Neonazis in der Uckermark

Mitten im Feindesland

Alles ist besser, als in der Uckermark verrückt zu werden: Wer als Schwarzer überleben will, wird am besten Boxer. Wie Ibrahimo Alberto.

Crussow bei Angermünde. Im Asylbewerberheim, drei Kilometer außerhalb der Ortschaft, sind mehr als 100 Flüchtlinge in einer alten NVA-Anlage untergebracht: mehrstöckige Zimmerfluchten, Etagen-Duschen, Großküchen. Knast-Atmosphäre. Von den Mahlzeiten und den abendlichen Fernseh-Sessions abgesehen, besteht die einzige Beschäftigung im Warten.

»Die werden hier verrückt«, sagt einer der beiden Sozialarbeiter, selbst eingewanderter Afrikaner. »Stell dir vor, du kommst aus dem Busch nach Europa, glaubst, du hast es endlich geschafft, und dann landest du hier.« Drei, vier Jahre auf engstem Raum, mitten im Feindesland. Wer eine solche Situation unbeschadet übersteht, muss als psychisch stabil gelten.

In Crussow lässt sich nicht viel mehr unternehmen als im Heim selbst, und das nahe gelegene Angermünde hat zwar Kneipen, aber dort wird man als Dunkelhäutiger schon am Bahnhof feindselig inspiziert. Kein Wunder also, dass sich viele Flüchtlinge nach Berlin absetzen, um dort Arbeit für vier, fünf Mark die Stunde zu suchen. Auch wenn es verboten ist, den Landkreis zu verlassen. Alles ist besser, als in Crussow verrückt zu werden.

Tolerantes Brandenburg: Im 20 Kilometer entfernten Schwedt haben Neonazis Anfang der Neunziger dafür gesorgt, dass alle alternativen Projekte schließen mussten. Damals ging die Antifa der Raffinerie-Stadt an der polnischen Grenze geschlossen »ins Exil«, nachdem zwei Mitglieder auf die Intensivstation geprügelt worden waren. Nur manchmal, etwa zum Verteilen der Zeitung Geierwally, kehrten die Exilanten zurück, allerdings nur in Begleitung. Ziviles Engagement, von dem im Moment so viel die Rede ist, wurde damals als »Problem verfeindeter Jugendgruppen« bezeichnet.

Trotzdem reagiert Susanne Lang vom Demokratischen Jugendforum Brandenburg (DJB), einem Zusammenschluss linker Jugendgruppen, ebenso wie viele ostdeutsche Antifas leicht gereizt auf die Bemerkung, der Osten sei braun. »Die Aussage ist problematisch. Sie demotiviert die Leute und verstärkt das Gefühl, dass es sich sowieso nicht lohnt, etwas zu machen.« Dabei zeigten die Initiativen des DJB, dass die Spielräume antirassistischer Politik in Brandenburg größer sind als gemeinhin angenommen.

Immer wieder hat der Verein versucht, die ausgetretenen Wege traditioneller Antifa-Politik zu verlassen. Die Erfahrung in den meisten brandenburgischen Städten zeigte, dass die direkte Auseinandersetzung mit den Nazis zu Niederlagen führte, waren die Rechten doch nur der militante Ausdruck eines rassistischen Mainstreams. »Man gewann nicht viel, wenn man immer nur auf die Gruppe organisierter Nazis stierte.«

Vor diesem Hintergrund begann man im Oktober 1998, mit der Aktion Noteingang öffentliche Einrichtungen und Geschäfte als Zufluchtsorte für Opfer rechter Gewalt kenntlich zu machen.

