»Peace« von Falk Richter

Schlimm: Alles nur Fake!

Die Schaubühne sucht weiter nach dem Körper und dem Chaos, jetzt im Kosovo. Aber auch dort unten sind wir unecht.

Als Thomas Ostermeier, Sascha Waltz, Jochen Sandig und Jens Hillje im vergangenen Jahr die künstlerische Leitung der Berliner Schaubühne übernahmen, kamen sie geradewegs aus den Ruinen der Neuen Mitte in den sich altersstarr gegen allzu viel Event-Kultur sperrenden Westen der Stadt. Und brachten das Konzept Revolution mit, wenn auch in seiner milchzahnigsten Form: »Und wenn sich die verschiedenen Gruppen des Publikums, alt und neu, mischen und es miteinander in einem Zuschauerraum aushalten, um sich unbekannte neue Stücke anzuschauen, das wäre nicht nur für Berlin eine kleine Revolution.« So endet die Vorrede der Neuen Schaubühne zum Neuen Selbst in einer Neuen Zeit.

Diese Neue Zeit soll nun mit neuem Text munter erkundet werden. Entsprechend beauftragte die Schaubühne Falk Richter - bekannt seit seinem Stück »Gott ist ein DJ« -, sich mal im Kosovo umzusehen und zurück kam der Autor mit der schmerzenden Erkenntnis: Es ist da unten alles nur ein Fake. Leichenberge. Politiker, Medien, Geld, wir, alles pfui! Ach!

Und so funktioniert sein Stück »Peace«, eine Koproduktion mit Kampnagel Hamburg, bei der der Autor selbst Regie führt, auch nur als Illustration dieses Fakes. Das Stück ist: Eine Horde Medienmacher schwatzt und schwatzt und hat schlechten Sex und verdient am Kosovo-Krieg und an Pressetexten und an Kritik und an Fotos und fährt hin und kommt zurück und schwatzt und schwatzt und schwatzt. Schlimm. Und natürlich sind die Leute ganz doll entfremdet, agieren nur noch in einer Welt des Was-tun-müssen und wissen doch gar nicht ... und haben doch gar nicht ... - kurz: Es ist das Elend der Leute, dass sie in einen Krieg hineingezogen worden sind, zu dem sie kein Verhältnis haben. Zentraler Satz ist die permanent wiederholte Klage: »Ich will doch nur meinen Frieden.«

Doch anstatt kritisch zu sein, ist das Stück latent reaktionär. Es präsentiert einen Haufen Menschen, die als sexuell verwirrt dargestellt werden, damit auch noch dem letzten Hampel klar wird, dass zu viel wildes Durcheinanderjobben und Herumficken Entfremdung bringt und nichts als Ärger. Den sich diese Typen einhandeln, weil sie offenen Auges in den Krieg stolpern. Die Figuren gelten dabei als besonders repräsentativ, denn als Medienmacher sind sie ja sozusagen an vorderster Front. Zugleich wird klargemacht, dass die einzig unkorrupte Haltung, die zum Krieg einnehmbar ist, eine resignative ist: Wir alle sind Teil des Fake, also irgendwie auch unecht und daher verloren. Noch mal: Schlimm!

Die Message wird mit den Mitteln von Multimedia eingepaukt, und immer, wenn's hoch hergeht, donnert's auch mächtig. Und nur wenn die Figuren einen Moment innehalten und sich der Schweinerei, bei der sie mitmachen, bewusst werden, dann werden sie ganz still und klein und wirken ganz echt verloren. Dann gehen ihnen die Worte aus, und manchmal sogar vereinzelt die Lichter. Und die Berührungen, die sie dann erfahren, sind ganz richtig menschlich und echt ernst, ey. Der Subtext heißt also: Fickt straight, liebt prima, und meint irgendwas, das aber ganz ernst. Man kann dann drüber reden. Und dann kann nichts schief gehen.

So schwach wie das Stück ist auch das Konzept der Schaubühne. Doch: In der Zeit der Leere gereicht fast nichts schon zur Ehre, weiß das Reimlexikon, und tatsächlich ist es Ostermeier und Co. gelungen, innerhalb der Theaterlandschaft mit ihrer »kleinen Revolution« für großen Aufruhr zu sorgen. Denn das Ensemble ist nicht nur an den Entscheidungen der Intendanz beteiligt, und der Verzicht auf Stars und alteingesessene Theaterstücke wird proklamiert, nein, es wird auch ein Kulturkampf aufgenommen. Das Theater solle sich als Ort der Kritik re-etablieren, wird vollmundig gefordert (als sei das »Stadt- und Staatstheater« nicht schon immer den Launen derer unterworfen gewesen, die es bezahlen), und, jawoll, hier werde der Anfang gemacht. Ostermeier lässt kaum eine Gelegenheit aus, auf Podien den neuen Gott eines sozialen Theaters zu geben, das mittels Demokratie und Einheitslohn den Leuten »auf der Straße« all das zurückgeben will, was sie nie vermisst haben.

