Hertha ist doof

Promi-Posing

Aus einem ganz gewöhnlichen Erstliga-Fußballverein wird erst dann ein besonderer Erstliga-Fußballverein, wenn er Prominente im Vorstand respektive Wirtschaftsrat vorweisen kann. Das bringt dann nicht nur Schlagzeilen, sondern soll potentiellen Sponsoren auch das Gefühl geben, es mit einem absolut seriösen Unternehmen zu tun zu haben. Glauben jedenfalls Fußballvereine. Und Prominente.

Was die anderen Vereine können, das kann Hertha schon lange, und deswegen wird zur Zeit in Berlin alles brav nachgemacht, was andere Profivereine tun. Bloß 'ne Nummer größer darf's schon sein.

"Was'n hier los?" wunderten sich die Jugendlichen im Hertha-Trikot über den Auflauf in der Geschäftsstelle ihres Clubs in der letzten Woche. Zwischen den im Gang neben dem Fanshop aufgestellten Glastruhen mit Pokalen und großbusigen Plastikpuppen im Vereinstrikot drängeln sich zahlreiche Fernsehteams und Fotografen. "Irgendein Politiker ist da", erklärt jemand, die beiden Jungs nicken. Irgendein Politiker ist zur Zeit gewohnheitsmäßig überall in Berlin anzutreffen, warum also nicht auch bei Hertha?

Daß es sich um den Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (Möllemann ist leider schon bei Schalke unter Vertrag) handelt, der neues Mitglied im Wirtschaftsrat ist, beeindruckt sie zunächst nicht sonderlich. Die zum Fototermin Geladenen auch nicht, die sind genervt, weil sie warten müssen. Sie hoffen auf originelle Posen ("Ich will, daß er kniet und das Hertha-Emblem küßt!"), bezweifeln, daß "der Mann überhaupt jemals 'n Spiel gesehen hat" und machen Witze: "Thierse kriegt bestimmt ein Trikot mit der Nummer null drauf!"

Kriegt er nicht. Und Ahnung vom Fußball hat er auch, schließlich war er in seiner Jugend "rechter Läufer, so hieß das damals", in irgendeinem kleinen thüringischen Verein, und Hertha-Spieler auswendig aufsagen kann er auch. Während Thierse brav mit Hertha-Trikot ohne Rückennummer und Namen für die Kameras posiert, erklärt sein Mit-Wirtschaftsrat Klaus Böger von der Berliner SPD, daß Fußball und Politik sehr viel miteinander gemein haben. Hofft er jedenfalls: "Nach der Wahl ist vor der Wahl!" zitiert er Sepp Herberger.

Thierse ist derweil offiziell zum Hertha-Mitglied ausgerufen worden, was die Anzugträger des Vereins ganz aufgeregt macht. Ist er qua Amt aber nicht eigentlich zu Neutralität verpflichtet? "Neinneinnein", sagt er, er müsse nur auf Fairneß achten und dürfe ja schließlich auch SPD-Mitglied bleiben. "Ich bin kein politischer Eunuch und ein fußballerischer auch nicht." Daß er als Sozialdemokrat mit Wuschelbart und längerem Haar für Teile des Hertha-Anhangs die Zecken-Kriterien voll erfüllt, stört ihn nicht. Natürlich, es gebe rechtsradikale Fans, sagt er, deswegen tue sein Engagement dem Verein vielleicht gut, er sehe es auch als seine Aufgabe an, "solche Menschen zu zivilisieren".

Im Hertha-Wirtschaftsrat? Hmmm. Hat Wolfgang Thierse überhaupt Ahnung von Ökonomie oder ist er vom Verein nur aufgrund seelsorgerischer Qualitäten verpflichtet worden? Der Bundestagspräsident hat es leider eilig und kann nun keine Fragen mehr beantworten. Als er die Geschäftsstelle verläßt, greift einer der Fans sofort zum Handy: "Die Karten für Galatasaray hab ich", sagt er, "und stell dir vor, ich hab Thierse getroffen! Wer das ist? Mann, bist du blöd, so'n Politiker!"