Corrida in Berlin

Nach dem EU-Sondergipfel in Bonn ist keine Einigung über die Agenda 2000 in Sicht. Die südlichen Länder befürchten, daß sie die Zeche für die Ost-Erweiterung zahlen müssen

Die EU-Gipfel sind "wie Stierkampf. Man versucht, die Schwachstellen des Gegners auszutesten", erklärte der spanische Präsident des Europaparlaments, José Maria Gil-Robles, der internationalen Presse am vergangenen Freitag auf dem Petersberg. Das Treffen in Berlin Ende März werde "sicher eine lange Corrida", an deren Ende eine schwere Krise der EU stehen könnte, fügte er noch düster hinzu.

Wenn man die Metapher des Spaniers aufnehmen will, dann hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft das Problem, daß sie es gleich mit mehreren Stieren zu tun hat. In der EU-Arena steht die Bundesregierung mittlerweile - nicht ohne eigenes Verschulden - ziemlich alleine da. Die südlichen EU-Staaten finden das von Bonn vorgelegte Kompromißpapier, das eine drastische Senkung der EU-Ausgleichszahlungen vorsieht, "vollkommen inakzeptabel", Paris kämpft im Streit mit der Bundesregierung über die Agrarpolitik mit harten Bandagen und setzt dazu gezielt die französischen Medien ein. Die restlichen EU-Staaten kommen nicht aus der Deckung und Tony Blair will nicht vom Beitragsrabatt lassen, den die Briten seit den Tagen der Margaret Thatcher bekommen. Frankreich und Deutschland sowie die anderen nördlichen EU-Staaten sind sich allenfalls darüber einig, daß der EU-Haushalt in Zukunft nicht mehr wachsen soll. Über das Wie tobt der Streit.

Wenn's ums Geld geht, hört auch unter den Sozialdemokraten in Lissabon, London, Paris oder Bonn die Freundschaft auf. Und es geht um viel Geld: EU-Ausgaben von 700 Milliarden Euro (1 400 Milliarden Mark), verteilt über sieben Jahre, stecken potentiell in der Agenda 2000.

Die EU-Kommission hat daher einen Vorschlag vorgelegt, wie die Agrarausgaben sinken könnten: mittels einer "Kofinanzierung" der Agrarsubventionen durch die Mitgliedstaaten. Danach müßte zukünftig z. B. Frankreich 25 oder sogar 50 Prozent der neun Milliarden Euro, die aus dem Brüsseler Agrarhaushalt nach Frankreich fließen, selbst finanzieren. "Eine unakzeptable Renationalisierung" sei das, finden Jacques Chirac und der französische Landwirtschaftsminister Jean Glavany. Der Gegenvorschlag Frankreichs lautet: Absenken der direkten Beihilfen, weniger Mittel für die Strukturpolitik, ein Ende des Beitragsrabatts für Großbritannien und schließlich EU-Beiträge, die sich stärker am Sozialprodukt als (wie bisher) am Mehrwertsteuer-Aufkommen bemessen. Letzteres, so ließ man unverhohlen wissen, gehe vor allem zu Lasten Italiens mit seiner - mehrwertsteuerfreien - "Schattenwirtschaft".

Die Bundesregierung befürwortet die "Kofinanzierung", und zwar so deutlich und hartnäckig, daß dies von Frankreich als Aufkündigung der Freundschaft interpretiert wird. In der Auseinandersetzung um die Agenda 2000 verlaufen die Fronten auch im Europaparlament stärker entlang der nationalen Grenzen und Interessenlinien als an denen der politischen Gruppierungen. Die verklausulierten Drohungen des sozialistischen Parlamentspräsidenten Gil-Robles oder des Vorsitzenden des Haushaltsausschchusses, Detlev Samland (SPD), der Beschluß der Regierungschefs müsse den Anforderungen des Parlaments gerecht werden, steht insofern auf schwachen Füßen.

Samland jedenfalls unterstützt den Kofinanzierungsvorschlag. Einsparungen müßten in der Agrarpolitik erfolgen, in anderen Bereichen seien sie "mit dem Parlament nicht zu machen". Schon jetzt seien etwa die Mittel für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nicht ausreichend um ein etwaiges Kosovo-Abkommen im zivilen Bereich umzusetzen. Die Kürzungen der Strukturfondsmittel seien mit den "schönen Erklärungen zu einer europäischen Arbeitsmarktpolitik" kaum in Einklang zu bringen. Auch Gil-Robles kritisiert, man könne nicht "mehr Union mit weniger Geld" haben.

