Diskursregime

Zur Politik des Performativen, inszeniert im affirmativen akademischen Gestus.

Das Buch "Haß spricht" von Judith Butler ist so, wie die letzten Alben von Public Enemy - wichtig, fundiert, erweiternde Schlüsse zulassend, aber es kickt einfach nicht mehr. Es verhält sich zu "Gender Trouble" wie "Yo! Bum Rush The Show" zu "Musick `N Hour Mess Age". Popstar wollte Butler wohl auch gar nicht werden, wurde sie dann aber doch mit "Gender Trouble", auf das - nach verwirrtem Aufschreien in der Rezeption - mit "Bodies that matter" doppelt so dickes Nachlegen und Erklären folgte.

Die Star-Werdung hat sich im Falle Butlers aus mehreren Komponenten gespeist. Zum einen waren es die superneuen Denkmodelle, das Diskursivieren von Erkenntniswegen, die Entlastung des Anti-Essentialismus, und dennoch konnte die politische Positionierung beibehalten werden. Verwirrung erzeugte vor allem die Begriffsbildung, die, wie "Performanz", mal im Kontext von Sprachtheorie, mal von Unterhaltungsbranche angewendet wurde, weshalb die erwartete Schwere und Ernsthaftigkeit sich beim Denken von Gender als Performativem nicht immer einstellen wollte. Ganz offensichtlich hat die Verwendung dieses entkontextualisierten Begriffes eher an wechselnde Garderoben, denn an Performanz als Diskursivierungsanwendung erinnert.

In ihren Ausführungen zur Politik des Performativen streift Butler drei Politikfelder, denen sie, mit John L. Austins Sprechakttheorie als Meßinstrumentarium, gerecht zu werden versucht. Das ist zum einen die rassistische Rede und die Frage nach der illokutionären Dimension, der direkten Handlung des Sprechens. Hier unterscheidet und vergleicht sie Gerichtsurteile, die das Aufstellen von Ku-Klux-Klan-Kreuzen vor dem Haus einer schwarzen Familie als perlokutionären Sprechakt, als Akt, der eventuell Wirkung oder Handlung aus dem Akt des Sprechens (Kreuz als decodierbares Symbol) ableiten könnte, verhandeln. Für die US-amerikanischen Gerichte war diese Auffassung keineswegs zwingend.

Sie vergleicht diese Umkehrung der Sprechen-Handlungs-Gleichung durch die Gerichte mit dem Umgang der Justiz im Fall der Armee-Kodifizierung, wo kein Zweifel daran besteht, daß Sprechen mit Handeln in eins gesetzt wird, wenn von der Aussage "Ich bin lesbisch" angenommen wird, daß dies als Handlung resp. als Aufforderung zur Handlung gelesen werden müsse. Daraus resultiert die "Don't ask, don't

speak"-Verhaltensvorschrift, die bei Übertretung zur juristischen Konsequenz der unehrenhaften Entlassung führt. Die dritte Dimension betrifft die Frage nach der Zensur innerhalb der Pornographiedebatte, aber auch im Kontext der Zensur von Rap-Texten.

"Haß spricht" ist ein Buch, dessen Titel und Autorin einiges erwarten ließ, politisch, sprachlich, theoretisch, das zu lesen aber einfach keinen Spaß macht. Texte, die keinen Spaß machen, sind meist kanonisierte modernistische Universalisierungs-Wahrheits-geschlossenes-absolutes-Denksystem-Werke oder eben langweilig, weil sie die wenigen bemerkenswerten Gedanken, auf denen sie basieren, endlos reproduzieren. Bei "Haß spricht" ist es anders, es macht deshalb keinen Spaß, weil einfach vorausgesetzt wird, es sei wirklich wichtig und einsichtig, daß sich die Argumentation mit jedem Satz an eine nationale Institution - Justiz, Militär, Universität - anlehnen müsse.

"Haß spricht", das im Original den Titel "Excitable Speech" trägt - die aggressivere Formulierung ist vielleicht der einzig gute Effekt der deutschen Übertragung -, setzt sich mit den Anwendungen und den möglichen Verhinderungs-, Kontroll-, oder Begrenzungsversuchen auseinander, die im Rahmen dessen, was als hate speech vorkommt, auftauchen.

