Edith Lunnebach, Anwältin der Nebenklage, im Gespräch über die milden Urteile gegen die NSU-Unterstützer

»Das Urteil ist ein Skandal«

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Interview Von

Das hätte doch eigentlich auch im Prozess passieren müssen. Warum hat das keine Rolle gespielt?
Da hat das insoweit eine Rolle gespielt, als dass wir eine Aufklärung gefordert haben und entsprechende Anträge vom Gericht zurückgewiesen worden sind.

Das heißt, im Prozess gab es schwerwiegende Versäumnisse?
Ich möchte Folgendes klarstellen: Nur weil wir Linke sind, können wir nicht sagen: »Macht mit den Rechten das, was wir immer kritisieren.« Aber wir hatten einen Verdacht, wir haben ihn offengelegt und gefordert, dass im Prozess darüber gestritten wird. Das ist nicht geschehen. Das bedeutet aber nicht, dass ich die Indizien für ausreichend halte, um H. anzuklagen. Da sind Versäumnisse passiert, diese können nicht 17 Jahre nach der Tat einfach wiedergutgemacht werden.

Das Urteil ist im Vergleich zu Urteilen gegen Linke, wie Sie bereits sagten, oder auch gegen Islamisten ausgesprochen milde. Die Nebenklageanwälte, Alexander Hoffmann, Carsten Illius und Antonia von der Behrens, haben bereits von einer Signalwirkung für die rechte Szene gesprochen. Inwiefern ist der NSU-Prozess eigentlich ein politischer Prozess?
Ich kann mich meinen Kolleginnen und Kollegen da nur anschließen. Das Signal ist: »Brüder, schweigen.« Eminger, gegen den das mildeste Urteil gesprochen wurde, hat den ganzen Prozess offensiv geschwiegen; das hat seine Auswirkung gehabt auf die Leute aus der rechten Szene, die ausgesagt haben und dabei gelogen, oder erst gar nichts gesagt haben und sich auf Erinnerungslücken bezogen haben. Das Urteil zeigt: Wer konsequent schweigt, kommt mit einer milden Strafe davon, wer die Aufklärung torpediert, kommt erst gar nicht vor Gericht. Das ist, was übrigbleibt, und ich finde es, angesichts der Tatsache, dass Rechtsextremismus, Nationalismus und Straftaten gegen Ausländer nach wie vor erschreckend zahlreich sind, verbrecherisch.

Sie haben auch Erfahrung aus Prozessen gegen Linke, die wegen ähnlicher Delikte vor Gericht standen.  Was ist da anders gelaufen?
Nehmen Sie die PKK als Beispiel. Sie hat seit 1983 in Deutschland keine Gewalttaten mehr begangen. Nach Einführung des Paragraphen 129b Strafgesetzbuch wurden Sympathisanten der in der Türkei agierenden PKK, wenn sie zum Beispiel in Deutschland Flugblätter verteilten oder Spendengelder sammelten, zu Funktionären der PKK im Ausland hochstilisiert und zu hohen Haftstrafen zwischen vier und sechs Jahren verurteilt. Das war und ist bei der DHKP (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, eine marxistisch-leninis­tische Untergrundorganisation in der Türkei, Anm. d. Red.) und den Links­terroristen genauso. Selbst wenn man im NSU Komplex Eminger nur wegen Unterstützung der terroristischen Vereinigung verurteilt hat, dieser aber durch seine Unterstützungshandlungen und Tarnungen zum Fortbestehen der mörderischen Serie beigetragen hat, ist die Verurteilung zu gerade mal zwei Jahren und sechs Monaten unverhältnismäßig milde.

Es gab ja den Vorwurf aus konser­vativen Juristenkreisen, die Nebenklage politisiere den Prozess. In der linken juristischen Literatur gelten Verfahren nach dem berühmten Paragraphen 129a, Bildung einer terroristischen Vereinigung, als eine Form der politischen Justiz, nicht zuletzt, weil diese Verfahren sich in den siebziger und achtziger Jahren fast ausschließlich gegen Linke richteten. Inwiefern war das NSU-Verfahren ein politischer ­Prozess?
Paragraph 129a ist ein politischer Straf­tatbestand, ein politisches Instrument. Was eine terroristische Vereinigung, was Terrorismus ist, bestimmt die Politik. Auch ein Konservativer würde sagen, ein nationalsozialistischer Untergrund, der Menschen tötet, muss nach diesem Paragraphen verurteilt werden. Natürlich ist es dann ein politischer Prozess, es handelt sich um einen Angriff auf die Grundfesten dieses Staates. Immerhin hat die Bundesanwaltschaft die Taten als Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland verstanden.