Die Reaktionen waren vielfältig und zum Teil erschreckend. So ließ der um das Image seiner Stadt besorgte Bürgermeister Peter Schauer (SPD) zwar an allen städtischen Einrichtungen Schwedts den gelben Punkt anbringen, erklärte allerdings gleichzeitig, dass dies »die letzte antifaschistische Aktion« sei, die er unterstützen werde. Am weitesten verbreitet, sagt Jule von der Schwedter Jugendgruppe PUKK (Politik und kritische Kultur), die aus der Aktion Noteingang hervorging, sei die Bloß-nicht-auffallen-Haltung gewesen: »Die Ladeninhaber haben gesagt, dass sie Kunden verlieren, wenn sie mitmachen.« Deutlich wird einer der Geschäftsmänner: »Wir müssen sehen, dass wir die Fehler von '33 nicht wiederholen - früher waren es die Juden, die ausgegrenzt wurden, heute die Rechten.«

Trotzdem hält die Aktion Noteingang ihre Kampagne für einen Erfolg. Nicht so sehr wegen der Lobhudelei, die ihnen etwa durch die Verleihung des Aachener Friedenspreises zuteil wird. Wichtiger sei, dass aus der Aktion in mehreren Städten funktionierende Gruppen hervorgegangen sind. Für die dunkelhäutigen Bewohner Brandenburgs jedoch sind langfristig angelegte Konzepte, die einen Bewusstseinswandel der Mehrheit erreichen wollen, keine echte Hoffnung. Der rassistische Alltag hat die Übriggebliebenen in die Isolation gezwungen.

So die afghanische Familie Barzani (Name von der Redaktion geändert). Seit Jahren wartet sie auf einen Asylbescheid, nur dank einer Ausnahmeregelung durfte sie überhaupt in eine Wohnung nach Schwedt ziehen. Inzwischen verlassen die Familienmitglieder ihre vier Wände fast nur noch in Begleitung. Jeder Einkauf ist ein Spießrutenlauf. Nachbarn haben die Familie mehrmals mit dem Tode bedroht, die Polizei zeigt sich ratlos oder desinteressiert.

Selbst zu einer von PUKK organisierten Podiumsdiskussion über die Situation der Ausländer in Schwedt trauen sich die Barzanis nicht allein. Schließlich erklären auch dort jungrechte Kader, dass man das Problem mit den Ausländern nicht einseitig betrachten dürfe, weil man als Deutscher doch auch ständig Opfer von türkischen Banden werde. Und referieren ungestört über die Herzlosigkeit »eines Systems, in dem der Mensch weniger zählt als der Profit«. Die Barzanis schweigen, und die Aktivisten der PUKK versuchen zu bewegen, was irgendwie zu bewegen ist.

Der einzige Afrikaner an diesem Abend ist Ibrahimo Alberto. Seit fast 20 Jahren lebt er hier. Als einer der wenigen Vertragsarbeiter konnte er die Hürden überwinden, die deutsch-afrikanischen Paaren von der DDR-Bürokratie in den Weg gestellt wurden. »Du brauchtest so viele Bescheinigungen zum Heiraten, das hat fast niemand geschafft.«

Von Anfang an wohnt er in Schwedt und hat bisher als einer der ganz wenigen Dunkelhäutigen noch keine tätlichen Angriffe erlebt. Der Grund: Alberto ist ein stadtbekannter Boxer. Und deshalb grinst er: »Die Bengels provozieren mich manchmal, aber richtig anlegen wollten sie sich bis jetzt nicht.« Aber auch er geht der Auseinandersetzung aus dem Weg, es herrscht eine Art Gleichgewicht des Schreckens.

Angst hat Alberto um seine Kinder. Sein Junge kommt bald in die Schule, und Kinder sind nicht so gelassen, dass sie bei jeder Kränkung weghören könnten. Umziehen will er trotzdem nicht. Seine Frau und er haben hier einen Job, wer weiß, wie das woanders wäre.

Bis 1992 hat er sich hier wohlgefühlt. In der DDR, so berichtet Alberto, sei er oft eingeladen worden, die Leute seien okay gewesen, obwohl schon damals etwas in der Luft gelegen habe. 1988 wurde ein guter Freund Albertos aus dem Zug geworfen und getötet. Es war der erste Mord an einem Schwarzen, und Alberto fühlt sich immer noch mitschuldig. Der Freund kam von einem Besuch in Schwedt. Ratloser Blick. Schade, dass nicht alle Nicht-Deutschen Boxer sind, möchte man meinen. Oder noch besser: einen Waffenschein haben.