»The Zone of Interest« von Jonathan Glazer zeigt das Leben des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß und seiner Familie

Perverses Familienglück

Der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, lebte mit seiner Familie in einem Haus direkt an der Mauer des Stammlagers. Der Film »The Zone of Interest« zeigt dieses Leben ­naturalistisch – und durchsetzt von einer Tonspur, die das Grauen akustisch über die Mauer herüberwehen lässt.

»The Zone of Interest« eröffnet mit einem schwarzen Bild und beunruhigender, dröhnender Musik. In diese mischt sich nach und nach Vogelgezwitscher, schließlich weicht das Schwarz einer sonnendurchfluteten Szene, die Einstellung zeigt eine Familie beim Picknick am Wasser. Dieser Kontrast zwischen abgründigem Grauen und scheinbarer Idylle durchzieht Jonathan Glazers Drama nach dem gleichnamigen Buch von Martin Amis über das Leben der Familie des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß (im Film »Höss«, gespielt von Christian ­Friedel).

Der Kontrast findet sich in der Diskrepanz zwischen den strengen Bildkompositionen des Kameramanns Łukasz Żal und deren naturalistischem Farbstil ebenso wieder wie in der geradezu psychotisch anmutenden Bild-Ton-Schere: Die ­heile Welt der Familie Höss wird fortlaufend mit der Tonkulisse des Grauens kontrastiert. Denn die biedere deutsche Kommandantenvilla mit ihrem großzügigen Garten grenzt unmittelbar an das Vernichtungs­lager, die mit Stacheldraht geschützte Mauer bildet von hier betrachtet gleichsam den kleinbürgerlichen Gartenzaun. Man wolle sie natürlich mit Rankpflanzen begrünen, damit sie nicht so auffalle, erklärt Hedwig Höss ihrer Mutter, als diese zu Besuch kommt.

Die Kommandantengattin, phantastisch gespielt von der teutonisch zurechtgemachten, mal strengen und angespannten, mal frivolen und ausgelassenen Sandra Hüller, weiß ihr Kleinod am Rande des zur Fabrik gewordenen deutschen Vernichtungswahns sichtlich zu schätzen. Sie verbringt ihre Tage mit den Kindern im Garten oder beim Kaffeeklatsch mit Freunden, erfreut sich an ihren geplünderten Luxusgegenständen und gibt Anweisungen an die unbezahlten polnischen Bediensteten.

Der Zuschauer ist gezwungen, die Verdrängungs­leistung der Familie Höss zu wiederholen, um sodann eingeholt zu werden von den Schreien, dem Hunde­gebell und den Schüssen.

Diese seien natürlich Leute aus dem Dorf und keine Juden, versichert sie ihrer Mutter. Die Juden seien hinter der Mauer. Von dort aus erklingt über weite Teile des Films ein dumpfes Rumoren, die Geräuschkulisse der deutschen Mordmaschinerie. Immer wieder ist auch der Schornstein des Krematoriums zu sehen, aus dem Flammen lodern und dichter, dunkler Rauch strömt. Die Bewohner der Kommandantenvilla halten sich dann von Zeit zu Zeit ein Riechtuch vor die Nase oder verschließen die Fenster, ansonsten wird dem nicht viel Beachtung geschenkt.

Der Zuschauer ist so gleichsam gezwungen, die Verdrängungsleistung der Familie Höss zu wieder­holen, um sodann eingeholt zu werden von den Schreien, dem Hundegebell und den Schüssen, die wieder und wieder das mechanische Dröhnen durchbrechen, an das man sich schon fast zu gewöhnen droht. Für den dazu notwendigen Abspaltungsmechanismus findet der Film treffende, vielleicht etwas zu naheliegende Bilder. Wiederholt ist der Hund der Familie zu sehen, ausgesperrt, jaulend, aufgeregt Einlass begehrend. Als der Kommandant beim Schwimmen mit seinen Kindern einen menschlichen Unterkieferknochen im Fluss findet, stürmt er mit ihnen nach Hause, um die Berührung mit dem Tode so schnell und gründlich wie möglich abzuwaschen, ungeschehen zu machen.

Hedwig Höss’ Mutter (Imogen Kogge) zeigt sich anfangs noch beeindruckt vom Lebensstandard ihrer Tochter und lässt an ihrer eigenen Gesinnung keinen Zweifel aufkommen, wenn sie etwa raunend Mutmaßungen über die Aktivitäten ­ihrer inzwischen deportierten jüdischen Nachbarin anstellt, die einen Buchclub betrieben habe. Was sie nun aus nächster Nähe vom Morden in Auschwitz sieht und hört und riecht, vermag sie zumindest in Momenten des Alleinseins dennoch nicht ganz zu verdrängen, und reist eines Tages völlig unvermittelt und ohne Abschied ab. Ihre Tochter findet lediglich einen Brief, überfliegt ihn und wirft ihn kurzerhand in den Ofen. Der Zuschauer erfährt seinen Inhalt so wenig, wie sie sich mit ihm auseinandersetzen mag.

