Korruption und Schmuggelgeschäfte in Libyen

Der Staat als Beute

Die Korruption in Libyen befördert das organisierte Verbrechen. Schmuggelgeschäfte befeuern auch den brutalen Bürgerkrieg im Sudan. Derweil werden erneut Pläne für eine neue libysche Übergangsregierung angekündigt – und nicht verwirklicht.

Es begann mit einem offenen Brief des Direktors der libyschen Zentralbank, Saddek al-Kabir, der am 27. Februar in sozialen Medien veröffentlicht wurde. Darin rechnete der langjährige Verbündete von Ministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba, der der international anerkannten westlibyschen Übergangsregierung in Tripolis vorsteht, mit dessen Haushaltspolitik ab, da die Ausgaben sich innerhalb eines Jahres verdreifacht hätten. Zudem tadelte al-Kabir einen starken Anstieg von Gehältern und Subventionen, intransparente Schattenhaushalte und die Ausplünderung der für das Land so wichtigen Einnahmen aus der Rohölförderung.

Denn trotz gestiegener Einnahmen aus dem Ölverkauf leidet das Land unter einer Haushaltskrise. Es kommen Fragen auf, wohin die enormen Geldströme fließen, und Dbeiba muss sich Korruptionsvorwürfen stellen. Al-­Kabir, ein machtbewusster Technokrat, der seit dem Sturz von Diktator Mu­ammar al-Gaddafi 2011 eine ganze Reihe von Staats- und Regierungsoberhäuptern kommen und gehen sah, verwies auf den Wertverlust der libyschen Währung Dinar und einen Anstieg der Inflation, ohne dass die offiziell verbuchten Einnahmen durch Rohölverkäufe im gleichen Maße gestiegen seien. Dbeiba behauptete hingegen, der Staat habe gar keine finanziellen Probleme, er habe seit Amtsantritt 2021 alle Staatsschulden abgetragen und die Inflation sei – trotz gegenteiliger Belege – gar nicht gestiegen.

In dem Land mit 6,8 Millionen Einwohnern und offiziell 2,5 Millionen Erwerbstätigen sind mindestens zwei Millionen Personen auf staatlichen Gehaltslisten eingetragen.

Al-Kabir war zu diesem Zeitpunkt bereits dazu übergegangen, mit Dbeibas politischem Rivalen Aguila Saleh, dem Sprecher des Abgeordnetenrats im ostlibyschen Tobruk, eine 27prozentige Sondersteuer auf den Tausch von libyschen Dinar in US-Dollar zu erheben, um so die Währung de facto abzuwerten und Einnahmen zu generieren. Wie fast alle staatlichen Entscheidungen der vergangenen Jahre fiel auch diese ohne Parlamentsabstimmung oder Konsultation des Verwaltungsrats der Zentralbank, nur auf Willen von al-Kabir und Saleh.

Dbeiba nutzte die Gelegenheit und warf al-Kabir vor, er sei als Zentralbankdirektor für die Kontrolle der Staats­finanzen verantwortlich und in Wahrheit hätte er die Gelder verschwendet. Die Sondersteuer sei Diebstahl an den Bürgern durch eine nichtgewählte ­Elite, die einen Staatsbankrott herbeirede. Bei einer Veranstaltung zum islamischen Fastenmonat Ramadan betonte er: »Ich wiederhole es: Libyen geht es gut.«

Vorwurf der Vetternwirtschaft

Nicht lange danach suspendierte Dbeiba Ölminister Mohammed Oun, der Vorhaben Dbeibas abgelehnt hatte, die wie die geplanten Förderabkommen mit der italienischen Gesellschaft ENI oder mit den Vereinigten Arabischen Emiraten von Vorwürfen der Vetternwirtschaft begleitet werden. Auch das war Wasser auf die Mühlen von Dbeibas Kritiker:innen. Die Vorgänge machen deutlich, wie intransparent staatliche Gelder verwaltet werden und wie leicht es ist, Korruption zu verschleiern.

Tatsächlich hat Dbeiba seine Macht im Land durch enorme Geldflüsse an politische Unterstützer:innen und Milizen gefestigt, durchaus mit der Hilfe von al-Kabir. Viele haben sich von der Regierung bestechen lassen und sind auf Dbeibas Linie eingeschwenkt. Eine Reihe arabischer Milizen hat sich als »gemeinsame Streitmacht« formell seiner Regierung unterstellt. Innenminister Imad Trabelsi verkündete am 21. Februar gar, die Milizen würden ihre Checkpoints in der Hauptstadt Tripolis abbauen und das Feld der Polizei überlassen.

Doch solche Erfolge kosten ihren Preis. In dem Land mit 6,8 Millionen Einwohnern und offiziell 2,5 Millionen Erwerbstätigen sind mindestens zwei Millionen Personen auf staatlichen Gehaltslisten eingetragen. Viele davon arbeiten aber gar nicht für den Staat, sondern erhalten Gefälligkeiten, um ihre Loyalität zu sichern. Allein die Personalkosten machen 60 Prozent des gesamten Budgets aus.

