Denis Johnsons »Schon tot«

Paranoia im Teich

In Denis Johnsons kalifornischem Altptraum sind alle schon tot. Trotzdem ist alles in Bewegung.

Man: »Did you hear what's happening in Europe?«
Woman: »You mean about the Olympics? I thought they were over.«
Man: »Yeah, they are over. I meant about that guy, Malkovich.«
Woman: »No, what's going on?«
Man: »That guy we bombed, Malkovich, got pushed out of power by the people where he is.«
Woman: »Oh. Where is that?«
Man: »Germany, or Russia, or something like that. But he's finally gone. It's good for democracy, I think.«

Dieser Dialog zum Machtwechsel in Jugoslawien - aufgezeichnet in den letzten Tagen in San Diego und um die Welt geschickt durch den rewired-Newsletter - könnte »Schon tot«, dem neuen Roman von Denis Johnson, entstammen. Dann allerdings wäre er frei von Komik und ohne die Einschätzung, ob irgendein Ereignis irgendwo gut ist für die Democracy oder nicht. Einfach nur so - in seiner Dummheit, in seiner Beschränktheit, in der damit einhergehenden souveränen Größe und in seiner schlichten Gewalttätigkeit.

Allerdings schreiben wir das Jahr 1990 und wir befinden uns nicht in San Diego, sondern einige hundert Kilometer weiter nördlich in Mendocino County, dem Norden Kaliforniens. Gerade haben die Vereinigten Staaten den Kalten Krieg gewonnen und bereiten sich auf die neue Weltordnung vor. Wo immer einer der Protagonisten das Restaurant eines Motels, eine Tankstelle oder eine Bar betritt, werden in den Nachrichten Truppenbewegungen vermeldet. Ab und zu unterhält man sich zwei Sätze lang darüber, ob George Bush nun dies tun wird oder jenes. Die immer wieder auftauchenden Meldungen über den bevorstehenden Golfkrieg bilden das Hintergrundgeräusch, eine Art Grundrauschen, vor dem Johnson seine Geschichte erzählt.

Eine Geschichte, die Johnson dem Gedicht »Poem Noir« von Bill Knott nachempfunden hat, das dem Roman auch angehängt ist und dessen Handlung ungefähr so geht:

Mann kommt nach Hause. Es regnet. Er sieht, wie sich jemand in seinem Teich ertränken möchte, stürmt heraus und rettet ihn. Geretteter ist aber entschlossen zu sterben. Also fragt Mann ihn, ob es ihn stören würde, das Leben auf dem elektrischen Stuhl zu beenden. Geretteter verneint. Also gibt Mann ihm den Auftrag, seine Frau umzubringen. Geretteter geht. Statt zum vereinbarten Zeitpunkt die Frau zu töten, lässt er sie leben. Stattdessen stirbt der Vater des Manns und sein Bruder wird ermordet. Der Verdacht fällt auf Mann. Er versucht, Geretteten zu finden und zu stellen. Sie prallen aufeinander, kämpfen, Mann stirbt und der Selbstmörder heiratet seine Frau.

Dieses Gedicht, das auch in Form eines Country- oder Blues-Song reüssieren könnte, transponiert Johnson in eine riesige Schauergeschichte: »A California Gothic« ist der Untertitel des amerikanischen Originals. Einige Dutzend Häuser, ein paar Kilometer Küste. Ein Haufen Verstrahlter zwischen einer Militärbasis und einem buddhistischen Kloster. Ein sozialer Mikrokosmos auf halbem Weg zwischen den explodierenden Computer-Industrien der neuen kalifornischen Gründerzeit im Süden und Seattle im Norden.

Im Zentrum steht die Familie Fairchild. Da gibt es den alten Patriarchen, Nelson Fairchild Sr., einen rücksichtslosen Repräsentanten der vergangenen Gründerzeit, einen Raubritter, der noch auf dem Sterbebett versucht, seine Konkurrenten in den Ruin zu treiben. Er besitzt ein Motel-Imperium und viele Hektar Wald mit riesigen, mehrere Hundert Jahre alten Redwood-Bäumen.

