Pfiffe aus der zweiten Reihe

In Köln mobilisierte ein breites Spektrum gegen den Weltwirtschaftsgipfel.

Gerhard Schröder gönnt sich ein Päuschen. Mit Ulrich Wickert schlendert er in der Hochsicherheitszone in der Kölner Altstadt und setzt sich in einer Kneipe in die Sonne. Die guten Plätze an den Absperrgittern sind schnell besetzt. Die Handvoll Aktivisten der Kampagne Erlaßjahr 2000 jedenfalls können nur aus der zweiten Reihe pfeifen. Den Kanzler stört's nicht. In Ruhe trinkt er ein Weizenbier, bevor er sich wieder ins Gipfeltreiben stürzt. "Herr Wickert muß zahlen", sagt er der Kellnerin beim Gehen.

Zwei Stunden zuvor hatten noch Zehntausende Demonstranten das Gelände um den Tagungsort des Weltwirtschaftsgipfels in der Kölner Altstadt umstellt, sich die Hände gereicht, gepfiffen und gesungen. Vor allem christliches Liedgut. Mit einer Menschenkette um den G8-Gipfel demonstrierte die von christlichen Gruppen dominierte internationale Kampagne Erlaßjahr 2000 für einen "weitreichenden Schuldenerlaß für die armen Länder der Erde im Jahr 2000".

Mit 50 000 Teilnehmern hatten die Veranstalter gerechnet, 35 000 waren nach ihren Angaben gekommen. Aber das konnte die Christenmenschen nicht erschüttern. Denn immerhin waren Joachim Kardinal Meisner anwesend, ebenso wie Heidi Wieczorek-Zeul und der Sänger von U2, Bono Vox.

Den rund 350 indischen Bäuerinnen und Bauern der Interkontinentalen Karawane für Solidarität und Widerstand war hingegen am Gipfelsamstag die gute Laune längst vergangen. Viele von ihnen trauten sich nicht, an der Demonstration gegen Armut, Rassismus und Krieg teilzunehmen, die zeitgleich mit der Menschenkette stattfand und an der sich über 10 000 Menschen beteiligten. Am Tag zuvor hatten sie unter dem Motto "Auslachen statt Mitmachen" eine "Laugh Parade" auf der Kölner Domplatte abhalten wollen.

Doch kaum hatten die Sicherheitskräfte von der bevorstehenden Aktion gehört, war Schluß mit lustig: Unmittelbar, nachdem die Karawane-Gruppe in Köln-Riehl die Straßenbahn bestiegen hatten, umstellte die Polizei die Bahn, nahm 18 Personen in Gewahrsam und erteilte dem Rest Platzverweise für den gesamten Innenstadtbereich.

Auch die Teilnehmer des "Alternativen Weltwirtschaftsgipfels" mußten unangenehme Bekanntschaft mit der Staatsmacht machen. Ihnen wurde zum Verhängnis, daß ihr Tagungsort, die Volkshochschule am Neumarkt, unmittelbar an die Josef-Haubrich-Kunsthalle angrenzt. Dort war am Freitag abend das "Damenprogramm" für die "First Ladies" angesagt. Mit Gummiknüppeln drängte die Polizei rund 100 Tagungsteilnehmer, die sich im Innenhof zwischen Kunsthalle und Hochschule aufhielten, in das VHS-Gebäude ab, um Doris, Hillary & Co. den Anblick der Alternativ-Gipfler zu ersparen. Zeit, sich freiwillig zurückzuziehen, blieb den verdutzten Tagungsteilnehmern nicht.

Ärger gab es beim "Alternative Economic Summit" nicht nur mit der Polizei. Für Wirbel sorgte auch der Auftritt des Grünen Ralf Fücks, Geschäftsführer der grünnahen Heinrich-Böll-Stiftung. Die Kölner Grünen hatten zwei Tage vor der Veranstaltung ihr Kreisverbandsbüro räumen lassen, das Flüchtlinge aus Anlaß des EU-Gipfels besetzt hatten.

Elf Tage lang hatten die Flüchtlinge in der grünen Kreisgeschäftsstelle gehungert. Einen ihrer Mitstreiter hatten sie schon verloren: Letzte Woche war Alex Alayo Chavez auf der Autobahn zwischen Köln und Hamburg von deutschen Zivilpolizisten festgenommen und unter dem Vorwurf des illegalen Aufenthalts inhaftiert worden. Doch die anderen der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen wollten weiter durchhalten. Bis zum Weltwirtschaftsgipfel. "Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört", hatten sie verkündet und wollten "gegen rassistischen Terror und für die Menschenrechte, Gerechtigkeit und Frieden" demonstrieren. Das Büro der Grünen hatten sich die Menschen aus Kamerun, Nigeria, Togo, Sri Lanka und der Türkei ausgesucht, weil gerade diese Partei sich wie keine andere plakativ den Einsatz für Menschenrechte auf ihre Fahnen geschrieben hat. Am Abend der Europawahl, pünktlich zur Schließung der Wahllokale, beschlossen die Kölner Grünen die Räumung ihres Büros, zwei Tage später rückte die Polizei an und nahm die Flüchtlinge mit.

Gegenveranstaltungen zu "Weltwirtschaftsgipfeln" sind ohnehin nicht mehr das, was sie mal waren. Während sich 1988 in Berlin IWF noch prächtig auf Mördertreff reimte, diskutiert man zehn Jahr später in Köln nicht nur über Flucht und Migration und die Zukunft der Arbeit "jenseits der Lohnarbeit", sondern auch über "Perspektiven neokeynesianischer Ansätze".

Der betuliche Charakter der Gegenveranstaltungen stieß jedoch nicht überall auf Begeisterung. So hatte es im Vorbereitungsprozeß der Erlaßjahr 2000-Kampagne einen weiteren Nord-Süd-Konflikt gegeben, "weil die Staaten des Südens eigene Positionen entwickelt hatten", so Brian Ashley auf dem Alternativgipfel. Hauptziel der Jubilierer aus dem Norden sei es gewesen, die G8-Chefs nicht durch zu radikale Forderungen zu verschrecken und daher nicht Gefahr zu laufen, von selbigen ignoriert zu werden. Weswegen sie dafür sorgten, daß die Forderung nach bedingungsloser Streichung sämtlicher Schulden aus dem Forderungskatalog flog. Ashley ist empört: "Der Norden sagt uns, was zu tun ist. Dabei haben wird diese Schulden mehr als bezahlt. Wir sagen: nicht einen Penny mehr."