Für Theaterdonner reicht dieses Spektakel allemal, und spätestens seit die Kritiker der meinungsführenden Medien in den Entäußerungen der wilden Jungen einen Hauch von Aufklärung und Sozialismus zu spüren meinen (wenngleich auch nicht mehr), kann sich die Schaubühne bereits als Speerspitze einer neuen Bewegung gerieren. Für den Kultursenat der Stadt ist die Rechnung aufgegangen. Am Rande der Neuen Mitte hat man ein pompös in Belanglosigkeit dahindümpelndes Theater durch das Casting von Kleinrevoluzzern wieder attraktiv gemacht, und wenngleich diese vier den Etat der Schaubühne vermutlich nicht aus der Verlustzone bringen, so helfen sie der Hauptstadt doch dabei, trotz der müde gewordenen Volksbühne und der großmäulig-schlappen Peymann-Truppe kulturelles Kapital anzuhäufen.

Von Bochum, Frankfurt/Main und Hamburg wird jedenfalls kaum noch geredet. Würde die Schaubühne in einer beliebigen anderen Stadt stehen, niemand würde sich groß dafür interessieren, sie ist aber in Berlin. Und im Kontext Berlin hat selbst ein Theater-»DJ« anscheinend mehr Gewicht als ein symbolträchtiger »König« in München.

Die Schaubühnen-Crew glaubt nun, dass dem Theater nicht die Lesarten abhanden gekommen seien, sondern nur die Inhalte. Das widerspricht der Auffassung, dass die dramatische Form vor allem dann Relevanz bekomme, wenn die Zeiten dramatisch seien, auch redet man weder von Fallhöhe noch von notwendigem Konflikt - der Schaubühnenleitung genügen Gesten. Sie halten es gewissermaßen mit Pierre Bourdieu: Der Unmut an den Verhältnissen beweise bereits schlüssig deren Fehlerhaftigkeit. Im Gegensatz zu dem französischen Starintellektuellen scheint sich die Schaubühne jedoch nicht - bei aller Inszenierung von »Suche« und »Gespräch« - auf eine Analyse des Systems einlassen zu wollen. Denn sie besitzt schon das Gegenrezept gegen den Unmut. Das ist das Echte, das Authentische. Die Schaubühne betont permanent Körper und Chaos, stellt diesem jenen entgegen, verortet dann den »Körper« im Sozialen und will so quasi das runderneuerte Subjekt aus dem Zauberhut ziehen.

Entsprechend muss man sich dem Krieg zuwenden, denn dass dort vermittelte Glaubenssätze auf die objektive Kraft des Faktischen treffen würden, ist eine Ahnung, die schon Ernst Jünger in seiner Buchstabensuppe finden konnte. Zudem passt es ganz gut, dass angesichts der Verwirrung, mit der die Linke auf den Nato-Angriff gegen Jugoslawien reagiert hat, das Thema gewissermaßen noch unbeackert daliegt. Schließlich aber gibt es der Schaubühnen-Atmosphäre des Aufmupfs noch eine tatsächlich politische Note.

Die naive Vorstellung von Kriegsgegnerschaft und Demokratie, die »Peace« transportiert und die jede Unterstützung des Krieges durch »das Volk« ausschließt und das Schlüsselereignis Kosovo-Krieg vollständig der Staatspolitik, die hier fast mit Schicksal gleichgesetzt ist, überantwortet - diese Vorstellung genügt bereits, um das bürgerliche Feuilleton gegen sich aufzubringen.

Gewisse starke Momente des ansonsten sehr schwachen und langen Textes reichen offensichtlich, um das professionelle Publikum zu verstören. Zum Beispiel, wenn ein Schauspieler einen tränenreichen Augenblick lang aus Scharpings Kriegshelden-Tagebuch zitiert, um daraufhin anderen Schauspielern vorzuwerfen, das hätten sie doch geschrieben (und diese geben es zu). Und diese Verstörung wiederum scheint der Schaubühne dann wiede-rum ganz und gar zu bestätigen, wie geil klandestin man ist.

»Peace«. Regie: Falk Richter. Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin. Weitere Vorstellungen: 30. Juni und 2. bis 4. Juli