Deutsche Stereotype

Zu Justus Wertmüllers Beitrag "Die westlichen Verteidiger und ihre Werte".

Es geht bei dieser Reaktion auf Justus Wertmüllers Replik in der letzten Jungle World (Nr. 39/99) weniger um eine Widerlegung der dort zahlreich versammelten unbelegten Anschuldigungen. In "Skipetaren und Barbaren" (Jungle World, Nr. 38/99) wurde nicht, wie behauptet, pauschal gegen "die" Antideutschen zu Felde gezogen; deren grundsätzliche Anliegen teilen im Gegenteil auch die Autoren dieses Textes.

Wir sind uns als "bis dahin (...) eher unverdächtige" (Wertmüller) Autoren bewußt, daß wir nunmehr gewissermaßen unter einem Generalverdacht stehen. Wichtiger als die Zurückweisung solcher Verdachtsrhetorik ist uns jedoch der Versuch, die notwendige Kritik der deutschen Verhältnisse auf deren gegenwärtigen Stand zu bringen. In Wertmüllers Text wird bezeichnenderweise mit keinem Wort die Kritik an einigen Antideutschen erwähnt, deren ignoranter Umgang mit rassistischen Zuschreibungen zentrale Momente der nationalen Formierung im und nach dem Kosovo-Krieg ausgeblendet hat.

Einigkeit besteht wohl darin, daß auch die noch nicht in staatsförmigen Projekten aufgesogene radikale Restlinke angesichts des ersten von Deutschland seit dem Zusammenbruch des NS-Staates geführten Krieges - selbst unter Berücksichtigung ihrer Marginalität - desolat reagiert hat. Es kann aber nicht angehen, sich als der über den Wassern der Selbstzweifel schwebende Weltgeist der restlinken kritischen Vernunft zu gerieren, der selber nicht Teil des Problems ist, anderen Rote Karten zeigen und "Abrechnungen" ankündigen kann, wie beispielsweise die bahamas-Redaktion in ihrem Flugblatt zur Umbenennung der antideutschen Konferenz nach dem Hinauswurf der Gruppe "sur l'eau". Damit wird die dringend notwendige Diskussion um eine Neuformulierung antideutscher Kritik eher blockiert als eröffnet.

Die mit einiger Monotonie vorgetragenen Argumente sind zudem der Sache selbst nach falsch. Es gibt keine stichhaltige Begründung für den Vorwurf, den Schulterschluß mit den Kriegsparteien geübt zu haben, nur weil neben der unverzichtbaren antideutschen Kritik auch an grundsätzlicher Kritik der Nation unter Einbeziehung des Milosevic-serbischen Nationalismus festgehalten wird.

Dies allein aus der Tatsache abzuleiten, daß dieser Krieg ganz wesentlich von ehemaligen Linken getragen und mit einer gegen "Serbien" gerichteten "antinationalistisch" und menschenrechtlich daherkommenden Legitimationsideologie begründet wurde, ist schlicht Unfug. Es ist auch eben kein Problem, sich von auf die serbische Seite fixierten antinationalen Kriegsbefürwortern unter den Linksintellektuellen wie Slavoj Zizek abzugrenzen, ohne die Kritik am serbischen Nationalismus fallenzulassen.

Durch ihre nach einer schwarzweißen "Hauptwiderspruch"-Logik verkürzte Nationalismuskritik gerieten insbesondere die bahamas seit dem Kosovo-Krieg in bedenkliche Nähe zu dem von ihnen sonst zu Recht heftig kritisierten traditionslinken bzw. antiimperialistischen Lager. Die Vorwürfe, daß jede linke Kritik am serbischen Nationalismus "Anstiftung zur Passivität" und "Kapitulationismus" sei, weisen eine geradezu verblüffende Ähnlichkeit mit dem auf, was sich die Autoren dieses Artikels ständig von der Kurdistan-Soliszene anhören müssen, wenn sie deren Blindheit gegenüber den völkischen und antisemitischen Elementen des kurdischen Nationalismus der PKK kritisieren.

Tatsächlich bekannte sich Justus Wertmüller während des Kosovo-Krieges zu einem Moment der Versuchung, "nostalgisch auf die junge Welt zu rekurrieren" (bahamas, Nr. 29/99). Kriegskommentator dieses Blattes war eben jener Werner Pirker, der jüngst in seinem Nachruf auf Ignatz Bubis dessen Zustimmung zum Krieg mit der naheliegenden Tatsache in Zusammenhang zu bringen wußte, daß "es in Belgrad noch immer keine Börse gibt".