Die französischen Gegenvorschläge zur Kofinanzierung werden von den jeweils Betroffenen energisch abgelehnt. Deshalb werden die Nettozahler in den nächsten Wochen wohl auch wieder auf einen alten Hut zurückgreifen, den Theo Waigel einst in den Ring geworfen hatte: Einen "Korrekturmechanismus", der, sobald die "Nettobeiträge" eines Mitgliedsstaates einen bestimmten Prozentsatz des Sozialprodukts überschreiten, den Beitrag kappt. Der Vorschlag läuft darauf hinaus, die Reichen zu entlasten und die Armen zu belasten. Spanien, Griechenland und Portugal müßten für Ost-Erweitung und Agrarreform bluten.

So oder so bleibt bisher offen, wieviel Geld zukünftig für die Strukturpolitik in den wirtschaftlich schwächeren Regionen ausgegeben werden soll. Die Förderung der Infrastruktur durch die europäischen Fonds führt zu einem Transfer, von dem vor allem die südlichen EU-Länder profitieren. Die Sanierung von Stadtvierteln wie etwa Madrid-Lavapiés oder der Altstadt von Barcelona, Straßenbauprojekte wie der neue Autobahnring um Madrid oder die zwölf Kilometer lange Vasco-da-Gama-Brücke in Lissabon wurden durch Zuschüsse von bis zu 75 Prozent aus den europäischen Fonds gefördert. 1997 beliefen sich solche Beihilfen für Spanien auf 6,3 Milliarden Euro. Portugal erhielt im gleichen Jahr fast drei Milliarden, was immerhin 3,4 Prozent des Bruttosozialproduktes des Landes entspricht. Der Strukturfonds und insbesondere der sogenannte Kohäsionsfonds haben den Zweck, die ärmsten Mitgliedstaaten strukturell zu modernisieren und ihnen zu helfen, dem Wettbewerbsdruck im gemeinsamen Binnenmarkt Stand zu halten.

Nicht ohne Erfolg: Während das portugiesische Bruttosozialprodukt 1986 bei 55 Prozent des EU-Durchschnitts lag, sind es heute 70 Prozent. Spanien holte im gleichen Zeitraum immerhin zehn Prozentpunkte auf und liegt jetzt bei 80 Prozent. Frankreich, Deutschland und die anderen Nordländer argumentieren, da Spanien, Portugal und auch Irland den Sprung in die Währungsunion geschafft haben, sei nun einer der wichtigsten Gründe für den Kohäsionsfonds entfallen.

Bei den Empfängerländern hingegen wecken diese Begehrlichkeiten Ängste: Agenda 2000 und die Ost-Erweiterung seien eine "Kombination von negativen Effekten, die uns Sorgen macht", so der portugiesische Staatssekretär für EU-Angelegenheiten Seixas da Costa. Die portugiesische Regierung glaubt, daß Investitionen nach Osten "umgelenkt werden und Unternehmen abwandern". Die Befürchtungen sind nicht aus der Luft gegriffen, schließlich dürften sich die Billiglohnzone innerhalb der EU bei einer Erweiterung vom Süden in den Osten verlagern. Spaniens Regierung erklärt, es werde eine Osterweiterung nur geben, wenn sie "auf Kosten aller und nicht auf Kosten weniger" finanziert wird.

Das sieht Bundesaußenminister Joseph Fischer zwar ähnlich, aber schließlich hat der Kanzler den deutschen Netto-Beitrag zur obersten Maxime deutscher Europapolitik gemacht, getrieben von der eigenen Manie des "nationalen Interesses" und den Schtoibles in der Opposition, die gleich satte 14 Milliarden Mark aus Brüssel zurück haben wollen.

Also muß auch bei den Strukturfonds gespart werden - von 216 auf 200 Milliarden Euro in den nächsten sieben Jahren, heißt es im deutschen Positionpapier. Spanier, Griechen und Portugiesen reicht die Summe nicht aus. Frankreich findet, es könnte ruhig noch ein bißchen weniger sein. Die Corrida in Berlin dürfte blutig werden.