Deutsche Fußballer in Italien

Seria A für alle

Die italienische Profifußball-Liga war immer international - auch viele deutsche Kicker haben dort gespielt.

Der wahrscheinlich erste deutsche Fußball-Legionär in Italien war Julius Östermann; ein Deutscher, der einfach nach Italien reiste, um dort Fußball zu spielen. Wo Östermann genau herkam, ist nicht genau zu sagen. Auch kann man sich wegen der internationalen Gründungsgeschichte der meisten italienischen Fußballvereine nicht sicher sein, dass Östermann wirklich der erste in Italien spielende deutsche Kicker war.

Immerhin steht fest, dass ein deutscher Spieler namens Julius Östermann im Jahr 1905 als Stürmer beim Naples Football and Cricket Club, dem späteren SCC Neapel, anheuerte. Nach ihm kamen noch andere: Vor dem Ersten Weltkrieg waren es Fritz Roth und ein Spieler namens Mützel, die 1907 nach Turin gingen, ein Kicker mit dem Nachnamen Hünziger oder Hütziger, der nach Como, und ein Torwart namens Florian Ludwig, der nach Bari ging. Ein anderer Torhüter, er hieß Koch, ging nach Bologna, und mit Hans Mädler und Hermann Marktl spielten bereits 1906 bzw. 1907 zwei Deutsche in Mailand. Marktl war auch bei der Gründung des Internazionale Mailand im Jahre 1908 dabei.

Fußball in Italien war schon sehr früh eine internationale Angelegenheit, was vor allem Engländern und Schweizern zu verdanken war. Die Clubs ließen zum Teil gar keine Italiener Mitglied werden - und wenn doch, dann nicht jeden. »Diese Klubs ähnelten den Zirkeln um die Jockey Clubs«, schreibt der Sporthistoriker Pierre Lanfranchi, »in denen ebenfalls die Söhne der städtischen Elite zusammenkamen.«

Die herausragende Rolle der Schweizer als Fußball-Botschafter - außer in Italien wirkten sie in Frankreich und Spanien - resultiert aus zwei Faktoren: der Entstehung des Welthandels und der Ausbreitung neuer Sportarten. In den Schweizer Fachschulen wurden seit den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts viele Ingenieure, Kaufleute und internationale Bankiers ausgebildet. Hier wurden auch moderne Erziehungsmethoden angewendet, wozu das Fußballspiel zählte.

Eine Reihe von Pionieren des italienischen Fußballs wurde in der Schweiz ausgebildet: Am berühmtesten wurde Vittorio Pozzo, in den dreißiger Jahren Trainer der italienischen Nationalmannscchaft, der Squadra Azurra, die zwei Mal Weltmeister wurde. In Winterthur und Zürich erwarb Pozzo 1908 das Diplom in Fremdsprachen und Welthandel. An diesem Institut hatte übrigens auch der Schweizer Hans Gamper seinen Abschluss gemacht, der den spanischen FC Barcelona gründete.

Fußball war für diese Eliteschüler eine Möglichkeit, um sich auf dem Weltmarkt Geltung zu verschaffen. Sie waren Spieler und Funktionäre in einem. Sie gründeten ihre eigenen Vereine, handelten die Regeln aus, und wenn sie zu alt fürs Spiel waren, wurden sie Trainer, Sportjournalisten oder blieben zumindest in einem Ehrenamt dem Verein erhalten. Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich die Spielerrolle. Der nunmehr überwiegend als Funktionäre tätigen Pionier-Generation traten aktive Kicker gegenüber. Im italienischen Fußball, mittlerweile fester Bestandteil der Gesellschaft, zeigten sich erste Professionalisierungen sowohl bei den Spielergehältern als auch bei den Stadionbauten: Aus dem Fußball wurde ein Massenspektakel.

Der Faschismus unterstützte diese Entwicklung massiv: 1926 entstand in Bologna eine große Arena, 1932 in Florenz ein futuristisches Stadion ohne Pfeiler und Streben. 1934 organisierte Italien die zweite Weltmeisterschaft, die es auch - durch einen 2:1-Finalsieg über die Tschechoslowakei - gewann. Obwohl sich in Deutschland die Entwicklung zum Profifußball langsamer vollzog, begaben sich in den zwanziger Jahren nur zwei deutsche Spieler nach Italien, um dort zu spielen: Willy Kargus spielte von 1920 bis 1926 in Salerno und Tirreni, der frühere Herthaner Karl Hort kickte von 1919 an in Capri, wo er 1923 wegen schlechter Leistungen aussortiert wurde.

Offiziell wurde damals noch kein Geld gezahlt, inoffiziell steckten die Vereine den guten Spielern schon größere Lira-Beträge zu. Das Profispieler-Statut wurde in Italien schließlich erst 1926 eingeführt; gleichzeitig aber verboten die Faschisten ausländischen Spielern, bei italienischen Vereinen zu spielen. Dieses Verbot wurde zwar oft unterlaufen, indem ausländische Spieler italienischer Herkunft nach Italien kamen - 1928 der argentinische Starstürmer Raimundo Orsi zu Juventus Turin -, aber deutsche Kicker zog es damals nicht in den Süden. Und Trainer erst recht nicht, obwohl 1935 Ausländer die Mehrheit der Liga-Coaches stellten.

