Nick Tosches' Sonny-Liston-Biographie

Boxen, nicht reden

In Nick Tosches' Sonny-Liston-Biografie findet sich die bislang intelligenteste Kritik an Muhammad Ali.

Sonny Liston war Weltmeister im Schwergewichtsboxen, ist also eigentlich eine prominente Person. Gleichwohl scheint der Mann, den Muhammad Ali umhauen musste, um das zu werden, als was er bis heute gilt - einer der größten Boxer des vergangenen Jahrhunderts - auf eine bemerkenswerte Weise nicht zu existieren. Über Liston gibt es hierzulande und auch in den boxsportlich gewiss hundertfach kompetenteren USA nur bruchstückhaftes Wissen: Liston war Analphabet, er war eine Marionette in der Hand der Mafia, er ist tot. Wir wissen über Sonny Liston im Grunde nur das, was Muhammad Ali über ihn sagte: Er sei ein »großer hässlicher Bär«.

Von Liston selber kam nichts, was diesen Eindruck hätte korrigieren können. Es scheint, dass er sich durch seinen Analphabetismus auch dem kritischen, sich mit dem Boxsport beschäftigenden Journalismus und Essayismus entzogen hat. Über was sollte sich ein an Ali geschulter Boxintellektueller schon mit Liston unterhalten, wenn er denn noch lebte? Sonny Liston war, so könnte man es heute formulieren, ein Diskursverweigerer.

Jüngst erschien die deutsche Ausgabe eines US-Buches über das Leben und den ungeklärten Tod des Sonny Liston. Es trägt nicht nur einen ungewöhnlichen Titel - »Der Teufel und Sonny Liston« -, es ist auch ungewöhnlich und exzellent. Nick Tosches, ein New Yorker Autor, der u.a. für Vanity Fair schreibt, hat das Leben seines Jugendidols recherchiert und, soweit es möglich war, rekonstruiert. Heraus kam mehr als nur die - für sich schon interessante - Darstellung eines bestimmten Submilieus der schwarzen US-Bevölkerung.

Charles L. Liston, aus Gründen, die keiner kennt, »Sonny« gerufen - ein Spitzname, für den es unzählige Urheber zu geben scheint -, wurde irgendwann zwischen 1926 und 1933 geboren, eine Geburtsurkunde existiert nicht. Er wurde auf einer der Plantagen geboren, wo in den zwanziger und dreißiger Jahren faktisch die Sklaverei fortbestand, nur eben mit ein bisschen Bezahlung. In diesen Verhältnissen verliehen Familienbande keine Stabilität. Die Väter zogen oft einfach fort, die Kinder wurden von den Frauen so gut es ging allein groß gezogen. Die Geschwister von Sonny Liston kannten einander kaum, er selbst wusste auch nicht, wie viele er eigentlich hatte. Zu seiner Beerdigung kam nur ein Bruder, der auf der Plantage zurückgeblieben war.

Raubüberfälle mit Kumpels brachten Liston früh ins Gefängnis, und trotz aller rassistischen Schikanen in US-Knästen in den fünfziger Jahren: Dies war sein erster Kontakt zur Zivilisation. Liston lernte hier boxen, katholische Geistliche kümmerten sich um ihn. Die Finanzen übernahmen schnell Manager, die der Mafia nahe standen. Kein Wunder, das US-Profiboxen wurde in den vierziger und fünfziger Jahren von der Promotervereinigung International Boxing Club kontrolliert, die fest in der Hand der Mafia war.

Sonny Liston war ein K.O.-Schläger, er hatte die größten Fäuste in der Schwergewichtsszene. Er boxte sich hoch und schaffte das, was die vermeintlich Guten in der US-Gesellschaft verhindern wollten: Er bekam im September 1962 einen WM-Kampf gegen Floyd Patterson, den schwarzen Weltmeister, den auch das weiße Establishment mochte. Liston schlug den verängstigten Patterson in der ersten Runde K.O., den Rückkampf im Juli 1963 gewann Liston wieder durch K.O. in der ersten Runde.

Damit Liston diesen sportlichen Höhepunkt erreichen konnte, hatte er sich von seinen Mafia-Kontakten lossagen müssen. Das Patterson-Management war so mächtig, dass es dem verhassten Herausforderer sogar einen neuen Manager stellte. Während sich die zum Teil im Gefängnis einsitzenden Mafia-Promoter um Frank Carbo noch bemühten, ihre Macht zu behalten bzw. wieder zu erlangen, trat mit der Person des jungen und rotzfrechen Cassius Clay ein neuer, durchaus auch halbseidener Akteur im Promotergeschäft auf: die Nation of Islam, zu der Clay konvertierte. Der junge Muhammad Ali, der damals noch Cassius Clay und kurzfristig Cassius X hieß, gilt dem Liston-Biografen Tosches als »ein erwachsener Mann, der sich kindisch benahm«, er sei »ein dreistes, aber liebenswertes Kind«, vor allem dienten er und sein großes Mundwerk »als Unterhaltung des edlen Weißen«, er war »ein Kinderstar im Boxring«.