Da gibt es den Sohn des Patriarchen, Nelson Fairchild Jr., der sein Geld mit einer kleinen Grasplantage verdient, allerdings nicht genug, um die 92 000 Dollar bezahlen zu können, die er einem Geschäftspartner schuldet, weil er auf einem italienischen Flughafen eine ziemliche Menge Kokain ins Klo geschüttet hatte, die er sich nicht zu schmuggeln traute. Deshalb sind auch zwei Killer hinter ihm her. Um seine Schulden bezahlen zu können, braucht Fairchild das Erbe seines Vaters, der aber aus Hass auf seinen Sohn den ganzen Besitz seiner Frau überschrieben hat. Und es gibt William, den zweiten Sohn, der sich der Welt durch Wahnsinn entzogen hat, seitenlange Briefe voll kosmischer Paranoia an das Weiße Haus und die lokale Polizeistation schickt und in ein kleines Haus geflohen ist, wo er sich den Tag mit dem Herumschrauben an alten Autos vertreibt. Ein Haus, das er ausgewählt hat, weil er sich nur hier vor der Radarstrahlung einer nahe gelegenen Militärbasis sicher wähnt.

Fairchilds Ehefrau Winona hängt den ganzen Tag bei ihrer besten Freundin herum, ist eine Esoterikerin, die spiritistische Sitzungen veranstaltet und sich für ein Medium hält. Nelson Fairchilds Partner im Plantagen-Business heißt Clarence Meadows. Er ist ein anarchistischer Surfer auf der Suche nach der perfekten Welle, der sein Geld mit der Instandsetzung historischer Autos verdient und ständig auf der Flucht vor seinen Erinnerungen ist. Als GI in Beirut hat er sechs Libanesen im Nahkampf umgebracht.

Und: Carl Van Ness. Er versucht sich in Fairchilds Teich zu ertränken und wird als Killer engagiert, um Winona zu ermorden. Van Ness ist ein suizidaler Seemann, der in einem fort Nietzsche liest. Allesamt Personen, die irgendwann einmal, angelockt vom kalifornischen Glücksversprechen, ins Land gekommen sind und sich mittlerweile nicht mehr daran erinnern können. Allesamt Menschen, die am Ende sind. Zuviel Drogen, zuviel Gewalt, zuviele Geister, zuviel Verkommenheit. Kalifornien-Armageddon.

Alle sind in ständiger sinnloser Bewegung. Highway rauf, Highway runter. Verfolgen und verfolgt werden. Irgendwo hinfahren, wieder zurückkommen.

Genauso beweglich ist die Erzählperspektive. Mal ist es Nelson Fairchild, der versucht, seine Paranoia in den Griff zu bekommen. Mal ist es Van Ness, der sich vorstellt, schon tot und begraben zu sein, um so unangreifbar-übermenschlich in den Krieg ziehen zu können wie ein Samurai. Mal ist es der Dorfpolizist, der einige Monate später die Notizen von Fairchild findet und anfängt zu recherchieren, wer wohl Fairchild, seinen Vater und seinen Bruder umgebracht haben könnte. Und auch der Polizist ist eine dieser gestrauchelten Figuren: Auf der Flucht vor der Gewalt in Los Angeles ist er ausgerechnet in einer Gegend gelandet, wo er nicht einmal mehr auseinanderhalten kann, wer eigentlich die good guys sind und wer eingesperrt gehört.

»Schon tot« ist eine kalifornische Schauergeschichte. Überall die alten Bäume, der Nebel, der vom Meer kommt. Geister ergreifen Besitz von den Körpern der Lebenden. Menschen verwandeln sich in Dämonen. Gläubige knien in Motelzimmern vor den Betten nieder, um zu beten, bevor sie sich auf One-Night-Stands einlassen. Hochzeitszeremonien werden von Schamaninnen abgehalten. Tote sprechen durch die Münder von Medien. Und obwohl das der Gothic Novel nachempfunden ist, gibt es diese Geister und Dämonen: die Drogen, das Kloster, das Geld, das Militär, die Autos und die Waffen. Die Protagonisten sind samt und sonders tatsächlich verlorene Seelen, Kriegs- und Drogenveteranen, der menschliche Rest, den Gründerzeiten und Auslandseinsätze an verlassene Orte gespült haben, »in denen man« - wie es Carl Van Ness erscheint - »verschwinden konnte. Sie kamen ihm vor wie kleine Nickerchen, aus denen man womöglich nicht mehr erwachte.«

Denis Johnson: Schon tot. Alexander Fest Verlag, Berlin, 2000, 631 S., DM 49,80