Schlag und Gegenschlag

Die FPÖ steckt in ihrer schwersten Krise. Führung und Basis sind gespalten, der Koalitionspartner geht auf Distanz.

Eine alte österreichische Eigenheit ist das überbordende Verlangen nach Harmonie. Und wo ließen sich Zank und Zauder besser hinwegprosten als mit einem Glaserl Wein beim berühmten Heurigen? Das dachte sich auch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Also lud er die gesamte Regierungsmannschaft vorvergangene Woche zu einem gemütlichen Umtrunk in den nördlich von Wien gelegenen Weinort Hagenbrunn. Es kamen nicht nur die Minister, sondern auch Klubobleute, Landeshauptleute - und mittendrin natürlich Jörg Haider.

Der Anlass für den plötzlichen Gemütlichkeitsanfall des Kanzlers waren schwere Differenzen mit dem Koalitionspartner, denn die einschlägig erfahrene FPÖ ist in ihre bislang schwerste Krise geschlittert. Die Spitzelaffäre, die herbe Niederlage bei den Landtagswahlen in der Steiermark, die zu heftigen parteiinternen Auseinandersetzungen führte, und der nun schon dritte Rücktritt eines FPÖ-Ministers innerhalb von nur neun Monaten Regierungszeit: Die Freiheitlichen sind schwer angeschlagen. So schwer wie noch nie, seitdem Jörg Haider 1986 den Parteivorsitz übernahm.

Während FPÖ-Funktionäre dem ÖVP-Innenminister Ernst Strasser »Gestapo-Methoden« bei der Aufklärung der Spitzelaffäre vorwerfen und ihn öffentlich als »Judas« diffamieren, während Jörg Haider und FPÖ-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer nach ihrer Wahlniederlage in der Steiermark dem Koalitionspartner die Schuld am eigenen Versagen geben und mit Neuwahlen drohen, macht Kanzler Wolfgang Schüssel nur eines: Er schweigt beharrlich.

Einen Mangel an taktischem Kalkül kann man Schüssel bestimmt nicht vorwerfen. Seit den Nationalratswahlen im Oktober 1999 taktiert Schüssel, und niemand möchte bislang die Prognose wagen, dass seine Planspiele einmal scheitern könnten. Der Regierungspartner macht es ihm aber auch sehr leicht, sich zurückzulehnen und genussvoll abzuwarten, denn die FPÖ ist auf dem besten Wege, sich von innen her aufzulösen.

Auch beschwichtigende TV-Auftritte der FPÖ-Führung können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Basis und Regierungsteam gespalten sind. Eskaliert ist der parteiinterne Streit bei der Landtagswahl in der Steiermark vor zwei Wochen. Der ehemalige Landesvorsitzende Michael Schmid, der gleichzeitig in Wien Verkehrs- und Infrastrukturminister war, personifizierte den chaotischen Wahlkampf in Österreichs zweitgrößtem Bundesland. Die Wählerschaft rächte sich, erstmals erlitt die FPÖ enorme Stimmenverluste.

Dazu kommt das von der Bundesregierung abgesegnete Sparprogramm, das vor allem dem von Jörg Haider umworbenen »kleinen Mann« in den nächsten zwei Jahren viel Geld aus der Tasche ziehen wird. Karl-Heinz Grasser steht als FPÖ-Finanzminister dafür in der Öffentlichkeit gerade. Minuspunkte für das Sparpaket wurden allein den Freiheitlichen angerechnet, die ÖVP schnellte in der Wählergunst nach oben. Und in der FPÖ kam es zum Tumult.

Haider, das wurde in den letzten Wochen deutlich, hält die Situation der Regierungspartei FPÖ für beängstigend und sieht sein Lebenswerk bedroht. Darum war auf dem eiligst einberufenen Sonderparteitag am vergangenen Mittwoch in Villach, Kärnten, auch wieder einmal ein Rundumschlag fällig. »Meine Freunde, das System hat uns den Krieg erklärt«, donnerte Haider dort seinen treuen Gefolgsleuten entgegen. »In diesen schweren Zeiten« müsse man »die Gesinnung hochhalten - am Stammtisch, am Arbeitsplatz. Wir müssen jetzt zusammenstehen. Wir müssen aneinander glauben«, beschwor er seine Anhänger.

Doch die Gefahr lauert mittlerweile überall. Die Zerstörung der FPÖ geht schon längst nicht mehr nur von den »roten Brüdern« in Wien aus. Sämtlichen Parteien - auch seiner eigenen - drohte der Kärntner Landeshäuptling. Vom Koalitionspartner dürfe man nicht allzu viel erwarten, so Haider, die Partei müsse nun eine klarere Linie verfolgen.

Damit war die »Wir haben uns wieder lieb«-Botschaft der Vizekanzlerin beim Heurigenbesuch in Hagenbrunnn mit einem Schlag vom Tisch. Inzwischen rüstet die FPÖ, wie es »His Master's Voice« Peter Westenthaler, Klubobmann der Freiheitlichen, so trefflich formulierte, zum »ultimativen Gegenschlag«. Zielscheibe ist abermals der Innenminister. Gegen dessen obersten Beamten, den Generaldirektor für öffentliche Sicherheit, Erik Buxbaum, reichte die FPÖ Amtshaftungs-, Disziplinar- und Amtsmissbrauchsklage ein, weil sie ihm Parteilichkeit bei den Ermittlungen in der Spitzel-Affäre vorwirft. Selbst »parlamentarische Maßnahmen«, wie etwa ein Misstrauensantrag seitens der FPÖ gegen den ÖVP-Innenminister, werden nicht mehr ausgeschlossen.

Dass Haider nun vorläufig doch nicht, wie anfangs gemutmaßt, in die Bundespolitik zurückkehren wird, heißt jedoch noch lange nicht, dass er es nicht dennoch jederzeit tun könnte, wenn ihm danach wäre. »Ich bleibe in Kärnten«, verkündete er in Villach, aber das hat bei Haiders Unberechenbarkeit gar nichts zu bedeuten. Wie viel Wert seinem Gelöbnis aus Kärnten tatsächlich beizumessen ist, wird man nach den Kommunalwahlen in Wien im kommenden Frühjahr und im Burgenland Anfang Dezember sehen. Sollte die FPÖ wiederum herbe Niederlagen erleben, wird Haider abermals einschreiten müssen. Dann vielleicht noch heftiger. Und dass es Verluste geben wird, ist absehbar. Denn Haiders Statthalter haben einen schweren Stand, die Spitzel-Affäre hat lokale Spitzenfunktionäre bereits ihre Immunität gekostet, und Berichte der Staatsanwaltschaft bestätigen die gegen sie erhobenen Vorwürfe. Was, wenn die Herrschaften unmittelbar vor den Wahlen in Untersuchungshaft gesteckt werden sollten?

In diesem Fall wird auch Haider kaum etwas ausrichten können. Er selbst scheint in den Datenmissbrauch-Skandal verstrickt zu sein; womöglich ist das sogar der eigentliche Grund für sein derzeitiges Unwohlsein. Und wenn Jörg Haider einmal schlechte Laune hat, dann wird es nicht nur für den Koalitionspartner unangenehm. Besonders FPÖ-Mitglieder müssen dann um ihre Jobs zittern. Haiders einstige Lieblingskinder werden plötzlich zu leicht entbehrlichen Figuren, seine Positionen werden gegen den Willen des Regierungsflügels durchgedrückt, selbst Minister sind vor den Angriffen aus Klagenfurt nicht gefeit.

Worauf es Haiders Partei - und das ist sie seit vergangenem Mittwoch wieder mehr als vorher - tatsächlich anlegt, ist schwer zu ergründen. Denn in Wahrheit kann sich keine der beiden Regierungsparteien - am wenigsten die FPÖ - baldige Neuwahlen leisten. Also wird FPÖVP wohl weiter bestehen, mit einem coolen, taktierenden Kanzler Schüssel, einem tobenden, unzufriedenen Haider, mit FPÖ-Ministern, die im Monatstakt ausgewechselt werden, mit Funktionären, die mit einem Bein im Gefängnis stehen - und einer FPÖ, der nach vielen Jahren höchst erfolgreicher rechtspopulistischer Oppositionspolitik nun die Rechnung für ihre Regierungsunfähigkeit präsentiert wird. Womöglich möchte Schüssel gerade das beweisen.

Dass die Freiheitlichen in eine Sackgasse geraten sind, haben mittlerweile sogar ihre Stammwähler begriffen: Mit ihrem Jörg ist ein Crash der schwarzblauen Regierungspolitik unausweichlich, ohne Jörg ist die FPÖ nicht mehr ihre Partei. Das weiß auch Gentleman Wolfgang Schüssel - er genießt und schweigt.

Nur manchmal möchte Schüssel, der lange Zeit im Schatten der großen SPÖ-Kanzler stand, doch etwas sagen. Dann gibt er der Jerusalem Post ein Interview, in dem er das »souveräne Österreich« als »erstes Opfer von Nazi-Deutschland« bezeichnet und damit den 1993 vom damaligen SPÖ-Kanzler Franz Vranitzky eingeleiteten Normalisierungsprozess zunichte macht. Dann fällt es doch wieder auf, dass Schüssel wohl nicht zufällig mit Leuten koaliert, die im restlichen Europa als rechtsextrem gelten.