Von Golfern und Gaffern

Was treibt 20 000 Menschen jährlich zum Einlochen? Sportsoziologie vor Ort I

Zwei silberfarbene 5er BMW glänzen auf dem Schotterparkplatz. Dahinter steht ein an den Ecken angeschmutzter weißer Corsa. Es ist ja auch ein öffentlicher Golfplatz. Links ragen die grauen Lastkräne des Düsseldorfer Hafens zwischen Lagerhallen und den Betonschornsteinen des Kraftwerks in den trüben Himmel. Rechts zieht der graue Rhein mit einem Tanker drauf vorbei. Und dazwischen schleppen Männer in karierten Hosen Wägelchen mit Schlägern drin über sorgsam gestriegelte grüne Hügel.

Ein paar Tonnen Sand mehr, ein Kraftwerk weniger und die Golfer wähnten sich auf Hawaii. Aber es ist doch nur der öffentliche Golfplatz auf der Lausward. An Orten wie diesem wird Nachwuchs rekrutiert. Ein Ruck müßte durch die Golfnation gehen - denn immer noch vergnügt sich in Kanada jeder sechste auf dem Rasen, hierzulande bloß jeder 258ste. Aber seit etwa fünf Jahren machen sich in der Bundesrepublik öffentliche Plätze breit, an die hundert gibt es schon.

Darauf kann jeder den Ball für ein paar Mark durch die Gegend fetzen, oder sich als kompletter Novize zumindest auf dem Driving-Ranch genannten Übungsplatz versuchen. Mitglied sein und Tausende Mark löhnen muß man nicht. Das wirkt. Mit über 20 000 Neugolfern pro Jahr sind die Zuwächse nur bei Fußball und Turnen höher.

Die Corsa-Türen öffnen sich. Heraus kommen Mann und Frau in späten besten Jahren. Er kahlköpfig, mit blau-rötlichen Karohosen und einer gelben Weste überm roten Polohemd; sie mit einem Sonnenschild am Kopf und sportlicher Jeansweste. Jetzt wird der Caddie aufgebaut, in dem die Schläger verstaut werden. Dann ziehen sie vorbei am Schild, das Parkende vor "fliegenden Golfbällen" warnt, vorbei am Pro-Shop, wo Unerfahrene Kurse buchen.

Sorgsam waschen sie ihre Schläger, dann geht es direkt aufs Grün. Das dürfen nur Fortgeschrittene. Neulinge ohne Platzreife müssen mit der Driving-Ranch Vorlieb nehmen. Oder mit John. Grünes Sweatshirt, beige Bundfalten, braungebrannte Haut. John verkörpert den archetypischen Golflehrer. Er lacht gern - die Fältchen um Mund und Augen zeigen es - und für jeden: für die Frau an der Kasse, die Kollegen, die Schüler. Entspannt lehnt John am Pro-Shop und trinkt Multivitaminsaft. Kurz vor zehn. Gleich beginnt der samstägliche Intensivkurs. Zahlungswillige können sich für 148 Mark drei Stunden lang in die Golfmysterien einweihen lassen.

Ein schwarzer Porsche Carrera rollt heran. 40 Prozent des heutigen Intensivkurses steigen aus: Bernd, eine Mischung aus Wirtschaftsstudent und Dieter Bohlen, nebst Kathrin, die schaut und lacht wie Bambi. Sie gaffen die Golfer, ihre Wagen und zuletzt John an. Wenig später kommen weitere 40 Prozent im Mini. Ongart und Tristan wirken wie die sympathischen Grafikdesigner von nebenan. Und sind es auch. Natürlich lächelt John, bittet die Eleven in den Pro-Shop. Die Tür der beiden grünen Container ziert ein Schild mit der Warnung: "Wer sich unerlaubt im Besitz unserer Übungsbälle befindet, wird sofort polizeilich angezeigt." Verhaftung muß aber kein Intensivschüler fürchten, Bälle und Schläger sind ja inklusive.

Als erstes stehen lange Abschläge (Drives) auf dem Programm. Also bekommt jeder ein Holz in die Hand gedrückt. Mit Siggi platzen die letzten 20 Prozent herein. Der Herr mit lichtem Haar und besorgtem Blick ist sehr interessiert und fragt sogleich, warum denn Hölzer Hölzer heißen. "Weil sie früher aus Holz waren", meint John. Mit den Metallkeulen kann noch keiner so recht etwas anfangen. Also bestaunt man erst einmal John auf der Driving-Ranch. Golf hat offenbar einiges mit Zen gemeinsam: "Ihr müßt euer Ego vergessen und allein den Schläger die Arbeit machen lassen."

