Katja Riemanns CD »Nachtblende«

Mehr muss nicht sein

Große Blondine verzweifelt gesucht und gefunden: Es ist Katja Riemann. Jetzt erscheint ihre erste CD »Nachtblende«.

jörg sundermeier

Alte Männer kolportieren es ebenso wie das Fernsehen: Hitler habe eine unstillbare Sehnsucht nach der Dietrich gehabt. Er soll dem blauen Engel sogar eine außerordentlich hohe Gage dafür geboten haben, in Deutschland aufzutreten. Doch es nützte ihm nichts, im Gegenteil, Marlene Dietrich kehrte nicht nur nicht »heim ins Reich«, sie half auch noch dem Feind, indem sie die Truppen unterhielt, und das schließlich sogar in Uniform und Offiziersrang. Und Zarah Leander taugte als traurige Leidende und als Heilige mit einigen kleinen Lastern, doch eine wirkliche Diva konnte sie nie werden. Spätestens in den vierziger Jahren erkannte das sogar Goebbels.

So blieb die Liebe zu der großen Blondine unerfüllt. Das konnten aber weder Hitler noch sein nachgelassenes Volk der Dietrich verzeihen, und anlässlich ihres Versuches, im Westberlin der sechziger Jahre eine Show zu geben, rächte man sich lautstark an der Diva und warf ihr »Verrat« vor. Die Diva selbst entschuldigte sich nie - wofür auch? -, wusste, was sie von Deutschland zu halten hatte, und mied es. Sie konnte erst nach ihrem Tod und folglich schweigend heimgeholt werden. Und bis heute wird Rache an ihr geübt. So etwa von Thea Dorn, die sie für ein Theaterstück in einen imaginären Dialog mit Leni Riefenstahl zwang, an dessen Ende nun plötzlich beide etwas zu bereuen hatten. Leni Riefenstahl ist es auch, die bis heute von einer Konkurrenz der beiden Stars redet. Von der Dietrich ist nicht bekannt, dass sie diese Konkurrenz auch nur wahrgenommen hätte.

Eine andere Form der Rache an der amerikanischen Befreiungssoldatin ist es, sie durch die Mühlen des deutschen Films zu drehen. Als sich der »Herbstmilch«- und »Stalingrad«-Regisseur Josef Vilsmaier der Dietrich-Biografie annahm, blieb von der selbstbestimmten Hosenträgerin nur noch ein vom Schicksal getriebenes und verführtes deutsches Mädchen voller Zweifel und Niedertracht übrig, von Katja Flint allerdings genial dargestellt, die dann auch gleich bundesweit zur »neuen Marlene« ausgerufen wurde.

Das nämlich ist die dritte und fieseste Stufe der Rache: Man lässt die Dietrich wieder auferstehen und kann sie so zurückholen. Romy Schneider, eine der ersten, die man zur neuen Marlene machen wollte, war nicht dumm genug für diesen Job und floh ins Ausland. Dort drehte sie dann Filme, die der hiesigen Volksseele widerstrebten, sodass man sie einzig ihrer traurigen Liebesgeschichten und ihres Alkoholismus wegen als gefallene Frau in die nationale Umarmung zurückholen konnte. Und auch »unsere Romy« kehrte erst als Tote ganz heim.

Für die Rolle der nationalen Diva fehlte aber weiterhin die Frau. Bis jetzt ist man noch auf der Suche nach ihr. Katja Flint genügt den Erwartungen nicht, da sie im Film nicht erotisch genug wirkt. Anja Kruse hatte sich zu früh zu viel vorgenommen und sich mangels guter Filme in schlechten Fernsehserien verbraucht. Ute Lemper war zu oft im Ausland. Renan Demirkan ist nicht deutsch genug. Sunny Melles wirkt zu vergeistigt und sieht außerdem irgendwie krank aus. Meret Becker protestiert zuviel herum und hat verdächtige Verwandte. Jenny Elvers ist zu promiskuitiv und hat keinen Geschmack. Verona Feldbusch scheidet von vornherein aus. Susan Stahnke war in jeder Hinsicht zu voreilig.

Bleibt Katja Riemann. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Kolleginnen hält sich die Riemann zwar einerseits vornehm zurück, andererseits gibt sie aber im Öffentlichen wie im scheinbar Privaten genau den Part, den eine Nation von ihrer Diva verlangen darf. Die Schauspielerin sagt: »Wenn du spielst, dann guckt die Kamera in deine Seele, in dein Hirn. Ich gebe soviel von mir preis, dass ich mir sage: mehr muss nicht sein.« Wenn da mehr ist. So jedenfalls behauptet man, ein Geheimnis zu haben. Bis das gelüftet ist, bleibt man interessant.