Nick Tosches unterscheidet sich vom linksliberalen Mainstream. Er mag Ali nicht. Trotz Alis sympathischer und auch bei vielen Schwarzen populären Art, so Tosches, »hatte er nichts Komisches an sich und seine Auftritte waren einfältig. Liston dagegen besaß einen wesentlich schärferen, subtilen Humor. Eines Tages in Philadelphia auf dem Weg zum Gericht ersuchte er seinen Anwalt sicherzustellen, dass George Katz (sein damaliger Manager; M.K.) ðzehn Prozent vom SaftÐ bekäme, falls er je auf dem elektrischen Stuhl landen sollte. Er war nicht wirklich lustig, aber sein Humor war heilsam.«

Ali dagegen habe einen »ermüdenden und anstrengenden Humor«, Tosches klagt über Alis »harmlose und eintönige Verspieltheit und seine gekünstelte Verwegenheit«, die »ganz nach dem Geschmack der Medien jener Zeit« gewesen sei. Der junge Ali, oder genauer: Cassius Clay, »war ein guter, sauberer Junge der Mittelklasse, der Amerika keine Schande und Feindseligkeit bescherte«.

Als aus Clay Muhammad Ali geworden war, das Mitglied der Nation of Islam, der Freund von Malcolm X, der Wehrdienstverweigerer, der zur Empörung der Mehrheit in der US-Bevölkerung sagte, er habe keinen Ärger mit dem Vietkong, »als sich sein Image wandelte und der Magen der mittelmäßigen Masse ihn ausspie, wurde er zum Liebling einer elitären Mittelmäßigkeit, einer weißen Intelligenz, die im Boxsport Bedeutung und Metapher suchte. Im Gegensatz zu Sonny, der Schriftsteller missachtete und verhöhnte, kannte Clay ihren Wert und war ihnen gefällig. Viele jener Autoren, die nicht besser schreiben konnten als boxen, fanden in ihm einen willigen und geeigneten Komplizen für ihre eingebildete Intelligenz und den Betrug an sich selbst und anderen. Durch Clay und mit seiner unausgesprochenen Zustimmung waren sie imstande, die gezinkten Karten auszuspielen - die Traumkarten der Männlichkeit, des Verständnisses der Rassen, der herausfordernden Empfindsamkeit und des Bandes zwischen Schriftsteller und Kämpfer, das in Wirklichkeit kein Band der Seele, sondern eines der Fantasie war.«

Tosches analysiert die zwei großen Boxkämpfe zwischen Ali und Liston: Der erste fand am 25. Februar 1964 in Miami Beach statt. Liston blieb zu Beginn der siebten Runde einfach sitzen. Angeblich hinderte ihn eine Schulterverletzung am Weiterkämpfen. Tosches trägt viele Argumente vor, warum die Geschichte rund um die verletzte Schulter unglaubwürdig ist; des Weiteren verweist er darauf, dass einige Tage nach dem Kampf, der Clay/Ali zum Weltmeister machte, ein Vertrag auftauchte, den Alis Management mit den mafiösen Promotern aus Listons Dunstkreis geschlossen hatte.

Kann er den ersten Ali-Liston-Kampf nur als »wahrscheinlich verschoben« bezeichnen und muss er vor allem zugeben, dass vermutlich Ali selbst von der Absprache nichts wusste, so war, wenn man Tosches glaubt, der zweite WM-Kampf zwischen den beiden »nicht nur eine Schiebung, er war eine zur Schau gestellte Schiebung.« Am 25. Mai 1965 schlug Ali in Lewiston Sonny Liston in der ersten Runde K.O. Tosches schreibt: »Der offenkundig abgesprochene Kampf schien auf die Einschüchterung durch eine Legion von Black Muslims zurückzuführen zu sein.«

Nach diesem Abgang von der großen Bühne begann das Ende des Boxers Sonny Liston. Noch ein paar verschobene Kämpfe, noch paar Mal wurde er als der dumme Nigger rumgereicht. Unter ungeklärten Umständen starb Sonny Liston am 30. Dezember 1970 - vermutlich an einer Überdosis Heroin, obwohl er zwar soff wie ein Loch, aber eine Riesenangst vor Spritzen hatte.

Nick Tosches hat mit seinem Buch Bemerkenswertes geschafft. Er zeichnet das Leben des großen Boxers und unverstandenen Menschen Sonny Liston so nach, dass er, der doch im Grunde nur boxerisch kommuniziert hat, auf einmal verstanden werden kann. Ob Tosches' Interpretation stimmig ist, lässt sich schwer beurteilen, sie ist immerhin sehr intelligent, und sie ist die einzige. Und sie ist auch die bislang klügste linke Kritik an Muhammad Ali.

Nick Tosches: Der Teufel und Sonny Liston. Aufstieg und Fall einer Boxlegende. Heyne-Verlag, München 2000. 311 S., DM 39,90