Um den Ball unterschiedlich hoch, weit und genau zu schlagen, hat man 14 Schläger. Die Hölzer und langen Eisen für Drives und weite Schläge, die kurzen Eisen für Annäherungsschläge und den Putter für die letzten Meter. John schwingt den Schläger vor, und die Mannschaft schwingt selig mit. Siggi wedelt unbeholfen in seiner roten Thermoweste. Er schaut verlegen auf. John macht die Golferstellung an Kathrin vor: "Aus dem Hüftknochen schwingen, Gewicht vom rechten aufs linke Bein und den Po nach hinten." Der ist bekanntlich Golfers Kraftzentrum. Nebenan bolzt Bohlen-Bernd den Ball. Die zum Zopf gebundene Löwenmähne flattert durch die Luft. Unterm schwarz-weißen Norwegerpulli lugt das gestreifte Businesshemd hervor. Bernd ist tatsächlich Wirtschaftsstudent. Und 23. Und erfolgreich. Vier Kampfsportschulen, eine Sicherheitsagentur und einen Forstbetrieb nennt er sein eigen. "Die richtigen Leute zur richtigen Zeit getroffen", grinst er. Da muß man einfach Golfen lernen. Immerhin "machen das viele ältere Bekannte". Man kann ja auch "viel fürs Leben lernen".

Erstmal gibt's aber von John einen Klatsch aufs Kraftzentrum: "Rechtes Knie küßt linkes Knie." Seinen ersten Ball befördert Bernd weit vors 75-Meter-Schild. Leichter tut sich Ongart. In Nike-Kappe und -Tretern holzt er formvollendet wie Tiger Woods. Noch eins haben sie laut Ongart gemein: "Wir sind beide Halbthai." Persönlich kennt Ongart keine Golfer. Er will nur etwas anderes versuchen als Fuß-, Hand- und Volleyball. Denn: "Beim Golfen kann man mit jedem Schlag ein Erfolgserlebnis haben. Man ist mit sich allein, muß sich auf einen einzigen Moment konzentrieren." Schon wieder Zen. John nickt bedächtig lächelnd: "Nach vier Stunden Golf zeigt sich der wahre Charakter. Man hat keinen Gegner außer sich selbst und muß doch loslassen können statt zu erzwingen."

Plötzlich zerreißt ein silberner Blitz den Morgenhimmel. Weit hinterm 75-Meter-Schild bohrt sich ein Schläger ins Grün. Kurz darauf kommt Bernd betreten: "Mir ist da was Dummes passiert." Die Golfer staunen, stoppen, starren, während der Unternehmer seinen Schläger holt. Es wird Zeit für einen Lernerfolg. John filmt die Debütanten beim Abschlag. Ongart säbelt lässig eine Grasnarbe weg. Die versammelte Mannschaft seufzt bewundernd.

Im Pro-Shop schart man sich erwartungsvoll zwischen Kübeln voller Golfbälle, Schlägern und Schuhen ums TV-Set. Ongart steht natürlich neben einem Tiger-Woods-Pappaufsteller. Jetzt kommt die Kritik. Bernd schlabbert und überschwingt, Tristan schlägt nicht aus der Hüfte, Kathrin steht zu weit weg vom Ball, Ongart wird gelobt. Und Siggi macht so einiges falsch. Dabei hat er sich schon eine Sportverletzung zugezogen: Die Blase am Daumen schmerzt bitterlich, aber da will er durch. Immerhin hat Golf "bei Veba im Vorstand das Jagen abgelöst". Und Siggi ist Abteilungsleiter bei Veba. So quält er sich weiter mit den langen Schlägen.

Schließlich geht es dann noch auf den Platz. Zum Putten. Wenig Technik, viel Gefühl braucht man bei den kurzen Schlägen über die letzten Meter. Tristan ist erleichtert. Ihm steht der Schweiß noch immer auf der Stirn. "Ich bin ja sehr entspannt, was Sport angeht. Eigentlich will ich nur durch die Natur laufen, ab und zu einen Ball versenken", lacht er. Als Minigolfer fühlt er sich beim Putten heimisch. Ein kleiner Contest beschließt die Übungsstunden. Drei Bälle gilt es mit wenig Schlägen einzulochen. Ongart triumphiert mit phänomenalen sechs. Da kann selbst der Minigolfchampion nicht mithalten. Mit neun Schlägen kreucht er samt Bernd im Mittelfeld herum. Weit abgeschlagen Siggi und Kathrin. Große Ambitionen hegt sie nicht. "Man muß das ja können, wegen der Freunde. Und Bernd soll das nicht allein machen", bekennt sie offenherzig. Und lächelt. Wie schon seit drei Stunden.

Zurück am Pro-Shop läßt John wieder seine Lachfältchen knittern. Gefallen hat es allen. Selbst Siggi, der sich noch den schmerzenden Daumen hält. Und alle wollen Trainingsstunden nehmen. In 22 Einheiten ˆ 45 Minuten für insgesamt 1 200 Mark bringt John fast jeden auf Platzreife. Die hat jeder, der die neun Löcher des Platzes mit höchstens 70 Schlägen schafft. Dann darf man auch für 30 Mark Greenfee eine ganze Runde mit 18 Löchern drehen.

Der Porsche zieht vorbei, der Mini tuckert hintendrein. Halbstündig fährt vorm Platz auch ein Autobus ab. Kaum einer sitzt drin. Ab und zu einer vom Kraftwerk. Mit dem ÖPNV fährt man auch nicht zu öffentlichen Golfplätzen.