Ging es aber nicht bei der Verfolgung von Linken vor allem darum, über 129a-Verfahren möglichst viele Leute für Straftaten verantwortlich zu machen, die sie nicht individuell begangen hatten, während im NSU-Prozess der Kreis möglichst eng gezogen wurde?
Klar. Das zeigt, dass die linke Kritik an diesem Paragraphen, nämlich die, dass er ein politisches Instrument sei, berechtigt ist. Im NSU-Prozess ging es um das Modell des abgeschotteten Trios, das sich durchgesetzt hat, ob das passte oder nicht. Eminger und Gerlach haben ja zum Beispiel irgendwann davon gewusst, dass sie auch mitan­geklagt werden könnten – und zwar als Mitglieder einer terroristischen Ver­einigung.

Passt der NSU-Prozess also in den alten Vorwurf linker Anwälte, dass die Justiz auf dem rechten Auge blind sei, dafür aber links härter durchgreifen? Diese Kritik gibt es ja seit der Weimarer Republik.
Ja. Es ist unangenehm, immer auf diese alten Geschichten zurückzukommen, oder? Es ist leider offensichtlich. Ich habe aber auch nicht erwartet, dass das heutzutage anders ist. Aber ich hätte erwartet, dass ein Gericht mehr tut als das, was diese technokratische Urteilsverkündung jetzt erwarten lässt. Da wird festgelegt, was passiert ist, und die durch die Staatsschutzbehörden verhinderte Aufklärung spielt keine Rolle. Ich wage mal die Prognose, dass das im schriftlichen Urteil auch nicht stehen wird.

Die Nebenklageanwältin Antonia von der Behrens hat selbstkritisch gesagt, man habe zu sehr auf den Staatsschutzsenat gehofft, insbesondere dem Vorsitzenden Richter Götzl, und darauf, dass die müh­same Arbeit und die vielen Beweisanträge den Prozess beeinflussen würden, das aber letztlich keinen Einfluss gehabt habe. Sehen Sie das auch so?
Antonia von der Behrens ist an diesem Punkt zu selbstkritisch. Ich würde sagen, seitens der politischen Nebenklage ist alles getan worden, um die Aufklärung zu erwirken. Dass man trotzdem enttäuscht ist, haben wir alle in unseren Plädoyers deutlich gemacht.

Natürlich haben wir irgendwo auf das Gericht gesetzt, das macht man immer am Ende eines Prozesses. Aber mehr als das, was wir getan haben, hätten wir nicht tun können.

Hätte man vielleicht konfrontativer mit dem Vorsitzenden Richter umgehen müssen?
Nein, gestritten haben wir uns genug mit dem Gericht. Ich will nicht sagen, dass wir alles richtig gemacht haben, aber es liegt sicher nicht an der Nebenklage, dass einige der Urteile so milde ausgefallen sind.

Wie wird es nach dem Prozess weitergehen? Wird der Kampf um die bis heute ausgebliebene Aufklärung auf juristischer Ebene weitergeführt werden?
Bei einer Revision kann man nicht von einem Kampf ausgehen, das ist eine furchtbar trockene Angelegenheit. Interessant wird sein, ob die Bundes­anwaltschaft nächste Woche in Revision geht, weil die ja, was Eminger angeht, unterlegen ist. Es gibt auch im Land Hamburg die Forderung nach einem weiteren Untersuchungsausschuss, ansonsten sind die ja auch schon alle durch. In Nordrhein-Westfalen und Thüringen waren die Berichte der Untersuchungsausschüsse einigermaßen gut, aber das bedeutet nicht, dass auf politischer Ebene das Netzwerk aufgeklärt wurde.

Interview: Carl Melchers