Diese Auseinandersetzungen um die Professionaliserung des Fußballs halfen jedoch schon recht früh, Fußball auch als politisches Spektakel zu sehen. Der Historiker Lanfranchi erklärt das so: »Zu Beginn des Jahrhunderts hatten die italienischen Sozialisten Sport noch als ðWerkzeug der bürgerlichen MittelschichtÐ betrachtet und seine Ausübung den Aktivisten bei Strafe des Parteiausschlusses verboten. In den zwanziger und dreißiger Jahren änderten sie jedoch ihre Meinung. Denn es war das Phänomen zu beobachten, dass die Fans sich auf bestimmte Mannschaften festlegten; daher war es naheliegend, dass sich die Sozialisten anschlossen.«

Die Faschisten unter Mussolini nutzten den Fußball ebenfalls für ihre Zwecke: Vom Staat wurden Fahrten zu Auswärtsspielen mit Sonderzügen und Bussen organisiert, neben den Spielen gab es in den Stadien auch Kulturprogramme. Der italienische Fußball war damals äußerst erfolgreich: Neben den zwei WM-Titeln gewann man 1936 bei der Olympiade (1928 war das Team noch Dritter), und Bologna siegte zweimal beim Mitropa-Cup (1932 und 1934) sowie beim internationalen Fußballturnier zur Weltausstellung 1937 in Paris.

Aber Italien war auch das Land mit dem ersten großen Bestechungsfall im Profi-Fußball. Bei der WM-Qualifikation 1934 hatten die Azurri das Hinspiel zur Qualifikation gegen Griechenland mit 4:0 gewonnen, doch das Rückspiel fand nicht statt: Der italienische Verband hatte den griechischen Spielern und dem griechischen Verband Geld geboten, wenn sie nicht anträten. Bei der WM selbst kam es dann wiederholt zu Schiedsrichterentscheidungen, die Manipulation vermuten ließen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Überwindung des Faschismus war es vor allem der Fußball - neben dem Tour-de-France-Sieg des Radfahrers Gino Bartali 1948 -, der dem Land wieder internationale Reputation verschaffte. Ganz maßgeblich verhalf das 1946 eingeführte »Totocalcio«, das öffentliche System der Fußballwetten, dem italienischen Fußball zum ökonomischen Aufstieg. Gezielt konnten die großen Clubs die besten europäischen und südamerikanischen Spieler verpflichten. In den fünfziger Jahren waren es auch vier deutsche Spieler, die die Möglichkeit nutzten, in Italien einem Beruf nachzugehen, der ihnen bis 1963 in Deutschland verwehrt war - dort blieben sie Amateure.

Zu ihnen gehörte der später als Trainer erfolgreiche Horst Buhtz, der von 1952 bis 1956 beim AC Turin spielte. In den sechziger Jahren kamen endlich auch die ersten Stars aus Deutschland: Nationalspieler Horst Szymaniak spielte von 1961 bis 1965 in Italien, darunter eine Saison bei Inter Mailand, Helmut Haller ging 1962 nach Bologna, wechselte 1968 zu Juventus Turin, wo er bis 1973 blieb, und Karl-Heinz Schnellinger kickte 1963 in Mantova, spielte noch eine Saison in Rom, und ging 1965 zum AC Milano, wo er bis 1974 blieb. Haller und Schnellinger konnte auch ein Beschluss des italienischen Verbandes nach der Weltmeisterschaft 1966 nichts anhaben, wonach keine ausländischen Spieler mehr angeworben werden durften. Die beiden waren schon im Land und blieben einfach in der ersten Liga.

1980, als Italien bei der EM im eigenen Land nur Vierter wurde, öffnete man die Grenzen wieder für ausländische Kicker. So kam mit Herbert Neumann nach langer Zeit wieder der erste Deutsche: Der Kölner ging zu Udinese Calcio und zum FC Bologna. Später folgten mit Hansi Müller (Inter Mailand, Como Calcio), Karl-Heinz Rummenigge (Inter Mailand) und Hans-Peter Briegel (Hellas Verona, Sampdoria Genua) die ersten Stars. Spätestens da wurde die »Seria A«, die nur Heribert Faßbender »Liga Nazionale« nennt, zur sportlich und ökonomisch erfolgreichsten Fußball-Liga.

In der zu spielen seit den Sechzigern überdies kein Karrierehindernis mehr darstellte; lediglich Kicker, die in der spanischen Liga aktiv waren - wie Günter Netzer 1973, Paul Breitner 1974 oder Uli Stielike 1977 -, mussten noch damit rechnen, nicht mehr in die deutsche Nationalmannschaft berufen zu werden. Die Zeiten, als ein Uwe Seeler 1961 noch ein Millionenangebot von Inter Mailand plus Villa ablehnte und dafür ausdrücklich als guter Deutscher gelobt wurde, waren endgültig vorbei.

Von Berthold und Brehme über Klinsmann und Matthäus bis hin zu Möller und Völler ging Anfang der neunziger Jahre eine ganze Reihe deutscher Spieler, mit Doll und Sammer auch die ersten Ostdeutschen in die Seria A. Bundestrainer Hubert Vogts sprach sich sogar dafür aus, dass deutsche Spieler, die in Italien bei ihrem Club nicht spielen dürften, auch nicht für Deutschland auflaufen könnten. Dieses Schicksal ereilte wegen des Superstar-Überangebots in der Seria A viele.

Da hatte es Julius Östermann noch leichter. Und in der deutschen Nationalmannschaft musste er auch nie spielen.