Es geht keineswegs um das Setzen von Duftmarken antirassistischer Political Correctness in "gesinnungstüchtigen Kreisen" (Justus Wertmüller), wenn zurückgewiesen wird, daß die berechtigte Kritik des völkischen Nationalismus der UCK auch bei einigen bahamas-Autoren wie Thomas Becker mit rassistischen Stereotypen vermengt wird.

Besondere Qualität gewinnen solche Stereotype vor dem Hintergrund, daß Otto Schily inzwischen nicht nur die paar Tausend seit dem Kosovo-Krieg nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge, sondern bei dieser Gelegenheit am liebsten gleich die schon seit Jahrzehnten hier lebende Mehrheit der MigrantInnen aus dem Kosovo durch "Rückführung" in ihre "angestammte Heimat" aus der deutschen Standortgemeinschaft entfernen will.

Becker entdeckte erst pauschalisierend von der UCK eingeschleuste "vermeintliche Flüchtlinge" (bahamas, Nr. 26/99) und ihre mafiosen Machenschaften in Deutschland und landete schließlich bei der Verwendung biologistisch-sexistischer Metaphern über die vom "Mannestrieb" beherrschten UCK-Kämpfer, deren "Anblick (...) bei albanischen Mädchen weiche Knie verursachen" würde (bahamas, Nr. 29/99). Nicht die Spur einer Reflexion der Tatsache, daß auch der rassistische Mainstream-Diskurs über "die Kosovaren" geschlechtsspezifisch verläuft: Männlichen Dealern, Hütchenspielern, Mafiosi oder völkisch essentialisierten UCK-Kämpfern steht die Stilisierung des "unterdrückten Volkes" zum bloßen Opfer durch Bilder vorwiegend weiblicher Flüchtlinge in den Lagern an den Grenzen des Kosovo gegenüber.

Wenn die Situation, in der das wieder groß gewordene Deutschland seinen ersten Krieg geführt hat, zu einseitig aus den Kontinuitäten in den postfaschistischen deutschen Verhältnissen abgeleitet wird, drohen wesentliche Verschiebungen in dieser Konstellation verlorenzugehen. Zehn Jahre nach der mit dem Ende der DDR begonnenen Wiederherstellung deutscher Großmachtfähigkeit ist dieser Prozeß mit der teils verdruckst, teils offen proklamierten Berliner Republik an eine weitere historische Zäsur gelangt, die durch drei kurz aufeinanderfolgende Punkte charakterisiert ist. Die formale Voraussetzung stellte die nach 16 Jahren Kohl-Deutschland vollzogene Übertragung der Regierungsmacht unter Einbeziehung ehemaliger Linker her.

Die eigentliche Geburt fand in der als symbolischer Ort "demokratischer" deutscher Nationwerdung besetzten Paulskirche statt, als der Nationalschriftsteller Martin Walser vor den versammelten alten und neuen Machteliten die "Moralkeule Auschwitz" und - mit ihren anwesenden Repräsentanten Ignatz und Ida Bubis - die Generation der Shoah-Überlebenden abkanzelte und dafür stehenden Applaus erntete. Der dabei zutage getretene überwältigende Konsens markiert die eigentliche symbolische Stabübergabe von der Flakhelfer- und Noch-Tätergeneration an die Nach-68er.

Mit dem Kosovo-Krieg wurde der endgültige Eintritt in die Berliner Republik wieder durch einen Krieg besiegelt, doch genau hier verbieten sich allzu glatt gezogene historische Kontinuitätslinien. Daß die treibende deutsche Beteiligung an der Zerschlagung Jugoslawiens und schließlich am Angriffskrieg der Nato so überzeugend als moralethisch begründete "humanitäre Intervention" inszeniert werden konnte, hat neben der rot-grünen Regierung auch wesentlich die vergangenheitspolitischen Diskurse der letzten Jahre zur Voraussetzung.

Nicht nur konnte nach dem Regierungswechsel der zur Macht gekommene Teil der Generation ehemals linker BewegungsaktivistInnen auf ihre rebellische Abarbeitung an der deutschen Tätergeneration pochen und ihre Erfahrungen in oppositioneller Menschenrechtspolitik nutzbringend anwenden. Sie konnte auch auf ein Element zurückgreifen, das bei der notwendigen linken Kritik der deutschen Abwehrdiskurse im Zusammenhang mit Goldhagen-Debatte und Wehrmachtsausstellung etwas untergegangen ist.

