Fans von Alemannia Aachen protestieren gegen ihren Verein

Der Dreck schweigt

Die leidensfähigen Fans von Alemannia Aachen haben zum ersten Mal gegen ihren Verein protestiert.

Davon, wie sich Fans an Spieltagen verhalten sollen, haben die meisten Fußballvereine klare Auffassungen. Der Anhänger soll brav seinen Eintritt bezahlen, die angebotenen Club-Devotionalien kaufen, im Stadion dann hauptsächlich singen und gute Laune verbreiten und nach dem Spiel möglichst wenig Abfall hinterlassen.

So sieht man das auch beim Zweitligisten Alemannia Aachen. Der Verein, der 1990 in die Regionalliga abstieg und erst in der letzten Saison wieder zurückkehrte, lebt hauptsächlich in der Vergangenheit. Gern erinnert man sich an die Saison 1968/69. Damals wurde man Tabellenzweiter der Bundesliga. In der folgenden Saison stieg der Vizemeister sang- und klanglos mit 17 Punkten und 83 Gegentoren in die damalige Regionalliga West ab, wovon sich der Verein bis heute nicht erholt hat. Denn allen in Aachen ist klar, dass die Alemannia ein natürliches Recht auf Erstklassigkeit hat, die zu Saisonbeginn unweigerlich beschworenen Aufstiegsträume platzten jedoch bisher spätestens in der Mitte jeder Spielzeit.

So sind die Fans von Alemannia Aachen ungewöhnlich leidensfähig. Von ihrem Verein, der nicht einmal über ein eigenes Fanprojekt verfügt, werden sie nicht ernst genommen, symptomatisch dafür ist eine Geschichte, die sich kurz vor dem Abstieg im Jahr 1990 bei einer Pressekonferenz ereignete. Damals, nach einer der vielen Niederlagen, wollte ein betrübter älterer Fan wissen, wie sich das Präsidium die Zukunft des Vereins vorstelle. Die Antwort kam ebenso prompt wie barsch: »Sie sind doch nicht von der Presse!« Erst als ein Vertreter der taz die Frage aufgriff, kam die Antwort, dass man alles im Griff habe.

Immerhin, zehn Jahre später war der Wiederaufstieg geschafft. Aber was auch immer das erklärte diesjährige Ziel war - vorausgesetzt, dass Aachen sich nicht geändert hat, war es sicher der Aufstieg in die erste Liga -, erreicht wird es wohl nicht. Stattdessen könnte der Verein noch absteigen. Für die Fans stehen die Schuldigen an der Misere fest: Präsidium und Trainer. Das ist nichts Besonderes, denn überall müssen sich Offizielle und Übungsleiter nach Niederlagenserien solche Beschuldigungen der Fans anhören. Aber die Alemannia-Fans haben wohl Recht. Trainer Eugen Hach gilt in den meisten Sportredaktionen außerhalb Aachens als gleichermaßen hart wie unfähig, der neue Präsident hat nur wenig Erfahrung mit der Leitung eines Vereins.

In einer solchen Situation wären die meisten Clubs sehr froh darüber, dass die Fans trotzdem zahlreich und unverdrossen Heimspiele besuchen und die Mannschaft sogar auswärts anfeuern. Vielleicht würde man sich sogar die Kritik der Anhänger anhören und versuchen, etwas zu ändern. Nicht jedoch bei der Alemannia. Drei Tage, nachdem man in Oberhausen mit 0:3 verloren hatte, musste der Webmaster Wolfgang Pomp auf Anordnung des Präsidiums das Diskussionsforum des Vereins schließen. »Nachdem die Handhabung in den letzten Jahren sehr großzügig war, haben leider einige Poster dies ausgenützt, um Offizielle des Vereins zu beleidigen oder zu beschimpfen«, erklärte der Verein. Solch »imageschädigendes Verhalten« könnte »in dieser Form nicht hingenommen werden. Bereits überregionale Medien haben darüber berichtet.«

Was war passiert? So genau weiß das niemand, nicht einmal Alemannia-Präsident Hans Bay, der erklärte, »Dreck« lese er nicht. Auch Ingo Deloie vom Alemannia-Stammtisch, einem lockeren Zusammenschluss antirassistischer Fans, kann sich diese Maßnahme nicht erklären: »Der Verein hat widersprüchliche Gründe für die Schließung des Diskussionsforums angegeben. Angeblich seien nach der Niederlage gegen Oberhausen Vereinsoffizielle beleidigt worden, was gut möglich ist, allerdings werden solche gegen die Netiquette verstoßende Postings durch Webmaster Pomp zuverlässig gelöscht. Diese Art der Zensur wird von der großen Mehrheit der User klar unterstützt. Es gab allerdings ein Posting, das mit der Frage nach Eugen Hachs Adresse betitelt war, aber der Poster hat es im weiteren Text deutlich als Scherz gekennzeichnet.«

Die Fans wollten das nicht hinnehmen, unter dem Motto: »Der Dreck schweigt« riefen sie zum Protest auf. Zehn Minuten lang sollte, so hatte es sich der Alemannia-Stammtisch (www.alemanniafans-online.de) vorgestellt, die Mannschaft beim Heimspiel gegen Mainz 05 von den Zuschauern angeschwiegen werden.

Mit Erfolg, wie Deloie erklärt: »Beim Verteilen der Flugblätter vor dem Stadion sind wir nur ganz vereinzelt mit Unmutsäußerungen bedacht worden, die mehrheitlich von älteren Zuschauern ausgingen. Auch die Haupttribüne hat sich geschlossen an dem Protest beteiligt. Da wir die Flugblätter vor dem Stadion verteilt haben, gab es mit dem Ordnungsdienst keinerlei Schwierigkeiten; auch Transparente wurden nicht konfisziert.«

Nach der Schweigezeit wurde die Mannschaft wieder angefeuert, sie gewann sogar. Eigentlich hätte danach alles in Ordnung sein können. Die Spieler jedoch verabschiedeten sich demonstrativ nicht von ihren Fans. Immerhin: Vergeblich war der Protest nicht. Offenbar nimmt der Verwaltungsrat des Vereins, dessen Vorsitz Aachens Oberbürgermeister Dr. Jürgen Linden innehat, die Proteste zum Anlass, stärker in die Arbeit des Präsidiums einzugreifen; so wurde bekannt, dass der Verwaltungsrat eine stärkere Kontrolle über die finanziellen Belange der Alemannia und die Arbeit des Präsidiums ausüben will. Des Weiteren ist für den kommenden Donnerstag ein Fantreffen einberufen worden, bei dem das Präsidium und Eugen Hach anwesend sein werden und die Fans die Möglichkeit haben sollen, Kritik zu äußern.

Für Ingo Deloie vermitteln die moderaten Äußerungen von Eugen Hach und der Vereinsspitze den Eindruck von Nachdenklichkeit. »Man gesteht sogar Fehler ein, vor allem, was die Öffentlichkeitsarbeit und die Auswärtsauftritte der Mannschaft angeht. Wie ernst es den Verantwortlichen damit ist, müssen wir abwarten.«