Schädel messen vor Gericht

Anonyme Zeugen, rassistische Gutachten - in Dutzenden Prozessen gegen angebliche afrikanische Drogenhändler werden in Österreich elementare Rechte missachtet. Kritiker fordern jetzt eine europäische Beobachter-Kommission für die Angeklagten der »Operation Spring«.

Sie treten nur mit Helm und Handschuhen, in Strumpfmaske und Overall auf. Ohne weitere Beweise reicht die Aussage eines solchen »Helmi« oder »Strumpfi«, wie die »anonymisierten Zeugen« in der österreichischen Presse genannt werden, für mehrjährige Haftstrafen ohne Bewährung aus. Sie werden zu Kronzeugen gemacht in Dutzenden Prozessen, die derzeit gegen mehrere Hundert afrikanische Migranten laufen. Die Angeklagten sollen einer angeblichen »nigerianischen Drogenmafia« angehören, gegen die im Mai vergangenen Jahres im Zuge der »Operation Spring« - einer der größten Polizeiaktionen der österreichischen Nachkriegsgeschichte - vorgegangen wurde. Die Aktion und die nachfolgenden Prozesse wurden in den Medien als Schlag gegen die organisierte Kriminalität gefeiert.

Wie am vergangenen Freitag, als sieben afrikanische Jugendliche wegen angeblichen Drogenhandels zu insgesamt 24,5 Jahren ohne Bewährung verurteilt wurden. Auch hier stützte sich die Staatsanwaltschaft auf die Aussage eines anonymen Zeugen, der einen schwunghaften Drogenhandel beobachtet haben will. Bei einer Razzia in einem Lehrlingsheim waren 22,5 Gramm Kokain und Heroin in einem Zimmer gefunden worden - nicht gerade viel für einen Großhandel.

Die maskierten Zeugen sind nicht die einzige Merkwürdigkeit in einer Reihe von merkwürdigen Prozessen. Zu einem skandalträchtigen Ereignis entwickelte sich vor allem eine Verfahrensfrage: Viele Beschuldigten bezeichneten sich als minderjährig, konnten aber keine entsprechenden Dokumente vorweisen. Um zu entscheiden, ob die Beschuldigten nach dem wesentlich milderen Jugendstrafrecht verurteilt werden müssen, wurden umfangreiche Gutachten in Auftrag geben - mit Hilfe rassebiologischer Methoden.

So berichtete die Wiener Tageszeitung Der Standard, dass der Wiener Professor Johann Szilvassy in einem Gutachten neben der »Kopflänge« auch die »Mundbreite« und die »Nasenbreite« penibel ausgemessen hatte. Nach Angaben des Wiener Stadtmagazins Falter hatte er dem Gericht auch Tabellen vorgelegt, in denen er »die Schambehaarung« und »die Entwicklung der Geschlechtsteile« von Afrikanern untersuchte. Die Methoden von Szilvassy, der auch als Initiator des inzwischen geschlossenen »Rassensaals« im Wiener Naturhistorischen Museums und als Autor der rechtsextremen Zeitschrift Aula bekannt wurde, sind, wie der Standard berichtet, in Österreich »umstritten«.

Nach Protesten wurde der Professor im Mai pensioniert. Den für das Verfahren gegen die afrikanischen Jugendlichen zuständigen Richter Norbert Gerstberger beeindruckte dies nicht. Anfang Juli kündigte er zur Klärung ihres Alters einen »Experten-Gipfel« an - auch der »Menschen-Vermesser« Johann Szilvassy sollte teilnehmen. Und der Wiener Oberstaatsanwalt Harald Eisenmenger, unter dem Namen »Wahnfried« Ex-Mitglied der schlagenden Verbindung Arminia, sagte im Standard, er könne »ja keinen Uniprofessor, der auf unserer Sachverständigenliste steht, abqualifizieren«.

Der Richter griff am vergangenen Freitag nicht auf die »wissenschaftlichen« Gutachten Szilvassys zurück - um anschließend selbst zu entscheiden, wie alt die Angeklagten sind: Nur zwei wurden nach dem Jugendgesetz verurteilt.

Unterstützung erhalten die Angeklagten der »Operation Spring« meist nur von den Mitgliedern von Gemmi, der Gesellschaft für Menschenrechte von Marginalisierten und MigrantInnen. Die Gesellschaft kritisiert vor allem, dass die Beschuldigten von ihren Pflichtverteidigern oft falsch beraten würden und die Übersetzungen unzureichend seien. Gegen die Mitglieder von Gemmi wurde inzwischen ein generelles Besuchsverbot in den Gefängnissen verhängt.

Dass es möglich sei, in Österreich genügend Druck zu erzeugen, um zumindest minimale rechtsstaatliche Garantien wie die Unschuldsvermutung durchzusetzen, glauben die Mitglieder von Gemmi nicht mehr. Sie suchen jetzt Anwälte aus ganz Europa, die bereit sind, die Prozesse zu beobachten. Und hoffen, dass eine Flut von Protestschreiben aus dem Ausland den Schreibtisch des Justizministers überschwemmt.

