Linke Reaktionen auf Le Pen

Die neue Übersichtlichkeit

Wenn Synagogen brennen und die Jagd auf Juden eröffnet ist, dann weiß man, was die Stunde geschlagen hat. Wenn dann eine Figur, für die Auschwitz »ein Detail der Geschichte« darstellt, bei einer Präsidentschaftswahl rund 20 Prozent der Stimmen einfährt, ist das nur die logische Konsequenz.

Die konformistische Revolte hat die Urnen erreicht. »Arbeit, Familie, Vaterland« - das alte konterrevolutionäre Programm macht wieder Schlagzeilen. Angereichert ist es mit dem autoritären Ruf nach Sicherheit und einer Säuberung der Gesellschaft von Korruption.

Das antisemitische Frankreich der Dreyfus-Affäre, das Frankreich der Vichy-Kollaborateure, das Frankreich der heldenhaften Folterknechte aus dem Algerienkrieg meldet sich unüberhörbar wieder zu Wort - französische Identität vom Feinsten.

Dumm gelaufen, das stand nicht auf dem Programm der parlamentarischen und/oder außerparlamentarischen Linken. Attac und Le Monde diplomatique verbrachten die letzten Jahre vor allem damit, gegen die »Globalisierung« - jenen schalen Ersatz für den kritischen Begriff der Totalität - den regulierenden Nationalstaat zu setzen, und José Bové bekämpfte die McDonald's-Kultur mit französischem Roquefort. Jetzt ist guter Rat teuer. Was tun?

Schritt eins: Gegen den schlechten Nationalismus bringen wir den guten Patriotismus in Anschlag. Der Bänkelsänger Damien Saez reimt ein Anti-FN-Liedchen mit den schönen Zeilen: »Wir sind die Nation der Menschenrechte, wir sind die Nation der Toleranz, wir sind die Nation der Aufklärung, wir sind in der Stunde der Résistance.« Auf einer Demonstration in Montpellier ließ sich letzte Woche das Transparent »Das Vaterland ist nicht Le Pen« bewundern. Mit Nationalismus gegen Nazis, das hat schon immer prima funktioniert. So hat die KPD bekanntlich Hitler verhindert.

Schritt zwei: Die Faschisten sind eigentlich anderswo. Und vor allem in den USA und Israel. Denn, wie in Le Monde ein Philosoph, eine Anthropologin und ein Schriftsteller scharfsinnig analysierten, ist Bush »in allen Fragen so reaktionär wie der Front national«; und Sharon ist »in seinem Kolonialkrieg (sic!) ebenso brutal« wie es Le Pen in »seinem, dem Algerienkrieg« war.

Noch deutlicher wird Indymedia Frankreich. Der erste Kommentar zum Thema »Die Faschos in der zweiten Runde« wird so angekündigt: »Vergesst es nicht: In Israel sind sie bereits an der Macht.«

In Italien, dem Laboratorium der Konterrevolution in Europa, ist man schon einen Schritt weiter. Letzte Woche fanden zum Tag der Befreiung vom Faschismus in Mailand und Rom wie jedes Jahr Demonstrationen statt. Mit dabei diejenigen, die bekanntlich am meisten unter dem Nazi-Faschismus gelitten haben: die Palästinenser.

Die Solidarität mit Palästina ist dabei, den Antifaschismus zu hijacken. Auf der famosen UN-Konferenz in Durban im letzten September hatte sie es bereits geschafft, den Antirassismus antijüdisch aufzuladen. Deshalb hat es bis heute in Frankreich keine großen Mobilisierungen der Antirassisten gegen die Welle der antisemitischen Anschläge seit dem Beginn der so genannten Al-Aqsa-Intifada gegeben.

Die pathischen Projektionen allen Übels der Welt auf die Juden und Israel waren nur der erste Schritt. Nun tendiert dieselbe Bewegung zur Ersatzhandlung. Wenn Staat und Kapital trotz Dauerkrise scheinbar nicht mehr abzuschaffen sind, wenn die faschistische Bewegung im eigenen Land übermächtig wird oder bereits in der Regierung sitzt, dann landet der Jude im Fadenkreuz.