Ein ebenso großes Problem sind die hohen Kosten der Treibstoffsubven­tionen. Trotz der reichen Ölvorkommen verarbeitet Libyen nicht genug Öl zu Produkten wie Benzin weiter, sondern muss diese teuer einkaufen. Die Einnahmen aus dem Export von Rohöl nutzt Libyen derzeit vor allem für den Einkauf von russischem Benzin über die Türkei. Der Staat verkauft die teuren Produkte anschließend zu einem stark subventionierten Preis an die Bevölkerung, der bei Benzin 90 Prozent und bei Heiz- und Schweröl 70 Prozent günstiger ist als der Weltmarktpreis, was allerdings für viele Libyer immer noch kaum erschwinglich ist.

Milizen konkurrieren um die Kontrolle der Grenzübergänge und Häfen

Andererseits ist diese Preisdifferenz so hoch, dass sie den Schmuggel von Ölprodukten ins Ausland lukrativ macht. Auf diese Weise geraten russische Benzinprodukte auch auf den europäischen Markt und umgehen so EU-Sanktionen. Der Benzinschmuggel bringt so viel ein, dass kriminelle Banden und Milizen längst um die Kontrolle der Grenzübergänge und Häfen konkurrieren. Auch der Grenzübergang Ras Jedir nach Tunesien wurde lange von einer örtlichen Berber-Miliz kontrolliert. Am 28. März eroberten ihn arabische Milizen aus dem Dbeiba-Lager zurück.

Besonders groß sind die Auswirkungen dieses Schmuggelgeschäfts jedoch im Sudan. Der ostlibysche Warlord Khalifa Haftar kontrolliert das libysche Grenzgebiet zum Sudan. Dort herrscht seit einem Jahr ein brutal geführter Krieg zwischen den Sudanesischen Streitkräften (SAF) und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) um die Macht im Land, der zur derzeit vielleicht weltweit größten humanitären Katastrophe mit 18 Millionen akut von Hunger bedrohten Menschen geführt hat.

Ein Expertenbericht des UN-Sicherheitsrats über den Sudan förderte zutage, dass der Benzinschmuggel den Konfliktparteien im Sudan in die Hände spielt und den Krieg dort anheizt. Vor allem die RSF profitieren demnach davon. Russlands »Afrikakorps«, der dem Moskauer Verteidigungsministerium unterstellte Nachfolger der privaten Söldnergruppe Wagner, unterstützt sowohl die RSF als auch Haftar, eine Finanzierung seiner Klientel durch den Schmuggel wäre in Russlands ­Interesse.

Eine Reihe libyscher Politiker denkt daher bereits öffentlich über eine Abschaffung der teuren und ineffizienten Benzinsubventionen nach, wie es in vielen arabischen Ländern bereits geschehen ist. Die Profiteur:innen des Schmuggels haben aber ein Interesse daran, dies zu verhindern.

Der Ölschmuggel ist nicht der einzige Bereich, in dem Libyens Konflikt den Krieg in Sudan befeuert. Auch Waffen, Munition und Jeeps der Marke Toyota, die seit langem in bewaffneten Konflikten als improvisierte Truppentransporter verwendet werden, werden in Libyen beschafft und in den Sudan geschmuggelt.

Der Ölschmuggel ist nicht der einzige Bereich, in dem Libyens Konflikt den Krieg in Sudan befeuert. Auch Waffen, Munition und Jeeps der Marke Toyota, die seit langem in bewaffneten Konflikten als improvisierte Truppentransporter verwendet werden, werden in Libyen beschafft und in den Sudan geschmuggelt, besonders im schwer kontrollierbaren Süden. Auch hier ist es vor allem Haftars Miliz Libysch-­Nationale Armee (LNA), die so die RSF unterstützt und damit das Waffen­embargo gegen den Sudan verletzt.

Eine ganze Reihe sudanesischer Rebellengruppen hatte nach dem Ausbruch der Konflikte in Libyen im Jahr 2011 die Lage ausgenutzt, um sich vor allem in den schwer kontrollierbaren Süden Libyens zurückzuziehen und so auch anstehenden Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu entgehen.

Krieg schüren im Nachbarland Sudan

Die libyschen Konfliktparteien haben diese Gruppen bislang gewähren lassen oder sogar selbst als Söldner angeworben, insbesondere Haftars LNA. Viele der sudanesischen Rebellengruppen kehren nun auf der Seite einer der beiden Kriegsparteien in den heimischen Konflikt zurück, einige halten sich jedoch noch immer im südlichen Libyen auf. Die westlibysche Regierung betrachtet mit Sorge, wie Haftars Truppen den Krieg im Nachbarland schüren. Dbeiba versuchte zuletzt, als Vermittler eine friedliche ­Lösung herbeizuführen, bislang jedoch ohne Erfolg.

Ende Februar einigten sich die rivalisierenden west- und ostlibyschen Parlamente auf Vermittlung Tunesiens erneut auf einen gemeinsamen Plan für eine neue Übergangsregierung, die seit 2021 überfällige Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorbereiten soll. Doch viel wert ist diese Einigung nicht. Seit ihrer offiziellen Verkündung Mitte März am Rande eines Treffens der Arabischen Liga in Kairo ist wenig geschehen, um diesen Plan zu verwirklichen. Sowohl Dbeiba, der 2020 Wahlen abhalten sollte, diese aber aufschob und einfach weiter an der Macht blieb, als auch Haftar ignorierten das Abkommen. Der UN-Sondergesandte Abdoulaye Bathily hatte sich kritisch über die Übereinkunft geäußert. Er warnte vor »­einseitigen Initiativen«, die »nicht für alle akzeptabel« und damit »unprak­tikabel« seien und »katastrophale Konsequenzen« haben könnten.