Ärztliche Schweigepflicht im Fußball

Verletztes Kapital

Der Umgang mit dem Gehirntumor Heiko Herrlichs wirft die Frage auf, ob die ärztliche Schweigepflicht auch im Fußballgeschäft gilt.

Die Behausungen von Hardcore-Fußballfans ähneln einander frappant. Von der Bettwäsche bis hin zum Aschenbecher ist jeder Gegenstand, der auch nur irgendwie bedruckbar erscheint, mit dem Emblem des geliebten Vereins verziert. An den Wänden ist kein Platz mehr, schließlich hängen dort Spielplakate, Autogrammkarten, Poster, Schals und vom Lieblingsspieler signierte Trikots - die ganze verfügbare Palette also. Vereins-Aktien galten daher jahrelang nur als willkommene Erweiterung der gängigen Fußballdevotionalien. Gerade gut genug, sie einzurahmen und damit den letzten freien Platz an der Wand zuzuhängen.

Auch Börsenexperten waren sich lange Jahre einig, dass die Vereins-Emissionen nur zum Wandschmuck taugten. Zu unwägbar erschien ihnen das Geschäft mit der Kickerei. Nach jedem Punktverlust würden die Aktien einer Fußball-AG ins Bodenlose rutschen, eine vernünftige Bewertung sei aufgrund des unberechenbaren Verhaltens der Fans ohnehin nicht möglich. Und überhaupt, wer außer Menschen mit etwas freiem Platz an der Wand wollte schon so etwas kaufen wie Fußball-Aktien?

Inzwischen beantwortet sich diese Frage von selbst: dieselben nämlich, die Anteile von Beate Uhse, TV-Rechtehändlern und Telefondienstanbietern erwerben. Oder von anderen, ganz normalen Wirtschaftsunternehmen.

Dass Fußballvereine aber doch nicht so normal und professionell sind, wie sie sich gerne in der Öffentlichkeit präsentieren, zeigte Mitte letzter Woche der Fall von Heiko Herrlich. Ohne Not annoncierte sein Club, Borussia Dortmund, dass der Fußballstar an einem - wohl gutartigen - Hirntumor erkrankt sei. Während mit diesem Statement zumindest die mangelnde Fitness von Herrlich erklärt werden konnte, warf die plötzliche Mitteilung an anderer Stelle Fragen auf, an die im ganzen Trubel um den Börsengang des BVB niemand gedacht hatte.

Aktiengesellschaften unterliegen schließlich bestimmten gesetzlichen Regelungen, darunter auch der Veröffentlichungspflicht. Nach Paragraph 15 des Wertpapierhandelsgesetzes sind Emittenten von Wertpapieren, die in Deutschland zum Handel an einer Börse zugelassen sind, zur umgehenden Offenlegung von Tatsachen verpflichtet, die »geeignet« sein könnten, »den Börsenpreis der zugelassenen Werpapiere erheblich zu beeinflussen«. Vor der »unverzüglichen« Veröffentlichung müssen die Geschäftsführungen der Börsen, an denen das Papier gehandelt wird, und das Bundesaufsichtsamt für Wertpapierhandel informiert werden.

Erst danach wird die Information veröffentlicht, entweder in einem der Börsenpflichtblätter oder in einem »elektronisch betriebenen Informationsübermittlungssystem«. Ursprünglich war diese Vorschrift gedacht, um Insidergeschäfte zu verhindern. Doch nach der Erkrankung Herrlichs fragt man sich, ob ein Verein die schwere Krankheit eines Spielers überhaupt öffentlich bekannt gegeben und die ärztliche Schweigepflicht von einem Wertpapiergesetz ausgehebelt werden darf?

Herrlich selbst habe darauf bestanden, dass der Verein seine Krankheit bekannt gebe, hieß es dazu aus Dortmund.

Was aber wäre gewesen, wenn Herrlich nicht zugestimmt hätte? Das WpHG sieht für Aktiengesellschaften auch Ausnahmen von der Veröffentlichungspflicht vor. Dann nämlich, »wenn die Veröffentlichung der Tatsache geeignet ist, den berechtigten Interessen des Emittenten zu schaden«. Da ein kranker Spieler nur schwer verkauft werden kann, könnten genaue Informationen über seinen Gesundheitszustand der AG zwar schaden. Doch Kicker werden vor einem Transfer immer genau untersucht und entbinden die Ärzte dann gegebenenfalls von ihrer Schweigepflicht.

Musste der BVB Herrlichs Krankheit also wirklich annoncieren? Ein Mitarbeiter des Deutschen Aktieninstituts erklärte im Spiegel, dass die Veröffentlichungspflicht in jedem Falle wirksam werde, wenn Kursschwankungen »von fünf Prozent nach oben oder nach unten« befürchtet werden. Das gelte auch für Sportvereine, allerdings nur bei wichtigen Spielern. Verletzungen von »Ersatzspielern aus der zweiten oder dritten Reihe« seien nicht kursrelevant.

Franz Böhmert, Mitglied des Aufsichtsrats von Werder Bremen und Ärztlicher Direktor des Zentralkrankenhauses Links der Weser, sieht Schweige- und Veröffentlichungspflicht ebenfalls miteinander kollidieren. Das Fußballgeschäft sei sowieso »eine Grauzone«, sagte er im Tagesspiegel und hat damit wohl Recht, denn in keinem anderen Gewerbe plaudern Vorgesetzte derart unbefangen öffentlich über den Gesundheitszustand und die Krankheiten ihrer Arbeitnehmer. Vereinsärzte, die die Presse immer wieder mit Bulletins über die aktuellen Leiden der Stars versorgen, werden nur ganz selten gefragt, ob sie auch tatsächlich von der Schweigepflicht entbunden wurden.In Bremen, so Böhmert, »darf nur der Spieler über seine Krankheit reden«. Bei den meisten anderen Vereinen ist das anders.

»Persönlich denke ich, das menschliche Gut steht höher als die Informationspflicht. Aber, verflixt, ich muss ja auch Schaden vom Verein abwenden. Was passiert denn, wenn ich anschließend eine Welle von Schadensersatzklagen habe?« fragt Böhmert. Wäre Werder Bremen eine Aktiengesellschaft, sähe sich auch Böhmert »in einer Zwickmühle«.

Immerhin erklärte das Aufsichtsamt für den Wertpapierhandel, dass die Veröffentlichungspflicht für Fußballvereine ebenso gelte wie für jedes andere an der Börse gehandelte Unternehmen auch. Deshalb müsste Borussia Dortmund beim Verschweigen wichtiger Informationen ebenfalls mit einem Bußgeld bis zu drei Millionen Mark rechnen.

Im Falle von Verletzungen oder Krankheiten, die den Kurs beinflussen könnten und die daher das Risiko von Insidergeschäften bergen, seien die Vereine dazu verpflichtet, eine Mitteilung herauszugeben - jedoch nur, wenn ein wichtiger Stammspieler betroffen ist. Ersatz-Kicker hingegen können krank werden, ohne dass sie in einem der Börsenpflichtblätter erwähnt werden; ihre Verletzungen schätzt das Aufsichtsamt als nicht kursrelevant ein.

Diese grundsätzliche Stellungnahme wird jedoch nicht verhindern, dass an jedem Wochenende Verletzungen und Krankheiten von Kickern bis hinunter in die Kreisklasse auf Pressekonferenzen erörtert werden - ob mit oder ohne Entbindung des behandelnden Arztes von der Schweigepflicht. Wer schweigt, macht sich nämlich schon verdächtig. Wilde Mutmaßungen erboster Journalisten, u.a. über das Privatleben sind dann meist die Folge, die oft viel schlimmer sind als die tatsächliche Verletzung. Im Fall von Heiko Herrlich ist sich Franz Böhmert sogar fast sicher, dass die Veröffentlichung der genauen Diagnose aufgrund des großen Pressedrucks der einzige Ausweg für Spieler und Verein gewesen sei, »denn nur so konnte man vermeiden, dass es die abenteuerlichsten Spekulationen gab«.