Regierungskrise in Österreich

Pimperln und Nadelstiche

Die österreichische Regierungskoalition zwischen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) steuert offensichtlich ihrem Ende zu.

Obwohl die beiden Regierungsparteien schon im Frühling dieses Jahres beschlossen hatten, interne Querelen während der Zeit der österreichischen EU-Präsidentschaft ruhen zu lassen, brechen seit Oktober ständig neue Konflikte zwischen den beiden Großparteien auf.

Spätestens seit dem SPÖ-Parteitag vor einem Monat ist klar, daß dem nicht ganz so rechten Part des Zweckbündnisses nicht mehr am Durchhalten bis zum Ende der Legislaturperiode im Oktober nächsten Jahres gelegen ist. SPÖ-Parteichef und Bundeskanzler Viktor Klima erhob zwei bisher eher lau diskutierte Konfliktpunkte zwischen seiner Partei und der ÖVP zu nunmehr koalitionsentscheidenden Themen: Er warnte den bündnisfanatischen ÖVP-Chef und Vizekanzler Wolfgang Schüssel, sich weiter bei der Nato anzubiedern, und forderte ihn auf, "sich an die geltende Gesetzgebung zu halten", in der die Neutralität festgeschrieben ist.

Der linke Flügel in der SPÖ hatte zuvor durchgesetzt, daß ein Bekenntnis zur österreichischen Neutralität in das neue SPÖ-Parteiprogramm aufgenommen wurde. Das Vorhaben von Klima und Schüssel, das Thema vorerst einfach auf Eis zu legen, wurde so vereitelt.

Aber auch die anstehende Steuerreform geriet zum Streitpunkt zwischen den Regierungsparteien: Während die SPÖ vor allem die Arbeitgeber stärker besteuern möchte, zielt die konservative ÖVP auf eine Mehrbelastung der Arbeitnehmer. Besonders heftig wurde der Streit um eine von der SPÖ initiierte Aktiensteuer geführt, die Schüssel als "Pimperlthema" bezeichnete. "Pimperl" steht im Österreichischen nicht nur für "klein" und "unwichtig", sondern bezeichnet im Osten des Landes auch das männliche Geschlechtsorgan.

Der sozialdemokratische Wunsch nach vorzeitigen Neuwahlen im Frühling nächsten Jahres ist aber auch auf die zur Zeit positiven Umfragewerte für Kanzler Klima zurückzuführen. In sämtlichen Rankings der vergangenen Wochen verwies er Konkurrent Schüssel deutlich auf die Plätze. Schüssel hingegen mauert. Er möchte den Sozialdemokraten nicht die Chance geben, haushoch gegen die ÖVP zu gewinnen. Denn dann wäre es möglich, daß ihm - wie vielen seiner Amtsvorgänger - frühzeitig das Schicksal eines Polit-Pensionärs droht.

Zudem kann sich der ÖVP-Chef noch gut an den Wahlmarathon von 1994/95 erinnern. Schüssel hatte im Oktober 1995 nach nur einem Jahr Koalition den Regierungspakt mit der SPÖ beendet. Die Neuwahlen im Dezember des gleichen Jahres ließen die ÖVP jedoch abstürzen.

Aber auch die Sozialdemokraten agieren zur Zeit noch vorsichtig. Statt es auf einen offenen Bruch mit der ÖVP ankommen zu lassen, setzt die SPÖ-Parteispitze lieber auf die Strategie der tausend Nadelstiche. Das Kalkül der Sozialdemokraten ist klar: Der Koalitionspartner soll mit ständig neuen Ideen, Konzepten und Angriffen zermürbt werden. Und der ohnehin angeschlagene Schüssel soll dazu bewegt werden, in einer seiner üblichen Kurzschlußreaktionen die Koalition zu sprengen.

Nach zwölf Jahren großer Koalition könnte dann ein anderes Regierungsmodell getestet werden. Glaubt man den letzten Umfragen, wäre es zur Zeit zumindest rechnerisch erstmals möglich, daß es zu einer Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen kommt.