Er muss weg, sie will ­bleiben. Rudolf Höss (­Christian Friedel) im Streit mit seiner Frau ­Hedwig (Sandra Hüller)

Er muss weg, sie will ­bleiben. Rudolf Höss (­Christian Friedel) im Streit mit seiner Frau ­Hedwig (Sandra Hüller)

Bild:
Promo

Die Versessenheit, mit der Hedwig Höss sich an ihr bisschen Luxus im östlichen »Lebensraum« klammert, wird noch deutlicher, als ihr Mann schließlich nach Oranienburg versetzt werden soll. Die »Königin von Auschwitz«, wie sie von ihm genannt wird, bricht ob dieser Nachricht geradezu zusammen.

Wegen der erlittenen Kränkungen behandelt sie ihre Leibeigenen immer despotischer und sadistischer und besteht schließlich darauf, mit den Kindern in der Villa bleiben zu dürfen. Letztere üben derweil beim Spiel mit den Goldzähnen der Ermordeten oder dem gegenseitigen Einsperren im Gewächshaus ihre Rolle als nationalsozialistische Deutsche ein.

Rudolf Höss wird gezeigt als mustergültiger Karrierist, der beflissen seine Pflichten erfüllt und gemeinsam mit angereisten Ingenieuren die Effizienz der Vernichtungsindustrie mit Hilfe eines ringförmigen Einäscherungsofens steigern will, hin und wieder nachdenklich in die Ferne schaut oder Zeit mit seinen Kindern verbringt, um schließlich die Versetzung nach Oranienburg stoisch hinzunehmen und zur Beförderung umzudeuten. In ihm ist das Zusammenspiel von rationaler Akribie und wahnhaftem Zweck eindrücklich gezeigt, zugleich lässt sich das von ihm verkörperte Prinzip auf eine einfache und alles andere als neue Formel bringen – die von der Banalität des Bösen.

In seiner Beziehung zu Hedwig Höss wird das Grauen dieses Bösen, wie auch im Ganzen des Films, gerade in seiner Abwesenheit erfahrbar, in einer grundlegenden Anspannung, die ihr Zusammenleben prägt oder dem betretenen Schweigen, wenn sich die Eheleute abends in ihren getrennten Betten zur Ruhe legen. Einmal wird dieses durch­brochen vom gemeinsamen Schwelgen in Erinnerungen an einen Italien-Urlaub, das sich zu einem enthemmten, überschwänglichen Nachäffen der damaligen Bekanntschaften ausweitet.

Der Garten ist ihr ganzer Stolz. Hedwig Höss (Sandra Hüller)

Der Garten ist ihr ganzer Stolz. Hedwig Höss (Sandra Hüller)

Bild:
Promo

Dem hermetisch abgeriegelten, abgründigen Familienidyll wird einige Male ein kleiner Akt subversiver Humanität entgegengestellt, wenn eingeschobene Szenen ein polnisches Mädchen beim nächtlichen Verteilen von gestohlenen Äpfeln an den Stätten der Zwangsarbeiter zeigen. Diese Intermezzi werden in invertierten Bildern gezeigt, die das Mädchen und ihre Äpfel weiß erscheinen lassen, ein kleiner Aufschein von so etwas wie Licht in der Dunkelheit.

Verstärkt wird der krasse Gegensatz zum naturalistisch dargestellten Leben der Familie Höss durch elek­tronische Störgeräusche. Doch dem deutschen Gang der Dinge vermag die menschliche Geste ebenso wenig Einhalt zu gebieten wie dem perversen Familienglück. Nachdem Rudolf Höss in leitender Funktion die Ermordung der ungarischen Juden geplant hat, kehrt er zu seiner Familie zurück und der Familienfrieden scheint wiederhergestellt.

Wie lässt sich das äußerste Grauen begreifen und ­darstellen, was entzieht sich der Darstellung und muss Unbegreiflich bleiben?

Was dann geschieht, ist Geschichte, und darauf verweist am Ende des Films ein Sprung in das heutige Museum über das Vernichtungslager: Aufnahmen zeigen Putzkräfte beim Reinigen der Glasscheiben, hinter denen sich die Schuhe der zu Hunderttausenden Ermordeten auftürmen. »The Zone of Interest« lässt den Zuschauer verstört zurück und vermittelt eine gewisse Ratlosigkeit, die im Gegenstand des Films selbst ­begründet liegt. Wie lässt sich das äußerste Grauen begreifen und ­darstellen, was entzieht sich der Darstellung und muss Unbegreiflich bleiben?

Jonathan Glazer hat auf diese ­Fragen eine konzeptionell stringente Antwort gefunden, indem er den Schrecken als eine Wiederkehr des Verdrängten inszeniert. Ihren nachträglichen Höhepunkt findet diese Konzeption in der dissonanten, atonalen Abspannmusik von Mica Levi, die an Arnold Schönberg und György Ligeti denken lässt und die urgeschichtlichen, persistenten Wirren des Antisemitismus in ihrer abgründigen Dunkelheit musikalisch reflektiert. Man sollte ihr unbedingt bis zum Ende zuhören.

The Zone of Interest (UK/PL/USA 2023). Buch und Regie: Jonathan Glazer. ­Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller