Gender Studies an der Humboldt-Universität

Akademischer Eintopf

Gender Studies sind mehr als die Fortsetzung der Frauenforschung mit anderen Mitteln. Ein Blick auf einen Studiengang, der etliche Fächer umfasst.

Wie schmeckt eigentlich Gender? Der Focus weiß es. »Ein ungenießbarer Eintopf aus männerfeindlicher Verblendung, soziologischem Hochmut und linksradikalen Theorieresten«, beschreibt das Blatt den Studiengang Gender Studies an der Berliner Humboldt-Universität.

Nicht alles, was der Focus schlecht macht, ist automatisch gut. Für manche Studentinnen ist die Enttäuschung über den im Jahre 1997 eingerichteten Studiengang programmiert. Auf Handlungsanweisungen für linksradikale Politik treffen sie hier nämlich keineswegs, wohl aber auf ein paar Männer - Kommilitonen eben. Und die in den achtziger Jahren von der Frauenforschung vehement geforderte Anbindung der Theorie an soziale Bewegungen ist heute kaum mehr existent - vor allem mangels Bewegung.

Frau - und eben auch man - beschränkt sich auf die Wissenschaft. Jeglicher Thematisierung des Geschlechterverhältnisses droht deshalb heute nicht mehr der »Emanzen«-, dafür aber ein latenter Akademismus-Vorwurf.

Das lässt sich natürlich auch als positive Entwicklung beschreiben: »Die Entkoppelung von theoretischem Diskurs und politischem Handlungsentwurf ist ein geradezu notwendiger Prozess der Normalisierung professioneller, akademischer Wissenschaftsstandards in der Frauen- und Geschlechterforschung«, sagt die Soziologie-Professorin und wissenschaftliche Leiterin des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung Hildegard Nickel. Mit dem Wechsel von der in den siebziger Jahren begründeten Frauenforschung zur Auseinandersetzung mit dem Begriff Gender hat auch eine deutliche Einbindung ins akademische Feld stattgefunden. Es gilt das Primat der Wissenschaft.

Unklar ist nur, welcher Wissenschaft. Mit seinem Eintopf-Vergleich hat der Focus nämlich Recht. Außer den Einführungsveranstaltungen gibt es keine Seminare, die eigens vom Studiengang angeboten werden. Ansonsten sind die StudentInnen auf diverse andere Disziplinen verwiesen, in denen geschlechterrelevante Seminare angeboten werden. Gleich zu Beginn ihres Studiums müssen die StudentInnen einen möglichst breiten Einblick in verschiedene Fachbereiche nehmen. Ähnlich breit ist dann auch die methodische Ausrichtung der einzelnen Seminare. Diese Not wird an der Humboldt-Uni aber zunächst als Tugend verkauft: Interdisziplinarität heißt das Zauberwort. Sie erleichtere den StudentInnen der Gender Studies eine Kritik an den etablierten methodischen und inhaltlichen Vorgaben in den einzelnen Wissenschaftsbereichen.

Andererseits verdeutlicht dies tatsächlich die gegenseitige Bedingtheit der Konstruktion von Geschlecht: So beziehen die medizinischen Lehren von männlichen und weiblichen Körpern ihre Legitimation aus den durch Gesetze geschaffenen sozialen Fakten und umgekehrt. Querverbindungen dieser Art können helfen, das Geschlecht als Effekt wissenschaftlicher, sozialer und persönlicher Zuschreibungen zu begreifen. Und darum geht es schließlich bei den Gender Studies.

Die Etablierung des Begriffs gender begann mit der Unterscheidung zwischen biologischem (sex) und kulturellem (gender) Geschlecht. Damit sollte besser erfasst werden, wie ein Mensch überhaupt zur Frau (gemacht) wird. Begriffe wie Sozialisation und Patriarchat, mit denen die Frauenforschung arbeitete, um die Aufoktroyierung geschlechtlicher Normen zu bezeichnen, sind mittlerweile ausdifferenziert worden. Es wird seit langem versucht, Gegensätze wie Täter und Opfer, Natur und Kultur, männlich und weiblich, zu vermeiden. Spätestens seit Judith Butler wird der Zusammenhang zwischen einem vorgängigen, natürlichen Geschlecht und der dazugehörigen Rolle in Frage gestellt.

Stattdessen wird Geschlecht in den Kontext anderer Selbst- und Fremdzuschreibungen wie Ethnie und Klasse gestellt und deren historische und kulturelle Veränderbarkeit betont. Allerdings überwiegt thematisch wie personell hierzulande noch immer eine heterosexuelle, weiße und mittelständische Perspektive, obwohl gerade die Kritik an dieser Dominanz und die darin enthaltene Eindimensionalität zu den Veränderungen in der feministischen Forschung geführt hat. »Eine Sensibilisierung in Bezug auf Mehrheitsverhältnisse ist hier weniger ausgeprägt als in der US-amerikanischen Genderforschung«, meint Christina von Braun, die seit Jahren das Wechselverhältnis von Geschlecht und Geistesgeschichte erforscht. Allerdings nehme die Anzahl der Dissertationen zu, die sich mit Migration, Antisemitismus und Ethnozentrismus beschäftigen.

Denn beim Studiengang Gender Studies geht es nicht um die Fortsetzung der Frauenforschung mit anderen Mitteln. Es geht um die Sensibilisierung für die Entstehung von Wirklichkeit. Und daraus soll eine weitergehende Kritik am Subjekt- und Vernunftbegriff folgen, die vor allem aus poststrukturalistischen und psychoanalytischen Theorien entwickelt wird. So hat sich in den Gender Studies zum Beispiel eine unausgesprochene Konvention entwickelt: Die Auseinandersetzung mit Texten von Michel Foucault, Jacques Lacan oder Judith Butler wird zwar vorausgesetzt, in den Seminaren aber kaum geleistet.

Dass damit die Geistes-, Literatur- und Kulturwissenschaften dominieren, wird vor allem von den DozentInnen der »harten« natur- oder rechtswissenschaftlichen Fächer beklagt. Es gebe eine heimliche abstrakt-theoretische Hegemonie. Kleine Konkurrenzverhältnisse erhalten vielleicht die Freundschaft unter WissenschaftlerInnen, den StudienanfängerInnen aber erschweren sie den Einstieg in das weite und damit unübersichtliche Feld der Gender-Forschung. Für sie ergibt sich ohnehin das Problem, dass ihnen das grundlegende Wissen der Fächer fehlt, zwischen denen sie ständig wechseln, ja, wechseln müssen.

Das Mittel gegen diese Konkurrenzbildung heißt Team-Teaching-Seminar: zwei DozentInnen pro Kurs. Im Sommersemester boten die Kulturwissenschaftlerin Astrid Deuber-Mankowsky und die Jura-Dozentin Susanne Baer erstmals ein solches Gemeinschaftsprojekt an.

Gleichzeitig greifen die StudentInnen zu den auch in anderen Studiengängen üblichen Mitteln: Die älteren Semester organisieren Crashkurse für den Nachwuchs. Eine Fachschaft Gender Studies will es den zwischen den verschiedensten Instituten umherschweifenden StudentInnen außerdem etwas bequemer machen. Ein Austausch soll möglich werden: auf Veranstaltungen, in denen sonst zu kurz kommende lesbisch-schwule und Transgender-Themen überwiegen, oder auf Parties.

Und in dem eigens eingerichteten »Gender Café« gibt es vielleicht sogar eine Antwort auf die Frage, wie Gender schmeckt.