Wenn Butler über das Performative von gender und race handelt, über die Ambivalenz zwischen der Dominanzanwendung der gender/race-Konstruktion durch die Zitation des zirkulierenden Wissens und seiner Anwendung, geschieht dies auf eine Art, die jedem interdisziplinären Jura-LinguistInnenSeminar an jeder x-beliebigen Uni gerecht werden würde - aber eben nicht den Bereichen, an denen sie sich abarbeitet.

Es ist unglaublich mühsam, Butlers Ausführungen über Rap-Text-Zensur zu lesen, weil sie, statt einen Diskurs aufzugreifen und weiterzuführen, ihn ignoriert, um dann am gelesenen Text ein linguistisches Exempel zu statuieren. Mal nennt sie 2 Live Crew und Salt'n Peppa in einem Zug, mal ignoriert sie die Diskussion um das Verbot der Inszenierung von Sexualität durch/von Schwarzen Frauen.

Butler macht zwar ungeheuer praktische Listen von verschiedenen Sprechformen mit und ohne Handlungs-/ und Herrschafts-Direktbezug. Aber es fällt schwer, ihr die dezidiert staatskritische Herstellung des Bürgerbegriffes in der beschriebenen Radikalität abzunehmen.

Dort, wo "Haß spricht" expliziter wird, in der Auseinandersetzung um Homosexualität in der Armee, und wo Butler beginnt, die Konstruktion des Männlichkeitsbegriffs als Bürgerbegriff zu betrachten und zu bearbeiten, argumentiert sie zwar angenehmerweise interdisziplinär, allgemeiner, breiter als in den vorausgehenden Kapiteln. Dann allerdings versteift sie sich auf Konstrukte, die ärgerlicherweise entweder dem Husch-Husch-schnell-dem-glänzenden-Debüt-was-nachschieben-Gesetz geschuldet sind oder der nicht ausreichend gekennzeichneten konservierenden Freudianik. Viel zu kurz kommt die Funktion und Bedeutung der militarisierten Staatsbürgerschaft, nicht nur in der von ihr fast ausschließlich an männlichen Homosexuellen festgemachten Ausschlußverortung, sondern innerhalb der gesamten Maskulinierungsmaschine zur Erschaffung des Staatsbürgers. Daß auch für Lesben eine Maskulinisierungs- und gleichzeitig reine Heterosexualisierungsanstrengung erwartet wird, taucht weder auf noch wird es diskutiert vor dem Hintergrund der verschiedenen Initiationsriten für Männer und Frauen in der Armee sowie der diskursiven Herstellung von maskulinistischen Soldatenbildern, an die sich Männer und Frauen anzupassen haben bzw. nicht anpassen dürfen (keine Frauen-an-der-Front-Phantasmen).

Statt dessen nimmt Butler an, daß es vor allem um die Reinheit und Entsexualisierung der heterosexuellen Frau gehe. Genau das ist aber im Rahmen der Armee, der Staatsbürgerproduktion nur bedingt der Fall. Der ekstatische Kick, der durch das potentiell feindliche Außen (Familie, Freundin, Prostituierte), sprich durch Sex außerhalb des Armee-Körpers, eindringt, muß transformiert werden in einen kollektiven und reproduzierbaren Kick, der von innen kommt und von innen (Armee, Staat etc.) kontrolliert wird, z.B. das gemeinsame Abfeuern der Waffen.

Gar nicht so verwunderlich, daß innerhalb der Armee Lesben ihren männlichen Soldatenkollegen lieber sind als Heteras, die in der Wir-Konstruktion des militärischen Ichs weiterhin die Außenwelt repräsentieren und damit als potentiell feindlich beschrieben sind.

Aufschlußreich dagegen sind die Passagen, in denen Butler darstellt, wie männliche Homosexualität die Homo-Sozietät in Frage stellt und deswegen Schwule in der Armee zwar in ihrem männlichen Bezugsystem, nicht aber in ihrem Begehren, als ideale Soldaten konstruiert werden können - durch ihr Begehren aber genau diese (zwar nicht entsexualisierte, aber nach außen gerichtete) Sexualisierung von Soldaten- Images durchbrechen.

