzung des Ichs mit der toten Objektwelt aufheben will. Und wo die Zivilisation nicht in ihren Unzulänglichkeiten, Grausamkeiten und Borniertheiten kritisiert, sondern im Namen einer toten Unmittelbarkeit als dämonisches Treiben angegriffen wird, ist der Weg zur Lokalisierung der Dämonen in den irgendwie opaken Zentren der kulturellen oder politischen Macht nicht weit.

Ebenfalls von Ballards Roman inspiriert: »Atrocity Exhibition«, der Opening Track zum 1980 veröffentlichten Album »Closer« der britischen Postpunk-Band Joy Division

Bild:
youtube.com

So bringt »The Atrocity Exhibition« schon recht bald die Filmproduktionsfirmen Hollywoods mit dem Vietnam-Krieg in Verbindung, um dann gegen Ende bei bedeutungsschwerem Geraune über sagenumwobene Todesfälle wie die John F. Kennedys und Marilyn Monroes anzukommen. Das ist so dermaßen platt, dass man mit viel gutem Willen beinahe geneigt ist, dem Film zuzutrauen, er wolle einen immanenten Zusammenhang aufzeigen zwischen jener auch heute noch schwer populären Mischung aus Existentialismus, Konstruktivismus und Nihilismus einerseits sowie hinterwäldlerischer Provinzialität im Blick auf Welt­geschehen und -geschichte andererseits. Doch dafür gefällt sich Weiss’ Film zu sehr selbst in seiner bemüht provokanten Abgründigkeit, die das eigene antizivilisatorische Bedürfnis in pathischer Verdrehung auf die Agenturen der Zivilisation projiziert.

The Atrocity Exhibition (USA 1998). Regie: Jonathan Weiss. Buch: J. G. Ballard, Michael Kirby, Jonathan Weiss. Darsteller: Victor Slezak, Anna Juvander.