Die Prozesse würden auch genügend Material für die so genannten drei Weisen bereithalten, die im schwarz-blauen Österreich die Einhaltung der Menschenrechte im Auftrag der EU überprüfen sollen. Einziger Schönheitsfehler: Die »Operation Spring« und die damit verbundenen Prozesse stammen noch aus Zeiten der SPÖ/ÖVP-Regierung.

Polizeiübergriffe auf Menschen dunkler Hautfarbe gehören seit Jahren zum Alltag der Wiener Exekutive. Von 699 Beschwerden wegen polizeilicher Übergriffe in den Jahren 1997 und 1998 führte nur eine einzige zur Verurteilung.

Als im Frühjahr 1999 Ahmed F. während einer Polizei-Kontrolle in der Wiener U-Bahn starb, organisierte die afrikanische Community eine Demo gegen Rassismus und Polizeigewalt. Zum ersten Mal wurde die afrikanische Community in Wien öffentlich aktiv. Nur sechs Wochen später erstickte während seiner Abschiebung im Flugzeug nach Sofia der mit Klebeband »ruhig gestellte« Marcus Omofuma. Die Obduktion wurde von bulgarischen Behörden vorgenommen; die Verantwortung der Polizei für Omofumas Tod war daher nicht so leicht zu vertuschen.

Kurz danach setze die Kampagne gegen die afrikanischen Migranten ein. Die FPÖ-Abgeordnete Helene Partik-Pablé sprach im Nationalrat von der »natürlichen Aggressivität afrikanischer Menschen«, die Neue Kronen Zeitung von den Morden »an unseren Kindern« durch die »nigerianische Drogenmafia«. Erst als Berichte von AugenzeugInnen in der Presse auftauchten, die die Verantwortung der Polizisten für den Tod des Schubhäftlings belegten, begann eine zaghafte Kritik an der Abschiebepraxis.

Der damalige sozialdemokratische Innenminister Karl Schlögl, den Jörg Haider einmal als seinen »besten Mann in der Regierung« bezeichnet hatte, stellte sich hinter seine Beamten - und erhielt Deckung von Kanzler Viktor Klima, ebenfalls SPÖ. Dennoch forderte die FPÖ in der Neuen Kronen Zeitung mit ganzseitigen Anzeigen Schlögl auf, endlich etwas gegen die nigerianischen Dealer zu unternehmen. Zwei Tage später begann die »Operation Spring»: An einem Tag durchsuchten über 850 Polizisten in ganz Österreich Dutzende von Wohnungen, verhafteteten mehr als hundert Personen und stellten die im Verhältnis zum Aufwand dürftige Menge von 4,5 Kilo Heroin und Kokain sicher.

Wem keinerlei Berührung mit Drogen nachgewiesen werden konnte, bekam erst recht Schwierigkeiten: In diesem Falle müsse es sich um einen Boss handeln, folgerte die Polizei. Wie im Falle des Schriftstellers Obiora

Ci-K Ofoedu (siehe Interview) oder von Emmanuel C., der nach der Anklageschrift in Verdacht steht, »die Rolle einer Führungspersönlichkeit« einzunehmen.

Die Rücktrittsforderungen gegen Schlögl verstummten nach der Aktion. Und auch die politischen Aktionen der afrikanischen Community endeten. Drogenrazzien gegen AfrikanerInnen gehörten nun zum festen Repertoire des Innenministers. Wenige Tage vor den Nationalratswahlen im Oktober 1999 wurden bei einer Razzia in dem Wiener Lehrlingsheim die schwarzen Jugendlichen verhaftet, die jetzt verurteilt wurden.

Doch trotz der rassistischen Politik gelang es der SPÖ nicht, den Aufstieg der FPÖ zu bremsen. Die WählerInnen votierten für das Original, nicht für die Kopie. Heute ist der FPÖ-Justizminister und ehemalige Privatanwalt von Jörg Haider, Dieter Böhmdorfer, für die juristische Vollendung der »Operationen Spring« verantwortlich.

Böhmdorfer wird es auch nicht stören, dass die Verhandlung am Unabhängigen Verwaltungssenat in St. Pölten zum Spießrutenlauf für afrikanische Frauen wird. Diese waren mutig genug, gegen die Exzesse der Polizei bei einer Razzia im afrikanischen Pavillon der staatlichen Flüchtlingsunterkunft in Traiskirchen Anfang diesen Jahres zu prozessieren.

Damals wurden die Flüchtlinge stundenlang mit Plastikfesseln fixiert; sie durften nicht auf die Toilette, wurden im Beisein anderer und ohne dass dabei die Handschuhe gewechselt wurden, Vaginal- und Rektaluntersuchungen unterzogen.

Aber auch in den Kreisen des so genannten Widerstands gegen FPÖVP hält sich die Empörung in Grenzen. Auf dem Widerstands-Symposion der Demokratischen Offensive im Mai wurde der Tod von Ibekwe R. aus Nigeria nicht erwähnt, der am 3. Mai unter mysteriösen Umständen im Polizeigewahrsam verstarb, nachdem er laut Zeugenaussagen bei der Verhaftung misshandelt worden war.

Weitere Informationen unter www.no-racism.net