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Integration lautet die Maxime der deutschen Einwanderungspolitik, die für MigrantInnen Assimilation bedeutet. Ein Rückblick.

Zum ersten Mal in der Geschichte der BRD sind alle Parteien darin einig, dass sie Einwanderung zulassen müssen. Doch die Debatte konzentriert sich auf die Frage nach der »Integrationsfähigkeit« von Migranten und Migrantinnen, die sich an die herrschenden »Normen und Gepflogenheiten« anpassen sollen, wie es etwa die CSU in ihren »Thesen zur Zuwanderungspolitik« formuliert. Als zentrale Norm, die das Abstammungsprinzip zu ersetzen scheint, gilt die deutsche Sprache. Auch darin sind alle Parteien einig.

Auf die normalisierende und normierende Funktion der Integration zu setzen, hat in Deutschland eine lange staatspolitische Tradition. Gegen Ende des letzten Jahrhunderts entwickelte sich mit dem Bismarckschen Sozialversicherungssystem ein neues Konzept der sozialen Regulation, das den Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit befrieden, die Folgen der Armut kompensieren und die Auswirkungen der Unterdrückung abmildern sollte. An die Stelle der bis dahin dominanten Vorstellung von einer Gesellschaft konkurrierender Individuen trat die Idee einer befriedeten Solidargemeinschaft, deren Mitgliedschaft auf völkisch-nationalen Kriterien beruht.

Das hiermit verknüpfte Modell des nationalen Sozialstaats gewann von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus bis zur BRD eine erstaunliche Kontinuität. Zwar wurden in der Nachkriegszeit völkische oder biologistische Argumentationsmuster im öffentlichen Diskurs zugunsten systemisch-funktionaler Ideologeme zurückgedrängt. Gleichwohl blieben die Figur der nationalen Solidargemeinschaft und das Gebot des »sozialen Friedens« gesellschaftspolitisch zentral.

In den späten fünfziger Jahren begann die BRD, so genannte Gastarbeiter anzuwerben. Die Rekrutierungsstrategie orientierte sich an den akuten Erfordernissen des Arbeitsmarktes und ging mit einer Beschränkung der Aufenthaltsdauer von Migranten und Migrantinnen einher. Dieses Rotationsmodell brauchte keine Integration, doch nicht alle Angeworbenen wollten zurückkehren.

Spätestens mit der Verhängung des Anwerbestopps 1973 und dem politisch nicht intendierten, aber dennoch verstärkt einsetzenden Familiennachzug veränderte sich in der deutschen Öffentlichkeit die Wahrnehmung der Migration, die nun in zweifacher Hinsicht als Problem erschien. Zum einen sollte verhindert werden, die BRD als Einwanderungsland zu definieren und das ius sanguinis, das die Staatsbürgerschaft an die Abstammung bindet, durch ein Territorialrecht (ius soli) zu ersetzen. Andererseits verstärkten sich Forderungen nach einem Eingliederungsprogramm, um befürchtete »Desintegrationsfolgen« für die Gesellschaft zu vermeiden.

Im Laufe der siebziger Jahre entwickelte die SPD das sozialtechnokratische Modell der partiellen Integration, das insbesondere die Kinder der »Gastarbeiter« zu erfassen versuchte. CDU und CSU denunzierten diesen Ansatz als »Zwangsgermanisierung der Türkenkinder« und sprachen sich für eine »rückkehrorientierte Integration« aus. Die sozialliberale Regierung, erklärte der bayerische Sozialminister Fritz Pirkel (CSU) 1981, wolle die kulturelle und nationale Eigenständigkeit der Migranten gegen deren erklärten Willen unterdrücken.

Mit der Krise des integrativen Sozialstaats fand zu Beginn der achtziger Jahre eine erneute Verschiebung des Migrationsdiskurses statt. Die Konjunktur postmoderner Ideologien führte zu einer Aufwertung des Kulturbegriffs, die auch in der Debatte über Einwanderung erkennbar wurde. Ausgehend von der Vorstellung einer »ethnisch-kulturell« differenzierten Gesellschaft griffen die Befürworter des Multikulturalismus die vorherrschende Integrationspolitik an. Aus ihrer Perspektive stellten die Einwanderer weniger eine Bedrohung dar, sondern eine kulturelle Bereicherung der Gesellschaft. Dieser Versuch einer vor allem von den Grünen forcierten Modernisierung der Migrationspolitik scheiterte jedoch an dem weiterhin bestehenden gesellschaftlichen Konsens, die BRD sei kein Einwanderungsland. Der Abschottung diente seit den achtziger Jahren primär die Einschränkung des Asylrechts, das neben Familiennachzug oder temporär begrenzten Arbeitsverträgen für viele die einzig legale Möglichkeit darstellte, um nach Deutschland zu kommen.

Nach dem Fall der Mauer wurde Migration vor allem zum Problem der inneren Sicherheit erklärt. Das bevorzugte Thema dieses Diskurses ist der »Ausländer« - nicht als Angehöriger fremder Kulturen, sondern als Krimineller. Wenn in den Medien von Migranten die Rede war, dann erschienen sie meist als »ausländische Drogendealer« oder jugendliche »Gangs«, mithin als Bedrohung für die Gesellschaft. Kommunalpolitiker forderten, der Entstehung von Gettos entgegenzuwirken und bestimmte Stadtteile vor einem »ungesteuerten Zuzug von Ausländern« zu bewahren. Und sie warnten eindringlich vor der Überschreitung von »Toleranzschwellen« und »Belastungsgrenzen« - eine eindeutige Drohung.

Zugleich ließ sich angesichts des Standortdiskurses eine Absage an jede Form von Zuwanderung nicht mehr halten. Schon vor Gerhard Schröders Green-Card-Initiative im vergangenen Jahr und den aktuellen Vorschlägen zu einer Kategorisierung und Quotierung der Migranten hatte der Einwanderungsdiskurs deren Aufspaltung in unterschiedliche Gruppen nahegelegt. Im Kern handelt es sich bei der Green Card und verwandten Konzepten um eine modernisierte Variante des Gastarbeitermodells, das die Migrationserfahrung der letzten vierzig Jahre zum Teil schlicht ignoriert. Indem Schröder seine Initiative als Einwanderungsbegrenzungsmodell für Hochqualifizierte vorstellte, schien es - mit Verweis auf die Stärkung des Standorts - wieder möglich, einen pragmatischen Umgang mit der Migration zu finden, der sich am Gebot der ökonomischen Nützlichkeit orientiert. Schröder hat dabei die Unternehmen auf seiner Seite, sie bevorzugen befristete Arbeitsverträge.

Zurzeit bewegt sich die Debatte über Einwanderung zwischen ökonomischen Argumentationen, die nationalen Homogenitätsvorstellungen scheinbar entgegenstehen, und bevölkerungspolitischen, etwa demografischen Diskursen, die solche Vorstellungen ebenso stützen wie die Behauptung einer deutschen Leitkultur, der sich alle anzupassen hätten, die im »Kulturstaat« Deutschland leben.

Im Begriff der Integration gehen all diese Bestrebungen eine Verbindung ein, die ihn zur Chiffre für Assimilation werden lässt. Egal ob angeworbene IT-SpezialistInnen, Bürgerkriegsflüchtlinge oder »Türken« mit deutschem Pass, sie alle sollen sich den hiesigen Gepflogenheiten unterwerfen und möglichst nicht auffallen. Sonst laufen sie Gefahr, darauf hingewiesen zu werden, wer sie eigentlich sind und wo sie eigentlich herkommen.