Die Jagd geht weiter

Die FPÖ sieht sich als eigentliches Opfer der »Spitzelaffäre« und bläst zum Angriff auf ihre Gegner.

Seit einigen Wochen kennt Österreich nur noch ein Thema: die so genannte Spitzelaffäre. Seitdem der ehemalige FPÖ-Funktionär Josef Kleindienst öffentlich über einen illegalen Spitzelring berichtete, sind die Freiheitlichen in einer Position, in der sie sich schon seit Jahren wähnen. Doch zum ersten Mal werden sie nun wirklich »verfolgt«, das heißt, es wurden rechtsstaatliche Untersuchungen wegen Daten- und Amtsmissbrauchs gegen führende Parteimitglieder eingeleitet. Diese sollen sich mithilfe der FPÖ nahe stehender Polizeibeamter Informationen über vermeintliche Gegner der Partei beschafft haben. Es wurde schließlich eine Sonderkommission eingerichtet, die nun die Vorwürfe überprüfen soll.

Täglich neue Beschuldigungen und Hinweise, die Aufnahme von Vorermittlungen gegen Jörg Haider sowie die Aufhebung der Immunität einiger Parteigrößen - wie etwa des Wiener Landesparteiobmanns Hilmar Kabas - bringen die Kommentatoren dazu, von einer schweren Krise der FPÖ zu sprechen. Aktuelle Meinungsumfragen scheinen diesem Befund Recht zu geben.

Die FPÖ schweigt allerdings keineswegs zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen. Sie reagiert vielmehr äußerst aggressiv auf die Beschuldigungen und sieht sich selbst als Opfer von Verleumdungen. Darin sind sich die Freiheitlichen durchaus treu geblieben: Schon ihr früheres Auftreten als Oppositionspartei war nicht der »berechtigte Hinweis auf bestehende Missstände«, wie dies auch von Kritikern immer gesehen wurde, sondern das Ergebnis einer pathischen Projektion der gesellschaftlichen und politischen Krise.

Die FPÖ präsentiert sich dabei als der demokratisch-faschistische Ausweg aus dieser Krise, indem sie mit ihrem permanenten Appell an das Kollektiv auf genau jene »Lösung« verweist, die der Nationalsozialismus vorexerziert hat, und an die sie sich unter heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen anschmiegen will. Sie hat an sich selber durchgeführt, was sie für Staat und Nation vorsieht: die Transformation in die schlagkräftige, stammesmäßig organisierte Bande. Dabei wird jene Umwandlung von Gesellschaft in Gemeinschaft angestrebt, die auch die nationalsozialistische Herrschaft kennzeichnete.

Doch während der historische Faschismus die Demokratie beseitigen wollte, weil ihr Reglement die Krise der Nation nicht bewältigen konnte, erkennt die FPÖ, dass die österreichische Gesellschaft, die auf den Resultaten der nationalsozialistischen Herrschaft aufbaut, den faschistischen Ansprüchen durchaus genügt.

So lässt sich seit Beginn der zweiten Republik das politische System in Österreich als eine Vereinheitlichung mittels massenhaft verbreiteten und staatlich verwalteten Rassismus beschreiben. Ebenso charakteristisch dafür ist die unbedingte Ausrichtung des Einzelnen auf das vorrangige Allgemeinwohl, während gleichzeitig das egoistische Einzelinteresse verteufelt wird.

Infolgedessen tritt, was historisch die faschistische Bewegung gegen die rechtsstaatlich vermittelte Herrschaft war, als Abbau von Filz, Proporz und Bürokratie und als Herstellung eines direkten, unvermittelten Verhältnisses von Volk und Führung, von Mob und Elite auf.

Diese Einheit von Volk und Führung stellt sich notwendig über eine pathische Projektion her. Das Bedürfnis nach dieser bedient Jörg Haider am konsequentesten. Die Vorwürfe gegen ihn und seine Mannschaft würden bloß »kranken Gehirnen« entspringen, polterte er beim Sonderparteitag in Villach am vergangenen Mittwoch. Die »Hetze der Zeitgeistmedien« stellen dabei neben »den Linken« jene Projektionsfläche dar, an der sich das Kollektiv die Widerwärtigkeit zersetzender, spalterischer Tätigkeit ausmalen soll. Man halluziniert sich als Opfer dunkler Mächte und perfider Charakterlosigkeit.

Die Inversion von Täter und Opfer ist in dieser Logik fest verankert: Jene, die nur berechtigterweise auf Missstände hingewiesen hätten, würden nun von den immer noch allmächtig phantasierten Überbleibseln der alten Ordnung, der »verkommenen und korrupten Filzdiktatur«, verleumdet und verfolgt. Entsprechend nimmt Haider die Beschuldigten der »Spitzeleien« in Schutz. Diese hätten doch nichts Unrechtes getan, sondern nur aus einem Notstand heraus, also in Notwehr, gehandelt.

Es wird also eine nationale Krise beschworen, in der es legitim sei, die Regeln des Rechtsstaates, mit denen jener nicht beizukommen sei, zu unterlaufen, um dem Souverän gegenüber den »linken Volksfeinden« zu seinem Recht zu verhelfen. Diese »Volksfeinde« seien es nun, die mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht den nationalen Rettungskurs der FPÖ zu verhindern suchten.

Solcherart wird eine Opferrolle imaginiert, die zur Handlung zwingt: Es gehe um eine »neue Form der politischen Verantwortung«, welche die Freiheitlichen in Zukunft tragen müssten. Es gehe um die Frage, »vor welcher Gefahr muss ich die mir anvertraute Gesellschaft schützen?« erklärte das »einfache Parteimitglied« Haider in Villach.

Sich derart als verfolgende Unschuld gerierend, wird zum Angriff auf jene geblasen, die den Vertretern des eigentlichen Volkswillens in die Quere zu kommen scheinen. »Ich trete nicht zurück«, so Haider weiter, »sondern wir eröffnen die Jagdsaison auf die Jagdgesellschaft«.

In diesem Aufruf zur Gewalt gegenüber den designierten Feinden trifft die FPÖ-Agitation sich wiederum mit dem historischen Faschismus. Dass die Angesprochenen den sublimen Inhalt der Argumentation verstehen und die oft verdeckten Andeutungen konsequent zu Ende denken, zeigt ein Vorfall, der sich erst kürzlich nach einer Parteiveranstaltung in Wien ereignete. Mehreren Beobachtern dieser Veranstaltung wurde nach deren Ende von Haider-Anhängern angepöbelt. Und unter Aussagen wie »drinnen wird geredet, draußen wird gehandelt« wurden sie krankenhausreif geprügelt.

Die FPÖ nutzt also die »Spitzelaffäre« dazu, ihr Ressentiment gegen Rechtsstaat und vermittelte Herrschaft auszuagieren und ihren Vorstellungen von einem unmittelbaren Bündnis von Volk und Führung zum Durchbruch zu verhelfen. Die Klagen, mit denen alle, die diesem Ziel scheinbar entgegenstehen, eingedeckt werden, dienen dazu, die Schlagkräftigkeit und Souveränität der FPÖ zu beweisen.

Ob diese Strategie erfolgreich ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Sollte die FPÖ bei den anstehenden Ermittlungen und den daraus eventuell folgenden Verfahren nicht unter starken Druck geraten, hätte sie die nötige Legitimation für ihr Notstandsprogramm erhalten.