Was Menschen und Hunden berechtigterweise Angst macht

Angst vor Zuständen

Wir fürchten uns vor oder sorgen uns um allerlei. Uns plagen Versagensangst, Kontrollverlustangst, Reichweitenangst, Akkuangst, Zuganschlussverpassangst, Rentenangst, Virusangst, Abstiegsangst, Überfremdungsangst, Klimaangst, Kriegsangst, Terrorangst, Gluten- und Laktoseangst, Schulangst.
Cocolumne Von

Es gibt Ängste, die sind so alt wie die Menschheit – und älter: Urängste wie die Angst vor Trennung, vor dem Fallen, vor Verlust, vor Höhe, Dunkelheit oder lauten Geräuschen. Und es gibt Zivilisationsängste. Wir fürchten uns vor oder sorgen uns um allerlei. So plagen uns Versagensangst, Kontrollverlustangst, Reichweitenangst, Akkuangst, Zuganschlussverpassangst, Rentenangst, Virusangst, Abstiegsangst, Überfremdungsangst, Klimaangst, Kriegsangst, Terrorangst, Gluten- und Laktoseangst, Schulangst. Das wird genau erforscht – natürlich von Versicherungskonzernen, deren Geschäftsgrundlage die Angst ist.

Die Langzeitstudie »Die Ängste der Deutschen« des Versicherungskonzerns R + V zeigt: Der Angstindex – der das durchschnittliche Maß aller abgefragten Sorgen – steigt seit Jahren an. 2023 fürchtete sich die Bevölkerung in Deutschland am meisten vor – in dieser Reihenfolge: steigenden Lebenshaltungskosten, unbezahlbarem Wohnraum, Steuererhöhungen oder Leistungskürzungen, Überforderung des Staates durch Geflüchtete, Rezession, überforderten Politikern, Spaltung der Gesellschaft, Pflegefall im Alter, Klimawandel, Naturkatastrophen, Spannungen durch Einwanderung, Schadstoffen in Nahrungsmitteln, autoritären Herrschern weltweit, Krieg mit deutscher Beteiligung, sinkendem Lebensstandard, schwerer Erkrankung und und und.

Nicht unter den ersten zwanzig, aber dennoch nicht vergessen werden sollte: die Angst vor Tieren, etwa vor Spinnen, Schlangen, Wespen und Wölfen.

Kaum vorstellbar für mich, abends zu Bett zu gehen mit dem Wissen, dass gerade 300 Raketen und Drohnen auf dem Weg zu mir sind, wie es Freunde jüngst erleben mussten.

Womit wir auch schon fast beim Hund wären. Auch die kleine Coco hat vielerlei Ängste, etwa vor Knallgeräuschen, vor allem durch Silvesterböller. Aber auch vor fremden Hunden, wenn sie größer und stärker sind als sie. Was tut Coco, wenn sie Angst hat? Nun, eine Versicherung abschließen kann sie nicht. Bei Silvesterböllern versucht sie zu fliehen; in der Wohnung verkriecht sie sich. Und wenn sie sich unsicher fühlt bei Begegnungen mit Menschen und Hunden reagiert sie entweder durch völlig übertriebene Unterwerfungsgesten oder durch lautes Bellen, also mit Abschreckung.

Ängste sind existentiell, nicht nur für die Geschäfte von Versicherungen und Erfolg oder Misserfolg von Parteien aller Couleur. Mensch wie Tier müssen, um zu überleben, Gefahren wahrnehmen, um reagieren zu können. Um zu fliehen wie das Reh, sich zu schützen wie der Igel oder um sich zu verteidigen wie der Dachs. Die Gefahr richtig abzuschätzen, ist aber nicht immer möglich.

Natürlich sage ich Coco: Der Böller ist doch zwei Kilometer weit entfernt, das hat mit uns nichts zu tun. Aber ihre Angst war deshalb nicht unberechtigt und mein gutgemeinter Ratschlag muss für sie wie Hohn klingen. Kaum vorstellbar für mich, abends zu Bett zu gehen mit dem Wissen, dass gerade 300 Raketen und Drohnen auf dem Weg zu mir sind, wie es Freunde jüngst erleben mussten. Sie saßen am nächsten Tag am Strand und tranken ein Bier. Mir steckt die Angst immer noch in den Knochen, und ich bin 2.850 Kilometer entfernt.