Butlers Beschäftigung mit dem Staatsbürgerbegriff als exklusivistische Wir-Gruppen-Herstellung, seiner Definitionsmacht und seinem Verteidigungskonzept nachzuzeichnen, ist wichtig. Vor allem, wenn sie die Dominanzstruktur und die Positionierung so deutlich benennt, wie im Fall der juristischen Verteidigung rassistischer Rede. Im Zusammenhang mit der permanenten Berufung auf die im Artikel 1 garantierte Redefreiheit, die natürlich nicht kontextlos und frei von rassistischen Diskursregimen verhandelt wird, stellt sie fest, daß z.B. bei einer Parade von rassistischen und faschistischen Gruppen, die sich auf die Redefreiheit beziehen, das Gesetz Teil der Staatslogik ist und diese eben nicht neutral, sondern existentiell ausschließend ist. Bürger, d.h. der mit dem Recht auf das Gesetz, ist eben zunächst mal, nach Plato, Hobbes und Rousseau, der weiße Mann, Beschützer und Verteidiger, alle andern sind das "Andere" und damit exotisierbar, naturalisierbar oder beschützbar, aber sicherlich nicht in der Position, Recht und Gesetz für sich zu beanspruchen. "Die sprachliche Äußerung hat damit gerade deswegen die Macht, die Unterwerfung, die sie beschreibt oder betreibt, auch durchzuführen, weil sie im öffentlichen Raum frei operieren kann, ohne durch den Staat gehindert zu werden." Die, auf die hate speech angewendet wird, werden a priori vom Staat, resp. dessen Gesetz als das "Andere" gedacht und sind von vornherein verdächtig, dem eigentlichen Bürger sein Recht auf freie Meinungsäußerung abzusprechen. Genau das ist auch der Punkt - Butler geht darauf vor allem in der Pornographiedebatte ein -, wo deutlich wird, daß es nahezu unvorstellbar ist, sich in einer linken Positionierung auf eine legalistische Lösung zu verlassen, da anzunehmen ist, daß diese sich aus dem dominanten Diskurs speist und so die Anzugreifenden zu Angegriffenen macht, oder auch die Angegriffenen zu Angreifern.

Hier wird der Austinsche Satz Sprache = Handlung oder "Sprache kann Handlung als Konsequenz haben" wichtig, wenn sie je nach Wertebezugssystem einer gesellschaftlichen Kontrollinstanz, wie etwa einem Gericht, nach politischen Verortungen ausgelegt wird.

Das, was das Gesetz, der Staat als Basis der eigenen Existenz mitdenkt, aber nicht per Gesetz so offen formulieren darf, etwa den Ausschluß offener Schwuler und Lesben aus dem Bürgerbegriff, wird durch die jeweilige tendenziöse politische Auslegung der Gleichheitsgesetze oder der Gesetze zur freien Meinungsäußerung zu einem existenten Ausschluß.

Butler räumt der universitären, legitimierenden aber nicht herausfordernden Wortwahl so viel Platz und Macht ein, daß es kaum gelingt, aus dem Schreiben das zu entwickeln, was das Dargestellte erfordert. Sie schreibt so, als sei ihr Bezugsrahmen der von AnhängerInnen kategorischer Imperative, als gehe es darum, wertkonservative System- und Dominanzhalter zu überzeugen. Sie kontextualisiert ihre Worte nicht in einem aufreibenderen, das dominante Zentrum verschiebenden, dynamischeren Sprachstil, der nicht so sehr nach legitimierender Sicherheit lechzt und zumindest im Bereich von Queer-studies, Cultural-studies, Rap und Feminismus präsent ist, und auch von Butler selbst in ihren vorangegangenen Büchern weitergeführt wurde. Und so wird "Haß spricht" fast zu einem Buch, das ganz grundsätzlich von der Existenz und der Notwendigkeit einer Realpolitik und ihren Sachzwängen ausgeht, aber eben nicht eingebunden ist in die Sprache und die Wissensbezüge der jeweiligen aktiven Gruppierungen, sondern mehr allgemein für sozialdemokratische AkademikerInnen geschrieben worden zu sein scheint.

Judith Butler: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin Verlag, Berlin 1998, 208 S., DM 36