Alternative Lebensformen

Kalter Krieger

Während die politische Klasse der Hauptstadt die Versöhnung mit den historischen Gegnern Deutschlands so weit getrieben hat, dass man fast glauben könnte, die Wehrmacht hätte auf Seiten der Alliierten gegen Hitler gekämpft, wird immer klarer, dass die Geschichte wirkungslos über einen Teil Berlins hinweggezogen ist: den Westen.

Dort beklagt man sich dieser Tage über den Verfall des Kudamms, einen Verfall, der im Wesentlichen darin besteht, dass die Ariseure von einst nun den Filialen internationaler Nobelfirmen Platz machen müssen. Außerdem stellt man erschüttert fest, dass Straßenbahnen die Autostadt bedrohen - was wiederum der Wiedervereinigung zuzuschreiben sei. Und dann wollen auch noch alle erdenklichen Opfergruppen Denkmäler errichten, ohne dass jemand bereit wäre, sich an die wirklichen Schrecken des 20. Jahrhunderts zu erinnern. Die da wären: die Berlin-Blockade! Dutschke! Das Abgeschnittensein vom Spreewald!

Nur einer in der Hauptstadt steht aufrecht gegen den Wind of Change und verteidigt die alten Werte, wo immer er kann: Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister, seitdem man denken kann.

Erst in der letzten Woche bewahrte er Berlin vor den Wirkungen einer fatalen Fehlentscheidung des Stadtparlaments. Ende Mai hatten die Abgeordneten über einen Antrag der Bündnisgrünen debattiert, die forderten, Nicolai Bersarin die Ehrenbürgerwürde zurückzugeben. Der erste sowjetische Stadtkommandant nach dem Zweiten Weltkrieg war 1965 posthum zum Ehrenbürger Ostberlins ernannt worden, weil er als Offizier ungewöhnliches Mitleid mit den verbrecherischen Deutschen bewiesen hatte.

1992 aber, im größten Entstalinisierungswahn, war Bersarin die Ehrenbürgerwürde wieder aberkannt worden. Denn bis heute kolportieren seine Gegner die Mär, dass Bersarin für eine Deportation aus dem Baltikum verantwortlich sei, die nachweislich bereits ein Jahr vor seinem Eintreffen in der Region stattfand. In der hitzigen Parlamentsdebatte um die Ehrenbürgerschaft Bersarins freilich störte das nicht, Diepgen und seine Getreuen griffen zu allen Mitteln, die Rückgabe des Titels zu verhindern. Landowsky musste sogar einer PDS-Abgeordneten den Vogel zeigen, um die Debatte herumzureißen und unerschütterlich festzuklopfen, dass Bersarin ein »Kind des Stalinismus« war. Da analog dazu unzählige bundesdeutsche Politiker »Kinder des Faschismus« waren oder sind, wäre es eigentlich an der Zeit, eine Debatte über die Massenaberkennung Berliner Ehrenbürgerwürden zu beginnen.

So weit wird es natürlich nicht kommen, dafür aber verabschiedete das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von PDS, Bündnisgrünen und SPD eine Aufforderung an den Senat, Bersarin wieder als Ehrenbürger aufzunehmen. Doch da griff Diepgen ein: Von seinem Büro ließ er letzte Woche mitteilen, dass er einem solchen Unterfangen nicht zustimmen werde. Schließlich hätten doch einige Berliner »nicht nur positive Erinnerungen« an Bersarin. Und damit sei auch der Parlamentsbeschluss »als erledigt anzusehen«. Wie gut, dass es in der Demokratie noch Leute gibt, die am Ende alle davor bewahren können, falsche Schlüsse zu ziehen. Solange Diepgen bleibt, wird auch Berlin eine Insel der Aufrechten und wider eine falsche Geschichte bleiben.