So hatte die kulturindustriell vermittelte breite Goldhagen-Rezeption neben den Abwehrreaktionen auch ein ausgesprochen kathartisches Moment, und die Wehrmachtsausstellung stellte neben der biographisch letztmöglichen Konfrontation der Wehrmachtssoldaten mit ihrer Verstrickung in die nazistische Barbarei auch ein ebenso letztgültiges Gesprächs-, fast schon ein Versöhnungsangebot bereit. Dies wird z.B. in neueren Äußerungen vom Leiter des Ausstellungsprojektes, Hannes Heer, explizit deutlich.

Genau auf diesen auch von Linken teils willentlich, teils unwillentlich mitproduzierten Effekt des Vergangenheitsdiskurses der letzten Jahre konnte die fischergrüne Kriegsfraktion mit ihrer projektiv-antiserbischen "Nie-wieder-Auschwitz"-Parole aufsetzen - und so Walsers "Moralkeule" in eine ganz entgegengesetzte Richtung, nämlich gegen alle KriegsgegnerInnen schwingen. Weil wir gnadenlos uns selbst gegenüber den Schrecken und Verbrechen der deutschen Vergangenheit ins Auge geblickt haben, schreiten wir jetzt genauso gnadenlos legitimiert zum Bombenkrieg zur Durchsetzung von Menschenrecht gegen Staatssouveränität auf dem Balkan und anderswo - so ließe sich das neue nationale Credo paraphrasieren.

Kennzeichnend ist dabei die vor allem im "Wir haben verstanden"-Kanzler verkörperte Kaltschnäuzigkeit. Mit dieser meldet nun auch Fischer mit seinen Reformvorschlägen vor der Uno menschenrechtlich verpackte internationale Machtansprüche Deutschlands an und fordert, natürlich angemessen zurückhaltend formuliert, den deutschen Sitz im Sicherheitsrat.

Kriegsminister Rudolf Scharping läßt derweil daheim die Katze aus dem Sack: "Die politische Führung unseres Landes muß gemeinsam entscheiden, was aufzuwenden ist, um dem außenpolitischen Gestaltungsanspruch der Bundesregierung durch Bereitstellung angemessener militärischer Mittel Geltung zu verschaffen." (Scharping in der FAZ vom 9. September)

Wenn im Zuge dieser Entwicklung der Menschenrechtsbegriff ethnisiert und volksgruppenpolitisch gegen "Serbien" exekutiert wird, Flüchtlinge zu "Heimatvertriebenen" umdefiniert werden und schließlich von Christian Semler in der taz vom 19. Juni die Versöhnung zwischen Linken und Vertriebenen abgefeiert wird, dann ist das nicht einfach die Wiederkehr des deutschen Immergleichen. Die Elemente kehren vielmehr im Rahmen einer historisch neuen Konstellation wieder, für die auch die Linke - einschließlich der Autoren dieses Artikels - noch keinen adäquaten Begriff hat.

Diese spezifische deutsche Entwicklung spielt sich im Rahmen einer Phase globalkapitalistischer Wertvergesellschaftung ab, die sich mit Begriffen wie Postfordismus oder deregulierte Krisenkonkurrenz zwar nur unvollständig, aber doch einigermaßen treffend charakterisieren läßt. Ihr verdankt sich die grassierende "ethnisch" oder religiös begründete Barbarei und Ausbreitung bandenförmiger Plünderungsökonomien im Weltmaßstab ebenso wie die Tatsache, daß sich in Deutschland im Rücken des neudeutschen Menschenrechtsimperialismus weiter ein rassistischer Konsens verfestigt.

Seine "klassenübergreifend" identitätsstiftende Virulenz bezieht dieser - wie in Jungle World, Nr. 38/99, beschrieben - aus dem Konnex von OK- und Sicherheitsdiskurs mit ausgrenzend ethnisierenden Zuweisungen, die in der Figur des "Illegalen" als neuem Gegentypus zur deutschen Standortgemeinschaft materialisiert wird. Es kann nicht genug betont werden, wie fatal sich das Ausblenden dieser Zusammenhänge und die Reproduktion der in diesem Diskurs wirksamen rassistischen Stereotype durch einige Antideutsche auswirkt.