Dabei hat es Ende der Achtziger noch gar nicht so schlimm mit ihr ausgesehen. Der Schimanski-Tatort »Katjas Schweigen« (1989), in dem die damals 25jährige die Ruhrpott-Göre gibt, zeigt eine Schauspielerin, die, gemessen an den sonst üblichen Leistungen, positiv auffällt. Und auch in »Abgeschminkt!«, dem deutschen Erfolgsfilm von 1993, der in Nachfolge von »Männer« in mehrfacher Hinsicht als Auslöser der aktuellen nationalen Kinowelle gelten darf (die Regisseurin Katja von Garnier wurde wegen dieses Debüts nach Hollywood verpflichtet), macht Riemann durchaus eine gute Figur.

Doch ungefähr 1993 wurde sie dann endgültig glücklich in Deutschland und im deutschen Film und damit nervig. Sie erntete zig Filmpreise (den Bayerischen Filmpreis bislang dreimal), spielte in »Ein Mann für jede Tonart« (1993) und »Bandits« (1997), in »Die Apothekerin« (1997) und in »Balzac« (1999) und wurde zunehmend für ernstere Rollen, Hochklassisches und - im Rahmen des Unterhaltungsfilms - auch Komplizierteres verpflichtet. In dem Fernsehfilm »Goebbels und Geduldig«, der voraussichtlich 2001 ausgetrahlt wird, spielt sie die Hitler-Geliebte Eva Braun.

Während sich also ihre Gagen verbesserten, muss sie begonnen haben, den Zeitungen zu glauben, die sie zur Diva kürten. Die B.Z. beschreibt sie folgendermaßen: Sie sei »intelligent, schwierig, abergläubisch (steht nie mit dem rechten Fuß auf)«. Der stern erkennt in ihr die »Alpha-Actrice«. Und alle scheinen hinter ihren Äußerungen Klugheit zu vermuten. Zum Beispiel hinter dieser: »Meine Schauspiellehrerin lehrte uns, dem ersten und dem letzten Satz eines Theaterstückes große Bedeutung zu geben, und für mich bleibt einer der schönsten Anfangssätze: Es war einmal ...« Derlei Kommentare verhalfen ihr zu einem Vertrag mit dem zur FAZ-Gruppe gehörenden Kinderbuchverlag Edition Riesenrad. Dort erschien im letzten Jahr ihr erstes Kinderbuch »Der Name der Sonne«, in welchem die Sonne nicht nur streikt, sondern gleich »todtraurig im Bett liegt«, da sie keinen Namen habe. Heißt sie nicht »Sonne«? Jedenfalls ist dieses Buch verantwortlich dafür, dass Frau Riemann jetzt auch als Autorin reüssieren kann.

Doch damit nicht genug. Die leidenschaftliche Esoterikerin, die Steinen Kraft abgewinnen kann und einem »spirituellen Urerbe« ihre Gedanken verdankt, muss auch »transformieren«, was ihre »Seele« bewegt, da sie ansonsten »erstickt«. Das jedenfalls gab sie in der vorvergangenen Woche dem stern anlässlich ihrer ersten Solo-CD »Nachtblende« zu Protokoll.

Auf der Scheibe finden sich all das von Esoterik-Platten zu erwartende Gesäusel, geschmäcklerisch frisierte tibetanische Mönchs-Chöre und afrikanische Gesänge. Dazu gibt es von der Riemann selbst verfasste Texte, die lustig zwischen Reimlexikon, Nachtanbetung und Spätpubertät pendeln. Die CD erscheint Anfang November, kurz vor Riemanns 37. Geburtstag.

So weit, so stinknormal. Und damit hat die Riemann anhaltenden Erfolg. Da stört es auch nicht, dass sie in jedem Interview dasselbe sagt. Da gibt es immer jemanden, der zu blöd ist, entweder die Journalisten (die nicht mal Lessing lesen) oder das Land (das Zlatkos Singles kauft), sodass im Kontrast sie selbst als hoch intelligente Leistungsträgerin erscheint. Vergleiche mit berühmten Schauspielerinnen lässt sie sich nicht nur gefallen, sondern fordert sie heraus - auf ihrer CD gibt es ein Lied über Romy Schneider. Ihre Familie unterstützt sie, bei der CD ist es der Bruder (»Klar, Schwesterchen, das machen wir«), das Kinderbuch illustrierte die Schwester, bei Filmen hilft der Partner, überhaupt sind da die Freunde. So sind es immer die anderen, die Katja Riemann von einem Projekt ins nächste treiben. Sie selbst aber bleibt die zerbrechliche Seele und Künstlerin, der einfache zaudernde Mensch, der »Jeans, Stiefel, karierte Schlabberhemden« trägt, aber eben auch »abends gern glamourös« ist.

Doch ist sie dank ihrer Selbstdarstellung nicht nur normal, sondern zugleich als Star ganz oben, intellektuell vorneweg und voller Geheimnisse. Der Ruf einer Diva ist ihr also sicher. Da es Riemann sowohl an Witz als auch an Glamour mangelt, um wie die Schneider oder eben die Dietrich internationale Anerkennung zu finden, kann sie allerdings nur eine nationale Diva werden. Eine Marika Rökk.

Katja Riemann: »Nachtblende«. Columbia